Lass die Sonne rein

Intimität In der finalen Staffel sind Lena Dunhams „Girls“ noch immer verwirrte Nervensägen. Warum wir sie trotzdem vermissen werden
Ausgabe 08/2017

Es gibt eine Szene in der ersten Folge der letzten Staffel von Girls, an der das ganze Konzept der HBO-Serie deutlich wird: Lena Dunham faulenzt als Hannah Horvath auf einem Balkon in den Hamptons am Meer, statt als Journalistin für einen Artikel über ein Frauen-Surfcamp zu recherchieren. Dann blickt sie sich kurz um und schiebt mit der Hand ihren Bikini zur Seite. Das Schamhaar kräuselt sich matt und unglamourös vor den unsauber verputzten Wänden des Memory Hotels. Nichts, was man nach konventionellen film- oder frauenästhetischen Standards irgendwie schön nennen würde. Aber Hannah lächelt. Sie lässt gerade die Sonne in ihre Pussy scheinen – ein Tipp, den die Schauspielerin Shailene Woodley tatsächlich in der Beauty-Zeitschrift Into the Gloss gegeben hatte, zusammen mit weiteren Hinweisen zu Superfood, gesundem Haar und organischem Make-up. Woodley, Jahrgang 1991, gehört zu jenen Millennials, deren Erfolg für Bewunderung und Spott gleichermaßen taugt.

Es ist kein Wunder, dass die erste Folge der letzten Staffel mit dem anfängt, womit Lena Dunham berühmt geworden ist. Intimsphäre öffentlich zu machen. Und damit die eigene Generation unbarmherzig und zugleich liebevoll in ihrer ganzen psychopathologischen Bandbreite zu kommentieren – Fans und Hater von Girls gleichermaßen. „Ich bin gekommen, um all das zu hassen“, erklärt Hannah ihrem Surflehrer über die Hamptons-Wellness-Blase mit ehrgeizigen Yogafigur-Urlauberinnen, der sie sich entzieht. Sie findet dann so viel Gefallen am Leben am Meer, dass sie überlegt, ein paar Monate dort zu bleiben, eine kurze Aussteigerfantasie, die schnell wieder zerplatzt. Hass und Liebe innerhalb und außerhalb der eigenen Filterblase – die erste Folge der neuen Staffel wirkt wie ein aktueller politischer Kommentar. Vielleicht auch, weil die Serie selbst immer Kritik von außen und innen bekam: Zu radikaler Feminismus und Sex, fanden die einen, teilweise auch bei HBO. Zu elitär und rassistisch, fanden die anderen, weil die Besetzung in der ersten Staffel sehr weiß war und Hannahs Kurzzeitlover aus der zweiten Staffel wie ein Schwarzer für die Quote wirkte (auch wenn er schon vor den Vorwürfen gecastet worden war).

Enormes Sendebewusstsein

Was Girls immer schon gezeigt hat, war aber auch: Verletzlichkeit. Schmerz. Unsicherheit. Das Scheitern, kurz: den dauerhaften Struggle mit der Welt der Twentysomethings der 2010er Jahre. Was will ich eigentlich wirklich? So etwa kann man die grundsätzliche Frage zusammenfassen, die eine ganze Generation in einen dauerhaften, latenten Krisenmodus der ständigen Selbsthinterfragung versetzt hat, das ist in den USA nicht anders als in Europa. Was die Figuren aus Girls von der sogenannten Generation X unterscheidet, ist das enorme Sendebewusstsein durch die digitale (Früh-)Sozialisierung. Der Spagat zwischen Inszenierung, Konnektivität und dem Bedürfnis nach Intimität und den Werten, welche noch von den Eltern vorgelebt wurden: Verbindlichkeit, Vetrauen, Sicherheit. Der große Erfolg von Girls liegt darin, dass Lena Dunham und Hannah Horvath, immer wieder als Stimme ihrer Generation beschrieben, diese diffusen, widersprüchlichen Gefühle auf den Punkt bringen.

Angetreten ist die Indie-Pop-Serie vor fünf Jahren als bewusstes Gegenprogramm zur sagenhaften Serie Sex and The City (SATC). In beiden Fällen dreht sich der Plot um vier Freundinnen, die sich vor allem über Körper und Beziehungen Gedanken machten – die Themen, an denen Identität und Feminismus verhandelt werden. Aber erstens waren die Frauen aus SATC nicht mehr mit dem Coming of Age beschäftigt, es ging ums Kinderkriegen und Heiraten. Und zweitens sahen Carrie, Samantha, Charlotte und Miranda dabei immer so unfassbar gut aus und waren dabei immer so unfassbar erfolgreich, dass die Identifikationsfläche gering war. Niemand kann es sich heute leisten, als freie Journalistin mit Manolo-Blahnik-Schuhen in einem Apartment an der Upper East Side zu sitzen. Letztlich war SATC bei aller feministischen Sprengkraft (selbstbestimmter Sex, ökonomische Unabhängigkeit, zeigen, wie schmerzhaft Intim-Waxing ist) Hollywood-TV.

