Selbsternannte Intellektuelle

Rechtsradikalismus Wie das völkische Netzwerk der „Identitären“ versucht, auf sich aufmerksam zu machen
Ausgabe 38/2016

„Erst wollte ich euch dazu beglückwünschen, dass ihr den blutigen Merkelsommer überlebt habt.“ So begrüßt der führende Kopf der „Identitären Bewegung“, Martin Sellner, das Publikum, das sich am Montag dieser Woche auf Einladung Jürgen Elsässers, Herausgeber des rechten Compact-Magazins, in einem Hotel in Berlin-Mitte eingefunden hat.

Die „neue Protestjugend“, so lautet der Titel der Veranstaltung, soll an diesem Abend gefeiert werden: Die „Identitären“ besetzten im vergangenen Monat erst das Brandenburger Tor und unterbrachen dann medienwirksam eine live im Radio übertragene Veranstaltung mit Jakob Augstein und Margot Käßmann. Gerade letztere Aktion hat es Sellner angetan; er schwelgt in dem Erfolg, den „Propagandainstrumenten der Multikulti-Ideologie“ einen Schrecken eingejagt zu haben. Rechte Aktivisten im Publikum hatten laut Parolen skandiert und dazu Schilder hochgehalten, auf denen das Wort „Heuchler“ zu lesen war. Sellner schwört, auch in Zukunft die „Meinungsdiktatoren“ zu „treffen, wo sie es nicht erwarten“ und kündigt weitere Aktionen an: „Die werden sich noch wünschen, in einer Zeit zu leben, wo man nur Schilder hochgehalten hat!“

Sellner bemüht sich sichtlich um oratorische Effekte, doch vor ihm sitzen keine glühenden Anhänger einer stürmischen Bewegung, sondern nur etwa 80 zusammengewürfelte Menschen im mittleren Alter. Die meisten sind allein gekommen; im Publikum wird viel geklatscht und kaum geredet. Ebenfalls anwesend ist Götz Kubitschek, der Vordenker der Neuen Rechten, der die intellektuelle Schwere zu Elsässers Bierzeltsound liefert und im monotonen Duktus über die niederträchtigen Umtriebe des Verfassungsschutzes doziert. Dieser gab kürzlich bekannt, die „Identitären“ unter Beobachtung gestellt zu haben. „Zuwanderer islamischen Glaubens“ habe die Bewegung „in extremistischer Weise diffamiert“, hieß es zur Begründung.

Der Wut eine Form geben

Trotz des tristen Erscheinungsbildes: Was sich an diesem Abend versammelte, waren die Köpfe einer zunehmend selbstbewussten rechten Bewegung. Fast zwei Jahre ist es her, dass sich mit Pegida eine neue rechte Wut zu artikulieren begann. Das diffuse Milieu der Angst und Aggression, dessen Vertreter sich in sozialen Netzwerken gegenseitig aufputschten und zu Protesten zusammenfanden, ist mittlerweile organisierter, hat seine eigenen Ideologen, Geschäftemacher und politischen Strategen, die an Strukturen und Netzwerken bauen. Was als Demo-Aufruf einiger Amateure in Dresden begann, ist nunmehr – auch außerhalb der AfD – in die Hände von Profis gelangt.

Schon früh lieferte Kubitschek, eigentlich Vertreter eines elitären Rechtsradikalismus, dem Pegida-Milieu als Redner und Berater entscheidende Stichworte. Schriften aus seinem Hause füllten die Parolen der Straße mit Inhalt: „Volksverräter“, „Widerstand“, „Lügenpresse“. Radikaler als viele aus dem rechten Milieu sprach Götz Kubitschek stets von der Notwendigkeit, sich der Regierung zu widersetzen und sie zu Fall zu bringen. Er veröffentlichte das juristische Gutachten eines Thor von Waldstein, das vom „heimtückisch“ durchgeführten „Volksverrat“ der Regierung handelt, gegen den sich das Volk wehren müsse. Die Aufnahme von Flüchtlingen ziele auf „die verfassungswidrige Beseitigung des Souveräns, des deutschen Volkes“, heißt es da, und somit sei Widerstand auch außerhalb der Gesetze erlaubt. Unter anderem ist von Blockaden von Flüchtlingsheimen die Rede, wie sie am berüchtigtsten im sächsischen Clausnitz stattfanden.

Es dürfte diese Radikalität gewesen sein, die den früheren linken Revoluzzer Jürgen Elsässer zu Kubitschek hinzog. Heute „passt zwischen mich und Götz kein Blatt mehr“, sagte Elsässer in Berlin. Gemeinsam unterstützten sie Pegida und tauschten sich darüber aus, wie man der rechten Wut dauerhaft und wirksam eine Form geben könne. Zur AfD haben sowohl Elsässer als auch Kubitschek glänzende Verbindungen. Bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt gaben die versammelten AfD-Politiker, darunter auch Partei-Vize Alexander Gauland, ihre ersten Interviews nicht den großen Medien, sondern im Compact-Wahlstudio. Kubitschek schließlich ist allgemein als Netzwerker und Hüter der ideologischen Linie tätig; nebenbei schult er in den Akademien des Instituts für Staatspolitik den Nachwuchs.

Gemeinsam mit dem AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider gründeten Kubitschek und Elsässer die Initiative „Ein Prozent“, bei der es um die Vernetzung von „Widerstandsgruppen“ im ganzen Land gehen sollte. Der Verein, geleitet von einem Pressesprecher der „Deutschen Burschenschaft“, leistet vor allem Öffentlichkeitsarbeit und sammelt Geld, um die eigenen aktivistischen Strukturen zu stärken. Ein Team dreht professionelle Propaganda-Videos, für die „Identitären“ wie auch bereits für die AfD. Seit kurzem gibt es ein Youtube-Format, das sich an Jugendliche richtet, produziert im eigenen Studio. Auch an die „Identitären“ fließt über „Ein Prozent“ Geld. Auf ihnen – jung, aktivistisch, entschlossen – lasten alle Hoffnungen.

