Was zuerst auffällt, ist die Kraft und Vitalität dieser Musik. Der Beat pumpt wie ein aufgeregtes Herz, schaukelt, wippt, dreht sich um sich selbst, während der Gesang auf virtuose Weise sehnt und klagt. Dazwischen Sounds von Trommeln und Blasinstrumenten, deren Namen man nicht kennt, die locken und umgarnen – immer tiefer hineinziehen in eine fremde Welt. Hjirok, das Debütalbum des gleichnamigen Berliner Duos, verbindet die Sufi-Musik Kurdistans mit elaborierten digitalen Beats und Klängen. Bei einem Konzert vor einigen Wochen, im Rahmen des Festivals Club Transmediale, begann die Menge schon nach wenigen Sekunden sich rhythmisch zu bewegen, manche geradezu ekstatisch.
Hinter HJirok (im Bandnamen wird das J groß geschrieben) stecken die Sängerin Han
e Sängerin Hani Mojtahedy und der Musiker und Produzent Andi Toma, der mit Mouse on Mars die elektronische Musik der vergangenen 30 Jahre nachhaltig geprägt hat. Mojtahedy wurde im kurdischen Teil Irans geboren und hat dort Gesang studiert, versteht sich aber auch als Feministin und Aktivistin für die Sache der Kurden. In ihrem Gesang verschwimmen die Grenzen zwischen den Erinnerungen an eine uralte Tradition und der Sehnsucht nach einer besseren Zukunft für den Nahen Osten. „In den Texten geht es um ein Versprechen“, sagt Mojtahedy, die beeinflusst ist vom Werk des kurdischen Schriftstellers Ebdulla Peşêw. „Im Kern geht es um den Tag, an dem Gewalt und Angst der Vergangenheit angehören. Die Texte fordern dazu auf, nicht aufzugeben, weiter Hoffnung zu hegen.“Als Hörer ist es zunächst das Fremde, das ganz Andere, das einen gefangen nimmt. Im Video zu Maly Men trägt die Sängerin eine silberne Maske, die entfernt an den Kopf einer Antilope erinnert. Es ist eine Verkörperung des fiktiven Wassergeistes HJirok, dem Mojtahedy und Toma schon seit 2021 mit Konzerten und Klanginstallationen eine Bühne bieten. Stolz und selbstbewusst läuft die Kurdin im Video durch die menschenleeren nächtlichen Straßen der Millionen-Stadt Sulaimaniyya in der Autonomen Region Kurdistan im Irak. Die rhythmische, von Trommeln und Effekten getriebene Musik klingt wie aus einem Traum, dem man immer weiter folgen möchte. Der Gesang ist klagend und irritierend, wie der eines Muezzin, aber von virtuoser Schönheit. Es ist ein Update der Musik der Sufis, jener mystischen Glaubenslehre innerhalb des Islam, mit der Mojtahedy schon früh im Haus ihres Großvaters in Kontakt kam. Bis zu 300 Menschen trafen sich dort heimlich zu den Ritualen der Derwische oder um die Verse der persischen Dichter Rumi und Hafiz zu hören. Das iranische Mullah-Regime verbot solche Abweichungen vom reinen Glauben gleich nach der Machtübernahme 1979. Im Unterschied zur Staatsideologie Irans spielen Musik und Tanz im Sufismus eine wichtige Rolle.Nach dem Ende ihrer Gesangsausbildung gründete Hani Mojtahedy sogar die erste Frauenband Irans. Eine Notwendigkeit, denn solo zu singen ist Frauen im nachrevolutionären Iran verboten – jedenfalls vor einem männlichen Publikum. Die Reize der Musik und der weiblichen Stimme könnten den Mann sexuell erregen, fürchten die Theokraten. Die iranische Künstlerin Shirin Neshat hat zu diesem Aspekt der Unterdrückung das berührende Video Turbulent gedreht. Auf einem Split-Screen sind ein Sänger und eine Sängerin zu sehen: Er singt vor einem voll besetzten Saal ein berührendes Liebeslied, bei ihr bleiben alle Sitze leer. Als der Mann seinen Vortrag beendet, unter dem frenetischen Beifall der rein männlichen Zuhörer, beginnt die Frau ein wortloses Klagelied aus ekstatischen Schreien und leidenschaftlichen Atemzügen. Ein beeindruckend gruseliges Bild für die Ausgrenzung eines ganzen Geschlechts, aber zugleich der Versuch eines Ausbruchs aus der vorbestimmten Rolle.Ähnliches hat wohl auch Hani Mojtahedy erlebt, bevor sie Iran 2004 verließ und nach Berlin floh, wo sie seitdem erfolgreich als Sängerin arbeitet. Oft im Kontext des kurdischen Freiheitskampfs oder zu Aktionen der Bewegung Frau, Leben, Freiheit. Mojtahedy ist an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei in kurdischen Flüchtlingscamps aufgetreten, hat aber auch mit dem nationalen tschechischen Sinfonieorchester Dilşad Seîds Oratorium Peshmerga über den Völkermord an den Jesiden durch die Kämpfer des IS aufgeführt. Ein ziemlicher Brocken, im Stil alter, pathetischer Arbeiterkampflieder, der die Streitkräfte der Autonomen Region Kurdistan hymnisch in den Himmel hebt. Die Musik ihres Mang Projects erinnert dagegen an den filigranen Sufi-Jazz der 2022 mit einem Grammy ausgezeichneten pakistanischen Sängerin Arooj Aftab.Das Debütalbum Hjirok überführt Sufi-Musik in die digitale Moderne – ohne sie dabei zu entzaubern. Aufgenommen in Erbil, im Norden des Irak, unterstützt von Musikern aus Mojtahedys kurdischer Begleitband, entstand ein hypnotisches Rohmaterial, das in Berlin von Andi Toma digital bearbeitet und ergänzt wurde. Einiges erinnert an die experimentellen Dub-Exkursionen des Londoner Produzenten Adrian Sherwood zusammen mit der Band African Head Charge. Auch Toma zeigt ein großes Talent beim Jonglieren mit Beats und Samples. Denn letztlich ist auch Hjirok eine Form von Tanzmusik – auch wenn die Fähigkeiten des deutschen Club-Publikums sicher nicht an die Talente der kreiselnden Derwische heranreichen.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1