Ausschreitungen bei G20? Bitte ja.

Bewusst provokant Ein spontaner, persönlicher Kommentar zu den Aktionen rund um den G20-Gipfel in Hamburg

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Ich schreibe diesen Text spontan am Abend des 07.07.2017, während ich Berichte über den G20-Gipfel in Hamburg und die ihn umgebenden Demonstrationen, Proteste und Ausschreitungen schaue. Ich sitze in meinem ruhigen WG-Zimmer und höre und sehe zu, was in Hamburg passiert und wie darüber berichtet wird.

Allenthalben wird von Gewalt gesprochen, von Eskalation, von Ausschreitungen, von Chaos, sogenannter „Anarchie“, manchmal auch nur von „schwierigen Umständen“, in denen die Polizei zu agieren hat. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz gibt aus der Elbphilharmonie seinen Kommentar dazu ab. Die Gewalt sei nicht in Ordnung, man solle damit aufhören, das habe Hamburg, habe auch Deutschland nicht verdient.

Ich möchte die ganze Zeit entgegnen: doch, es gibt Verantwortlichkeiten, die diese Form von Protest hervorrufen. Ja, ich kann die Ausschreitungen, die Wut und was sonst in den Aktionen für Gefühle geäußert werden nachvollziehen. Ja, ich sehe brennende Autos, brennende Barrikaden, auch ein brennendes Ikea-Kaufhaus und sage: meinetwegen.
Denn, und das ist vielleicht, der Punkt, der mich dabei bewegt: ich möchte lieber das, als einen friedlichen G20-Gipfel.

Der G20-Gipfel ist ein Treff der Gewinner der globalen Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Sie treffen sich nicht, um Wege für eine gerechtere Zukunft zu finden, sondern um dafür zu sorgen, dass sie auf der Gewinnerseite bleiben. Es geht um wirtschaftliche und politische Hegemonie und im Kapitalismus heißt das auch: wirtschaften auf Kosten der Verlierer.

Mag sein, dass vielleicht auf dem Gipfel selbst gar keine so weitreichenden Entscheidungen getroffen werden, dass das alles nur Show ist. Das macht die Sache aber nicht besser, sondern verleiht der Veranstaltung nur einen sehr zynischen Anstrich. Der König von Saudi-Arabien reist mit Hundertschaften an Gefolge und eigenem Thron an, um zu zeigen, dass er dazugehört . Und er wird empfangen, trotz der Menschenrechtsverletzungen, die in seinem Namen stattfinden, trotz der kürzlichen Aggressionshandlungen gegen Katar. Und das ist nur ein kleines, fast unbedeutendes Beispiel für den offensichtlichen Widerspruch zwischen dem netten Anstrich, den sich die Veranstalter des Gipfels verpassen wollen und den konkreten Auswirkungen ihrer Politik.

Ich möchte keinen G20-Gipfel, bei dem Menschen nur auf friedlichen Demonstrationen tanzen, „gegen den Gipfel anfeiern“, vielleicht ein paar kritische Sprüche auf Bannern präsentieren, im Großen und Ganzen die Gute Mine zum Bösen Spiel mitmachen. Nicht dass ich was dagegen hätte, ich glaube nur nicht, dass das irgendjemanden interessiert. Ich möchte stattdessen, dass man nicht über den Gipfel berichten kann, ohne zu sagen, dass sich Tausende mit Händen und Füßen und eben auch mit Feuer und Wurfgeschossen dagegen gewehrt haben, dass er reibungslos über die Showbühne geht.

Ich teile das Bedauern über Verletzungen von Polizisten, über zerstörtes Eigentum, über andere Opfer, die vielleicht noch gefordert werden. Ich möchte nicht, dass Menschen aus Hass oder purer Lust am Leid des Gegenüber aufeinander losgehen und ich glaube, dass auch kaum ein Demonstrant und auch kaum ein Polizist das will. Dennoch halte ich die aufkommenden Emotionen und die daraus erwachsenden Handlungen, und mögen sie noch so martialisch aussehen und noch so große Sachschäden hinterlassen, für verständlich, ja, in großen Teilen für „richtig“.

Zuletzt bin ich enttäuscht von der Berichterstattung, auch wenn das wohl im sensationslüsternen Minutenjournalismus nicht anders möglich ist. Ich hoffe wirklich, dass im Nachgang des Gipfels wenigstens vereinzelt nicht pauschal alles verurteilt und von der Diskussion ausgeschlossen wird, was man unter die Label „Extremismus“, „Gewalt“ oder „Ausschreitungen“ packen kann. Diese Aktionen haben einen Grund und ich wünsche mir, dass der zur Sprache kommt. Sonst reicht beim nächsten Mal Polizei allein vielleicht nicht aus, um den G20-Gipfel durchführbar zu machen.

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