„Threshold“ heißt der deutsche Beitrag zur diesjährigen Kunstbiennale in Venedig, die am 20. April eröffnen wird. Er fordert gleich mehrere Künstler dazu auf, Schwellen zu überwinden – zwischen Geschichte, Gegenwart und Zukunft. In „Drei Szenarien“, so die Pressemitteilung, sollen uns die israelische Künstlerin Yael Bartana und der Berliner Theatermacher Ersan Mondtag im Deutschen Pavillon und die Soundkünstler Michael Aksteller, Nicole L’Huillier, Robert Lippok und Jan St. Werner auf der Insel La Certosa aus den Sackgassen einer „katastrophal empfundenen Gegenwart“ führen. Und wohin? Ins Offene.
Wo das liegt? Folgt man dem Fingerzeig von Çağla Ilk, die den Beitrag kuratiert: in der Vielstimmig
ielstimmigkeit verschiedener künstlerischer Ansätze. Anstatt monolithischer Bekenntnisse und politischer Statements verspricht uns der Deutsche Pavillon Ambivalenz und Utopie. Eine Rückbesinnung auf die Kunst? Aber nicht ganz ohne Politik.Insbesondere die Wahl von Yael Bartana sticht hervor: In ihren Mixed-Media-Installationen und performativen Interventionen verhandelte die israelische Künstlerin in der Vergangenheit wiederholt das rituelle „Nationbuilding“ Israels und damit auch den derzeit viel besprochenen, aber wenig verstandenen Zionismus. So etwa in ihrem Beitrag für den Polnischen Pavillon auf der Biennale 2011: And Europe Will Be Stunned. In einer epochalen Filmtrilogie und anhand von Accessoires und fiktiven Pamphleten konstruierte sie das Jewish Renaissance Movement, eine politische Bewegung um ihren charismatischen Anführer, einen nicht-jüdischen polnischen Studenten. Das Ziel? Die zionistische Idee eines jüdischen Staates ins Polen der 2010er Jahre zu verpflanzen, um wahrzunehmen, wie diese Verschiebung den Blick auf Gegenwart und Geschichte verändert.In der bipolaren deutschen Debatte lässt sich Bartana nicht eindeutig verorten. Zwar schloss sie sich 2020 der „Initiative Weltoffenheit GG. 5.3“ an und sprach sich damit für die antisemitische Boykottbewegung BDS und gegen die entsprechende Resolution des Bundestags aus – für eine Erwartung an ihre vielschichtige künstlerische Position taugt das aber nicht.Der Mythos der Wiederkehr im Deutschen PavillonWas sich bei ihr durchzieht, ist die Methode der alternativen Geschichtserzählung als Motor neuer Perspektiven. Immer wieder greift sie dabei auf zentrale Motive der jüdischen Tradition zurück. In ihrer 2021 im Jüdischen Museum Berlin gezeigten Retrospektive Redemption Now ist es der messianische Mythos der Wiederkehr, den sie in der androgynen Messias-Figur MALKA GERMANIA beschwört. Wieder setzt Bartana auf eine epochale Erzählung, ausgestaltet in bildhauerischen Fragmenten fiktiver Monumente und einer Videoinstallation. Zu sehen ist dort zum Beispiel die Große Halle aus Albert Speers Entwurf der Nazi-Welthauptstadt Germania. Die Anwesenheit der Messias-Figur lässt sie plötzlich aus dem Berliner Wannsee emporsteigen. Ritualisierte Erinnerung aus den rostigen Angeln einer monumentalen Geschichtserzählung heben – auch das ein denkbares Vorhaben für Venedig.Unterstützung erfährt sie dabei vom preisgekrönten Multitalent Ersan Mondtag. Der soll sich in einer „scheinbar kleinen Erzählung“ am Monumentalbau des Deutschen Pavillons abarbeiten. In seinen opulenten Inszenierungen, die selbst souveräne Schwellengänger zwischen Theater, Oper, Performance und Party sind, öffnet der Regisseur und Bühnenbildner immersive Erfahrungswelten, um starre Architekturen – mit ihnen auch verhärtete Zeitschichten – in Bewegung zu setzen.Davon zeugt seine Tour de Force auf dem deutschen Bühnenkarussell. Am Berliner Ensemble inszenierte er den Woyzeck wie in einem Filmset: Die Bühne wird zum lebensgroßen Wald, dessen Wipfel die räumlichen Dimensionen sprengen und zwischen dessen Stämmen ein dunstiger Nebel schwebt. In Becoming Sculptures in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden ließ er im Nachtblau-verdunkelten Kurbad die Körper seiner Performer zu Skulpturen und den Ausstellungsraum zum begehbaren Ökosystem werden.Wie schrill, surreal und sinnlich die Bearbeitung eines geschichtsträchtigen Monumentalbaus sein kann, über dessen Portal zwar keine Hakenkreuze mehr, aber noch immer die Umrisse der Inschrift GERMANIA zu erkennen sind, bleibt zu beantworten. Stets droht das erinnerungspolitische Konstrukt dahinter an den falschen Stellen einzureißen.Den Unterschied zwischen Schwellengang und Grenzübertritt lotet auch das dritte Szenario – die Zukunft – aus: ausgelagert auf die Laguneninsel La Certosa scheint die Schwelle zum Ozean – ins Offene – durch den steigenden Meeresspiegel unfreiwillig überwindbar. Man darf daher vermuten, dass Michael Aksteller, Nicole L’Huillier, Robert Lippok und Jan St. Werner diesem ungewollten Grenzübertritt einen akustischen Rückzugsort entgegensetzen werden. Im gemeinsamen Experiment erwarten uns hier transformative Momente zwischen Kultur und Natur, zwischen Pop und Physik – und vielleicht sogar Weltflucht.In dieser Welt ist viel passiert; der 7. Oktober ist passiert. Eine Schwelle, die derzeit unüberwindbar scheint. Kein Grund, es in Venedig nicht zu versuchen – auf Lerneffekte der letzten Monate ist zu hoffen.Placeholder infobox-1