Am Anfang war das Wort – und dabei bleibt es in Christopher Rüpings Inszenierung von Noch wach? auch weitgehend. Benjamin von Stuckrad-Barres Roman und seine witzig pointierten Dialoge tragen den Abend im Hamburger Thalia Theater, das damit vergangenen Freitag die neue Spielzeit eröffnet hat.
Es geht um #MeToo, doch mehr noch um die konkreten Fälle von Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen bei einem Berliner Fernsehsender, der sich mühelos als Axel-Springer-Verlag identifizieren lässt, mit dessen CEO Mathias Döpfner Stuckrad-Barre jahrelang eine Freundschaft pflegte. Nach einem kurzen Vorspiel am idyllischen Pool des Luxushotels Chateau Marmont in Los Angeles – dezent skizziert mit Plastikpalme und durchsichtigem Kinder-Planschbecken –
lanschbecken – hebt sich der Vorhang und ein düsteres Schloss im Dauerregen wird sichtbar. Am Himmel steht ein großer bleicher Mond und aus Särgen springen Vampire in dunklen Umhängen, durstig nach dem Blut unschuldiger Opfer. Ein bisschen albern, Rüping möchte damit wohl klarstellen, dass dieser Krawall-Sender ÜBER LEICHEN GEHT. Doch ganz so einfach ist es eben nicht.Kryptisch übergriffig gegenüber den MitarbeiterinnenDen Sender-Chef spielt Hans Löw als jovial ungelenken Schlaks, die Ähnlichkeit mit Döpfner springt einen geradezu an. Der Erzähler nennt ihn nur „mein Freund“ und lässt ihm so ziemlich alles durchgehen. Einmal erinnern sich die beiden, wie sie lachend und Schokolade essend nebeneinander im Bett lagen und dabei die Laken verschmierten. Auch der von Nils Kahnwald verkörperte Chefredakteur gehört zum Boys-Club des Senders. Er sieht dem ehemaligen Kriegsreporter und Bild-Chef Julian Reichelt zwar nicht ähnlich, erzählt aber ebenso gern Geschichten von der Front. Nachts schreibt er kryptisch Übergriffiges an seine Mitarbeiterinnen: „Noch wach? Scheiß klimaanlage komm und wärm mich. Starke vermissung“.Placeholder image-1Auch Sophia, Moderatorin der Sendung Das wird man ja wohl noch sagen dürfen, gehört zu den Opfern dieses narzisstischen Großmauls. Maike Knirsch verkörpert sie großartig lebensnah und ambivalent, als Mischung aus „so fucking young“ und doch ohne Illusionen: Wenn die Haare nicht gut sitzen, moderiert halt eine andere, is’ eben so. Von Vierter Gewalt spricht hier eh keiner. „Eine Frau zu sein, das ist karrieremäßig ein Nachteil“, erklärt Sophia nüchtern, „aber es gibt ebendiese zehn, höchstens fünfzehn Jahre, von knapp zwanzig bis Anfang dreißig, da hat der Sexismus auch ein paar Vorteile“. Das mag zynisch klingen, ist aber leider zutreffend. Wenn die Frauen des Senders am Ende des Abends randalierend das Schloss stürmen, ist das eine Feel-good-Fantasie des Regisseurs, die sich im Roman so nicht findet. Davor wird noch Monica Lewinsky als „Patient Zero“ identifiziert – das erste weibliche Opfer, über das die Medien-Männer genüsslich herzogen. Auch der Ich-Erzähler erinnert sich an seine Zeit als Schreiber für die Harald Schmidt Show, wo Witze über die Praktikantin als sichere Lacher galten.Aber im Prinzip steht das ja alles so schon im Buch. Für die Inszenierung war es leider keine so gute Idee, die Rolle des Ich-Erzählers mit gleich vier Schauspielern/Schauspielerinnen zu besetzen, die mitunter etwas statisch in den Kulissen stehen und ihren Text aufsagen. Auch ein paar Kürzungen hätten geholfen, den insgesamt amüsanten, aber mit über drei Stunden zu langen Abend besser auf den Punkt zu bringen.