In großen, geschichtsträchtigen Städten gibt es berühmte Orte, die den Touristen selbstverständlich bekannt sind, von denen diese aber nicht wissen, dass es geheime Heiligtümer der Einheimischen sind. Das Theater am Schiffbauerdamm ist so ein Ort, und die Einheimischen sind fast ausschließlich und immer noch Ostberliner. Wer eine Vorstellung in diesem Theater besucht, kann, wenn er das Foyer früh genug betritt, den Eindruck haben, hier finde ein Treffen unbeirrbarer Veteranen der lieben alten DDR statt. Das sieht man weit besser als im Dunkeln im Lichte, wie schon der Hausdichter Bert Brecht wusste, und deshalb konnte man es besonders gut sehen, als der scheidende Intendant im Hof des Theaters bei gelegentlichen Sonnenschein zum sechsten Male Stücke aus dem Fundus der Bühne versteigerte.
Die ereignisfroh versammelte Menge, von der nur die Hälfte auf den Sitzbänken Platz findet, trägt das Textil Marke „Auch-bei-Regen-ist-es-im-Fläming-schön“. Aber nicht alle. Besonders einige alte Männer zeigen das Outfit verwegener Proleten , als wollten sie mitversteigert werden. Es gibt Bier, Bratwürste und Kuchen und jedermann erwartet sich ein Fest.
Auftritt Claus Peymann als Theaterdirektor, ganz in Schwarz mit einem hohen Zylinder. Er ist gut gelaunt und hat zwei junge Leute bei sich, eine Frau in weißem Rüschenkleid, einen Mann in nachtblauem Samt. Das sei nun das letzte Mal, sagt Peymann gleich zu Anfang. Und dieses Mal werde der Erlös in den Sozialplan für Ensemblemitglieder fließen, deren Verträge nicht verlängert werden. Das werden, sagt er mit verhaltener Wut, 32 von 35 sein. Offenkundig will der neue Intendant – Oliver Reese – ein ganz neues Theater. Wahrscheinlich würde er auch den Zuschauerraum umbauen lassen, wenn er nicht fürchten müsste, dass dies in Berlin länger dauern könnte, als seine Dienstzeit am Schiffbauerdamm selbst bei günstigsten Aussichten währen dürfte.
Steht das Ende des Berliner Ensembles bevor? Solch ein Einschnitt wäre tatsächlich eine Tragödie. Doch diese scheint hier und jetzt noch kaum jemandem bewusst zu sein. Dabei war Brechts in aller Welt gerühmtes Theater noch weit über den Tod des Regisseurs und Dichters hinaus der größte Stolz selbstwusster DDR-Bewohner. Das Berliner Ensemble galt ihnen mehr als Goldmedaillen im Sport. Aber ist es realistisch, das erhalten zu wollen? Peymann nannte das Theater das schönste der Welt – hier gab es zuerst die Dreigroschenoper –, das war ehrlich gemeint, denn polarisiert wie an der Wiener Burg hatte er am Schiffbauerdamm nicht. Das war recht getan.
Jetzt wird versteigert. Dagmar Manzels Kleid aus Endstation Sehnsucht für 70 Euro. Ein Kleid, das Anna Graenzer in den Drei Schwestern trug, geht für 100 Euro weg. Dann Klaus Maria Brandauers Degen (Wallenstein). Peymann bedient den Hammer unorthodox, was die Spannung steigert. Immer wenn eine runde Summe erreicht ist, bekommt der Käufer ein Glas Brombeergelee aus Peymanns Garten als Zugabe. Der 79-Jährige beweist ein erstaunliches Durchhaltevermögen. Demnächst wird er den King Lear in Stuttgart inszenieren. Man möchte meinen, er ist noch nicht alt genug, um sich in die Aufgabe einzufühlen.
Am Ende sind bei der Versteigerung rund zehntausend Euro herausgekommen. Für den Blick zurück fand Peymann Worte eines glücklichen Menschen. Der Blick nach vorn im Zorn galt der Berliner Politik: eine „kulturpolitische Katastrophe“.
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