Girls ist anders angelegt, weil es einen aktualisierten Wertekonsens einer jungen, urbanen und akademischen Schicht zeigt. Sexualität zwischen den Geschlechtern wird als fließend beschrieben (der homosexuelle Elijah landet mit der heterosexuellen Marnie im Bett, hat dann aber Erektionsprobleme); ökonomisches Prekariat ist eine biografische Selbstverständlichkeit (Shoshanna verzweifelt nach ihrem Abschluss an monatelang erfolglosen Bewerbungsgesprächen); Feminismus gehört zum guten Ton (die unrasierte Scham wird vom Tabu zum Zeichen der Selbstbestimmung); und das Coming of Age ist ein Lifestyle, von dem unklar ist, ob er irgendwann vorbeigeht oder zu einem Dauerzustand wird. Hannah jedenfalls zeigt sich in der neuen Staffel so schnodderig, naiv, selbstsüchtig, narzisstisch, peinlich, lustig und fundamental zerrissen wie eh und je. Oder wie sie es in der neuen Folge ausdrückt: „I give zero fuck about anything yet I have an opinion about everything“. Nur hat sie inzwischen eine erfolgreiche Kolumne in der New York Times darüber geschrieben.

„Sie wissen, dass sie erfolgreich sein wollen, lange bevor sie wissen, worin sie erfolgreich sein wollen“, schrieb Lena Dunham vor Jahren in einem kurzen Konzepttext an HBO, der zur Grundlage der Serie wurde. Retrospektiv erzählte sie kürzlich in einem Hollywood-Reporter-Interview: „Es war mehr wie ein Gedicht, ohne Charaktere und ohne Plot. Ich meine, das ist der schlechteste Pitch, den du je gelesen hast – großspurig und grauenhaft –, aber ich erinnere mich, wie ich ihn schrieb, in Unterwäsche auf dem Boden sitzend, Tegan und Sara hörend, und dachte: Ich bin ein Genie.“ Es ist die Grundlage der Serie und ihrer Figuren: der Zustand zwischen größenwahnsinnigen Ideen, was man erreichen könnte und einem qua Person und Ausbildung zusteht – und dem Damoklesschwert, das über dem Lebensentwurf hängt, weil, auf ernsthafte Ziele hinterfragt, nichts übrig bleibt als ein großes Fragezeichen.

Umso erstaunlicher ist es, dass Lena Dunhams enormer Erfolg in den vergangenen Jahren in keinem Widerspruch zu ihrer Serie steht. 2013 wurde sie vom Magazin Time einer der 100 einflussreichsten Menschen der Welt genannt. Girls erhielt alle wichtigen Auszeichnungen, neben der Serie produziert Dunham ein Newslettermagazin und einen Podcast, außerem hat sie ihre Biografie veröffentlicht. Im US-Wahlkampf war sie eine wichtige Unterstützerin Hillary Clintons, sprach von der Bühne zu Hunderttausenden. Und als Clinton verlor, hinterließ sie Paul Ryan, Sprecher des US-Repräsentantenhauses, eine emotionale Sprachnachricht und postete eine Aufnahme davon auf Instagram. Gleichzeitig basiert die Serie auf ihren biografischen Erfahrungen, und trotz aller Prominenz schreibt Dunham in ihrem Newsletter weiterhin von ihrer Unsicherheit beim Sex oder erzählt von ihren Therapiestunden, die sie auch bei Girls verarbeitet. Lena Dunham ist als private und öffentliche Person nicht zu trennen.

Ende einer Jugendfreizeit

Dieses Konzept macht Girls so anknüpfungsfähig. Anders etwa als die Künstlerin Beyoncé, die jüngst hochstilisierte Bilder ihrer Schwangerschaft veröffentlichte, inszeniert Lena Dunham ihre Privatheit nicht, sie reicht sie uns auf dem Silbertablett. Auch deshalb war die Serie in den vergangenen Jahren immer dann am stärksten, wenn der Fokus auf die Handlung am kleinsten war. Nervig konstruiert war die dritte Staffel mit den vielen verworrenen Handlungsschleifen, großartig hingegen die fünfte Staffel mit viel Zeit und cineastischem, ausgeruhten Bild für die Charakterentwicklung der Figuren. Unvergessen etwa die Szene, in der Jessa (Jemima Kirk) in ihre alte WG zu Hannah kommt, nachdem ihr klar geworden ist, dass ihre Ehe gescheitert ist. Hannah sitzt singend in der Badewanne, und Jessa steigt kurzerhand dazu. Dort, im Moment größter Intimität beginnt Jessa zu weinen, und Hannah bleibt still. Sie ist einfach nur da.

Es sind diese Momente, die man an Girls vermissen wird. In einem Podcast trauerten Lena Dunham und Schauspielerin Allison Williams (Marnie) nach dem letzten Drehtag über das Ende der Serie. Es ist kein Gespräch unter Kolleginnen, sondern unter Freundinnen, die gemeinsam über eine vergangene Zeit weinen wie über das Ende eine Sommerjugendfreizeit, die so nie wiederkehren wird.

Info

Die sechste Staffel von Girls läuft in den USA derzeit auf HBO. In Deutschland wird sie ab Ende April auf TNT Comedy ausgestrahlt. Lena Dunhams Newsletter kann unter lennyletter.com abonniert werden

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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