Wir brauchen deine Unterschrift

Erklärung 2018 Der Erklärungszirkus gastiert

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Im März ging die sogenannte Erklärung 2018 https://www.erklaerung2018.de/ online.

Wer sie tatsächlich noch nicht kennt:

Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“

Es unterzeichneten zunächst Intellektuelle, darunter das Who ist who deutscher Neocons. Dann, als man über tausend Unterschriften dieser beisammen hatte, dufte auch der deutsche Michel mit Mittelschulabschluss mitmachen. Bis heute (Stand 11. April) konnte man über 120 000 UnterschreiberInnnen gewinnen.

Wie zu erwarten war ließ die Antwort nicht lange auf sich warten - und ist genau so inhaltsreduziert und undifferenziert wie das, was die Empörung auf den Plan rief. http://antwort2018.hirnkost.de/.

Die Menschenrechte enden an keiner Grenze dieser Welt.Wir solidarisieren uns mit allen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Armut in unserem Land Zuflucht suchen, und wenden uns gegen jede Ausgrenzung.“

Und auch weitere UnterschriftensammlerInnen gegen die Erklärung 2018 gehen gefühlt stündlich an den Start und werfen die Frage auf, worum es beiden Seiten eigentlich geht. Um die zukünftige Deutungshoheit in Sachen Einwanderung, Asyl und Migration vielleicht? Dass Gesetze über das Schicksal einreisender Menschen entscheiden, und nicht Petition-UnterzeichnerInnen je nach guter (oder schlechter) Laune, Gnade oder sonstiger aktueller Befindlichkeit, dürfte aber doch eigentlich klar sein.

Seit Tagen wird um (vermutlich nicht nur) meine Unterschrift geworben. Ich unterschreibe aus mehreren Gründen weder hier noch dort.

Zum Beispiel: ob Deutschland durch die Einwanderung beschädigt wird, vermag ich nicht zu beurteilen; momentan zumindest sieht es so aus, als würden einige ZeitgenossInnen und Branchen an Feldbetten, Containerbauten, Zimmervermietung, Sprachkursen usw. gut verdienen. Auch billige Arbeitskräfte sind in diesem Land gern gesehene Gäste. Es dürfte bekannt sein, dass beispielsweise der häuslichen Pflegebereich auf tönernen Füßen steht und ohne illegal schuftende Frauen aus osteuropäischen Ländern zusammenbrechen würde.

Falls man von Beschädigung reden will, so wird diese am ehesten Arme treffen, bislang nicht gerade die Hätschel-Gruppe deutscher Neocons. Zusätzliche Mittel, um Menschen, die ohne finanzielles Polster ins Land kommen, zu verpflegen und mit Wohnraum zu versorgen, wurden kaum bis gar nicht zur Verfügung gestellt. Merkels `Wir schaffen das´ ist ein zynisches `Ihr eingeborenen und eingereisten Armen werdet es schon schaffen, um die knappen Ressourcen zu kämpfen` . Falls man das mit Hilfe der Erklärung 2018 anprangern wollte, also ab jetzt mehr Herzen für die weniger begüterten Eingeborenen schlagen werden, kann man das loben, wenn man nicht mit bösen Unterstellungen arbeiten möchte.

Vielleicht noch dies zum Thema Beschädigung: Frauen sind mit dem Sexismus einiger deutscher Männer so gut versorgt, dass sie nicht noch den Sexismus einiger arabischer Männer obendrauf brauchen. Wie die Neocons es mit Frauenrechten halten mag unterschiedlich sein. Das Wohlergehen von Frauen der eigenen Kaste ist vermutlich relevant, das Wohlergehen von Flüchtlingsfrauen, die auf den Fluchtrouten und in den deutschen Einrichtungen misshandelt und vergewaltigt werden, aber wahrscheinlich nicht, man liest auf blogs wie Achse des Guten u.ä. nichts dazu, aber in linken Medien auch kaum.

Zurück zu den Erklärungen: dass die Menschenrechte an keiner Grenze dieser Welt enden, wie die `Antwort´ meldet, trifft zwar auch meiner Ansicht nach zu, allerdings solidarisiere ich mich nicht mit jedem, der vor der Tür steht. Erhält jemand, der ein vorsintflutliches Frauenbild, Antisemitismus oder religiösen Wahn mitbringt, Asyl nach unseren Gesetzen, so habe ich das zu akzeptieren. Solidarisieren muss ich mich mit ihm nicht, vielmehr kann ich erwarten (?) hoffen (?), dass solcherlei Sozialisation (?) hier nicht ausgelebt wird.

Warum die Aufforderung Menschenrechte zu wahren bei dieser Gelegenheit nicht auch endlich mal an die Adresse arabischer Despoten geht, bleibt ein Rätsel.

Weiter: gegen ´jede Ausgrenzung´ wende ich mich von je her. Ob Menschen wegen ihrer Nationalität ausgegrenzt werden, oder (betagte) Frauen ausgegrenzt werden, weil sich nicht mehr zutrauen, mit jungen Männern den Kampf um Essensreste bei einer sogenannten Tafel zu führen, oder junge Mädchen auf Berliner Schulhöfen bedrängt und ausgegrenzt werden, weil sie sich nicht den Kopf bandagieren wollen – das und vieles mehr verurteile ich.

Aber dass eine von denen, die sich ´gegen jede Ausgrenzung wenden´ mir keine Stunde später eine Einladungen zukommen lässt, mich an einer Demonstration von BDS Berlin zu beteiligen, wirft bei mir die Frage auf: ist die Erklärungszirkus-Vorstellung zum weinen oder zum lachen?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Juliane Beer

Schriftstellerin und Aktivistin für ein weltweites Bedingungsloses Grundeinkommen

Juliane Beer

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden