Wer wählt denn schon seinen Schlachter.“ Dies ist die wohl naheliegendste Reaktion auf die Frage, ob Homosexuelle die AfD wählen. Das schwule Szene-Heft Männer-Magazin hatte sich danach in einer nicht repräsentativen Umfrage erkundigt. Die Leserkommentare fielen entsprechend aus. Dann aber wurde die Frage anonym wiederholt und prompt wurde die AfD drittstärkste Kraft, hinter den Grünen und der Linken. Heraus kam: 16,6 Prozent machten bei der „Alternative für Deutschland“ ihr Kreuzchen. Die Homosexualität auf der einen Seite – und auf der anderen eine Partei, die vor „Gender-Wahn“ warnt und die Drei-Kinder-Familie als Lebensziel definiert: Ist das kein Widerspruch?
Der Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Frank-Christian Hansel, lebt mit seinem langjährigen brasilianischen Partner zusammen. „Die AfD ist nicht homophob“, sagt er. Der Satz ist ein Mantra der Partei. Angesprochen auf die vielen homofeindlichen Aussagen seiner Parteimitglieder, antwortet Hansel: „Idioten, die sich homophob äußern, gibt es, wie in allen Parteien, auch in der AfD.“ Was er nicht sagt: Derart menschenfeindliche Aussagen von Parteimitgliedern, etwa: man solle Homosexuelle statistisch erfassen lassen oder gleich alle einsperren, gibt es in anderen Parteien nicht. Trotzdem findet sich in der Partei sogar eine „Bundesinteressensgemeinschaft Homosexueller in der AfD“. Sie hat nach Aussage Hansels, der ihr selbst nicht angehört, geschätzte 160 Mitglieder – ohne Funktionärsposten, aber öffentlich organisiert über verschiedene Facebookseiten. In Deutschland gibt es über homosexuelle AfD-Wähler keine verlässlichen Zahlen. Eine Studie des Verbandes der Schwulen und Lesben (LSVD) kam in Berlin auf sieben Prozent. Deutlich zeigt sich das Phänomen in Frankreich: Das Recherchezentrum Cevipof der Universität Sciences Po errechnete, dass bei den Regionalwahlen 2015 rund 32 Prozent der homosexuellen Paare den Front National gewählt haben. Der Anteil lesbischer FN-Wählerinnen habe sich in fünf Jahren verdreifacht.
Liebe als Sünde
Nun kann man sich die Mitgliedschaft Homosexueller in rechten Parteien mit Karriereinteressen erklären. Die AfD ist durchlässig und unberechenbar, wer sich geschickt anstellt und die angebliche „Minderwertigkeit“ homosexuelle Lebensformen akzeptiert, kann schnell nach oben kommen. Das hat immerhin eine egoistische Logik. Was aber ist mit der Wählerschaft – Menschen, die homosexuell leben und dann jene wählen, die sie diskreditieren? Die AfD-Programmatik erklärt selbst, worum es geht. „Mein Partner und ich legen keinen Wert auf die Bekanntschaft mit muslimischen Einwanderern, für die unsere Liebe eine Todsünde ist“, stand auf einem Wahlplakat der Berliner AfD, das sie kurz vor der Wahl des Abgeordnetenhauses mit einem Laster durch die Stadt fahren ließ.
Die zentrale Motivation für den Brückenschlag zwischen Homosexualität und Rechtspopulismus ist Islamophobie, Angst vor und Hass gegen Muslime, Geflüchtete, „Fremde“. Die AfD setzt auf eine toxische Drohkulisse aus Gewaltbereitschaft und Religionszugehörigkeit, genau wie ihre Kollegen in Frankreich. Das Problem: Das Thema homofeindliche Gewalt von Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchteten bildet tatsächlich eine diskursive Leerstelle. „Man muss beides benennen – homophobe Deutsche und homophobe Migranten. Aus meiner Sicht ist die queere Szene in Berlin da zu voreingenommen. Damit tun wir uns keinen Gefallen“, sagt Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin. Die fehlende Öffentlichkeit des Themas spielt den Rechten und der AfD einfach zu leicht in die Hände.
Auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema Rechtspopulismus und LGBTI in der EU äußerte sich Volker Beck von den Grünen jüngst ähnlich. „Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, Probleme wegzudiskutieren. Homophobie von rechts und aus der Mitte der Gesellschaft muss angegangen werden, aber genauso auch bei Migrationshintergrund oder bei Muslimen, und zwar ohne die antimuslimischen Ressentiments der Rechtspopulisten zu bedienen.“ Markus Ulrich, Sprecher vom LSVD Berlin, geht noch weiter: „Das hört man nicht gerne, aber die etablierten muslimischen Verbände kämpfen auch nicht gerade an vorderster Front für Lesben und Schwule. Für viele ist Homosexualität Sünde. Das ist allerdings bei den Evangelikalen oder der katholischen Kirche nicht anders.“ Wie aber soll das Thema angegangen werden, ohne dass die AfD Argumente für ihre Zwecke instrumentalisiert?
Marcel de Groot kennt die Probleme aus seinem Berufsalltag. Die Schwulenberatung hilft Menschen, die nicht gerade „auf der Sonnenseite des Lebens“ seien, drückt es de Groot aus, Benachteiligte, Menschen ohne Job oder Wohnung, die sogenannten Abgehängten. Da tauchten dann Fragen auf wie: „Warum bekommen die Flüchtlinge eine Wohnung und ich nicht?“, oder es kursieren ungeprüfte Facebook-Berichte über antischwule Gewalt. Seriöse Medien würden von den Klienten weniger konsumiert. „Wir versuchen dann in der Beratung gegenzusteuern“, so de Groot. „Oft können wir über Vorurteile aufklären, denn wir betreuen auch Geflüchtete. Die haben es auch nicht einfacher.“ Er beobachtet in seiner Beratung eine Zunahme rassistischer Positionen, parallel zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Dafür wird der Begriff Homonationalismus bemüht, ein umstrittener Begriff aus der Queer-Theorie, der allein deshalb schief ist, weil schließlich auch nicht von Heteronationalismus gesprochen wird. Und dass ein gewisser Anteil rechter Wähler eben auch homosexuell ist, entspricht wohl schlicht dem statistischen Proporz in der Gesellschaft. De Groot sieht einen einfachen lebensweltlichen Mechanismus am Werk: „Das sind Verlierer der Gesellschaft. Da ist es dann vielleicht einfacher, anderen die Schuld zu geben.“
Herr Hansel kämpft nicht
Das Identifikationsangebot, in einem nationalen Kollektiv aufgewertet zu werden, verfängt an genau dieser Stelle. Letztlich ist ein zentraler Grund für die Orientierung nach rechts die soziale und ökonomische Klasse – und die ist mindestens ebenso wichtig wie die sexuelle Orientierung.
Das erklärt auch, warum das Argument der Solidarität nicht zieht. Nur weil man diskriminiert ist, kämpft man nicht automatisch für die Rechte der eigenen diskriminierten Gruppe. Auch bei der AfD. „Wenn ich mit meinem Mann entscheiden würde, dass wir Kinder wollen, würde ich alle Hebel in Bewegung setzen, damit wir sie bekommen“, sagt Frank-Christian Hansel dem Freitag. Bezüglich des Adoptionsrechts für Homosexuelle vertritt er in seiner Partei eine Minderheitenmeinung. Dafür kämpfen möchte er aber nicht. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: „Wenn ich mir anschaue, was weltweit los ist, reicht mir die Gleichstellung der Homosexuellen in Deutschland, so wie sie jetzt ist“, so Hansel. Auch die französischen Rechtspopulisten fahren das Programm: Akzeptanz ja, politische Forderungen nein. „Die grundgesetzlich gebotene Privilegierung von Familien mit Kindern bedeutet nicht eine negative Diskriminierung von Lebensformen mit auch theoretisch ausgeschlossener Nachwuchsproduktion“, so schreibt es Hansel auf seiner Website. Also: Die einen zu privilegieren, bedeutet nicht, die anderen zu diskriminieren? Die AfD spricht auch jene Homosexuellen an, die sich schlicht nicht für Minderheitenrechte interessieren – auch aus einer privilegierten Position heraus. Und die Bedrohung kommt immer von außen, von „den Fremden“. Sie ist tagespolitisch austauschbar, je nach Stimmungslage. Einmal müssen Frauen geschützt werden, dann sind es Homosexuelle, dann wieder die Kinder.