„Identitär“ sein, das heißt vor allem, sich im Internet zu inszenieren und kalkulierend mit den Medien umzugehen. Provokationen wie das Stürmen einer Theatervorstellung, bei der Flüchtlinge mitspielen, oder das Besteigen historischer Wahrzeichen wie des Brandenburger Tors, dienen dem Zweck, sich in die Schlagzeilen zu kämpfen, um als relevante Kraft wahrgenommen zu werden. Das Spiel funktioniert: Kürzlich schleppten einige bayerische „Identitäre“ ein Gipfelkreuz still und heimlich auf über 2.000 Höhenmeter und ersetzten ein mit der Axt zerstörtes Kreuz. Mit der Aktion lösten sie zunächst Spekulationen aus – später bekannten sie sich als Gruppe dazu und bekamen in den Medien jede Menge Aufmerksamkeit.

Die selbsternannte „elitäre, aktivistische Avantgarde“ bedient sich dabei bewusst bei Ideen und Taktiken des linken Aktivismus. Auf seinem Instagram-Account prahlt Martin Sellner mit der Lektüre, die er als Vorbereitung für Sommer-Workshops der „Identitären“ liest. Es sind Handbücher zur politischen PR und zur Kampagnenführung; sie tragen Titel wie The Politics of Non-Violent Action oder Einführung in das Campaigning.

Vorbild Orbán

Rechte Ideologie soll zur ansprechenden Marke werden. Es beginnt mit der stringenten „Corporate Identity“, dem professionellen Internetauftritt, den Demonstrationen, auf denen ein Fahnenmeer die spärliche Mobilisierung kaschiert. Der eigentliche Kampf, erzählt Götz Kubitschek in Berlin, drehe sich um den „Markenkern“ der „Identitären“: Es müsse ihnen gelingen, ein positives Image aufzubauen, vor dem sich die Bürger nicht fürchten. Bewusst bemüht man sich darum, radikale Forderungen in harmlose Schlagwörter zu kleiden: Heimat, Freiheit, Tradition. Man will als gesetzestreue Vertreter des vernünftigen Volksempfindens erscheinen, als angebliche Stimme der schweigenden Mehrheit.

Der Feind, ganz klar, das sind die „Meinungsdiktatoren“ in Politik und Medien, die eben diese Mehrheit betrügen und unterdrücken. Es ist erklärtes Ziel „identitärer“ Strategie, Aggressionen gegen diese Gruppe, gegen die Regierung und die linke Presse zu schüren. „Die Masse der Unzufriedenen muss einen klaren Kreis an Verantwortlichen vor Augen haben“, schreibt Sellner in einem Strategiepapier, in dem er die Machtübernahme Viktor Orbáns in Ungarn als Vorbild empfiehlt. Man müsse jeden „Vorfall“, der in Verbindung zur Einwanderung gesetzt werden kann, ob Kriminalität oder Terroranschlag, propagandistisch einsetzen, um diese Gruppe, die ein „mafiöses und elitäres Netz“ bilde, als Schuldige zu stigmatisieren. „Jeder weitere Skandal … muss zur persönlichen Verantwortung dieses Kreises werden.“ Angestrebt wird eine „möglichst massive Spannung und Zuspitzung der Gegensätze“. Für den Fall eines islamistischen Terroranschlags steht zu erwarten, dass sie sofort die Angst und Verwirrung nutzen werden, um den Volkszorn auf die angeblich Schuldigen in Regierung und Presse anzustacheln.

All das soll erklärtermaßen vor allem die AfD stärken und letztlich an die Macht bringen. Die „identitäre“ Strategie der Spannung fügt sich in die Planungen der AfD-Fundis wie Björn Höcke. Als nach den letzten Wahlerfolgen etwa Jörg Meuthen die Möglichkeit einer Koalition mit CDU oder FDP ins Gespräch brachte, widersprach Höcke in einer E-Mail an seine Anhänger scharf: Wichtiger als Regieren sei die endgültige Delegitimierung und schließlich der Sturz der „Alt-Eliten“. Nur so könne die AfD ihr Ziel erreichen. „Bedenken wir immer: Wir begreifen uns als letzte friedliche Chance für unser Land.“

Die Aktionen der „Identitären“ in Berlin im vergangenen Monat – die Besetzung des Brandenburger Tors und die Störung des Freitag-Salon mit Augstein und Käßmann – sind wohl nur ein Vorgeschmack auf eine sich verschärfende Kampagne des völkischen Netzwerkes; der Aktion im Salon gaben die „Identitären“ nicht umsonst den ominösen Titel „Ästhetische Intervention Nr. 1“. Es bleibt abzuwarten, wen sie als Nächstes angreifen und im Internet an den Pranger stellen werden.

Unterdessen steht den „Identitären“ aber auch der Sinn nach anderen Interventionen, bei denen sie sich einklinken können. „Bravo! Bautzen wehrt sich! Heute Abend geht es weiter!“, jubilierte Jürgen Elsässer, nachdem in dem Ort die Gewalt zwischen Flüchtlingen und Rechtsradikalen eskaliert war. 400 teils alkoholisierte Rechte rotteten sich am nächsten Tag zusammen. Auch Martin Sellner, Vertreter einer neuen, angeblich intellektuellen Rechten, gab daraufhin über Twitter ein Statement ab: „#Jesuisbautzen.“

Johannes Simon und Paul Simon sind freie Journalisten und berichten regelmäßig über die Umtriebe in der rechten Szene

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