Ein heikles Thema
Tatsächlich meldete die Kriminalstatistik des Innenministeriums, dass homofeindliche Gewalt im Jahr 2016 um 15 Prozent zugenommen hat, das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo in Berlin lieferte noch wesentlich höhere Zahlen. Der Grund dafür sind nicht zwangsläufig mehr Übergriffe, sondern eine stärker sensibilisierte Polizei und weniger Scham von Homosexuellen, Vorfälle zu melden. Trotzdem sind viele Menschen aus anderen kulturellen Kontexten neu im Land. Muss also gefragt werden, durch wen diese Gewalt ausgeübt wird? Spielt man damit wieder den Rechten in die Karten oder hilft man, ein heikles Thema anzugehen? Oder verhält es sich am Ende ähnlich wie mit den homosexuellen AfD-Wählern – natürlich gibt es homofeindliche Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund und zugleich viele unter ihnen, die Homosexualität einfach akzeptieren?
Es gibt dazu keine Zahlen. Wenn man aber in einem prominenten Schwulenclub, dem SchwuZ in Berlin, nachfragt, erzählt Geschäftsführer Marcel Weber: „Eine Zunahme von Übergriffen durch Migranten und Geflüchtete kann ich definitiv ausschließen. Vielleicht haben die Beschwerden zugenommen. Aber da muss man einen Unterschied zwischen gefühlter Wahrnehmung und Realität machen.“ Hin und wieder wurden vermeintliche Übergriffe im SchwuZ durch Geflüchtete und Migranten öffentlich, oft in den sozialen Netzwerken. Der Club versucht gegenzusteuern, etwa indem er arabischsprachiges Personal einstellte und mit mehrsprachigen Flyern über die Hausregeln aufklärt. Mit dieser Haltung machen sich die Betreiber angreifbar. Von links kommt der Vorwurf, man betreibe teilweise Ausgrenzung und neige dazu, bestimmte Gruppen unter Generalverdacht zu stellen. Und von rechts wird instrumentalisiert. Das zeigte sich jüngst, als die „Junge Alternative“ Aufkleber im Club platzierte. Darauf stand „Nafris raus“, gestaltet im selben Stil wie die hauseigenenen Aushänge mit dem Slogan „Bitte nehmt Rücksicht auf die Nachbarn“. Wie also das Problem angehen?
Schwule Anti-Gewalt Projekte sprechen von gruppenspezifischer Prävention. Doch auch hierfür fehlen genauere Studien, wer genau die Übergriffe verübt und aus welchen Motiven. Fraglich bleibt: Wie soll Menschen aus Ländern, in denen Homosexualität verboten ist, etwas von den sogenannten Werten wie Akzeptanz erklärt werden, wenn die CDU als eine der größten deutschen Parteien Gender-Mainstreaming ablehnt? Wenn der Papst Homosexualität als Sünde bezeichnet? Oder selbst eine SPD als Juniorpartner es nicht schafft, mit der Ehe für alle und dem Adoptionsrecht für Homosexuelle endlich für echte Gleichstellung zu sorgen? Verantwortlich für den Minderheitenschutz, das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden, sind in Deutschland immer noch nicht die Muslime: Es ist die deutsche Politik. Und von sogenannten westlichen Werten zu reden, ist kein Integrationsangebot. Es ist eine Falle, welche die AfD mit ihrer antimuslimischen Stimmungsmache aufstellt. Helfen wird das niemandem.
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