Sizilianische Farce

Kommentar Die "Cap Anamur" und die Flüchtlinge

Es ist immer ein schöner Anblick, wenn zwei saubere Gutmenschen sich gegenseitig mit Dreck bewerfen. Elias Bierdel, Chef der Hilfsorganisation Cap Anamur, bezeichnete seinen Vorgänger Rupert Neudeck als "bizarren Fall von senilem Zynismus". Doch auch an Neudeck konnte sich das Herz erfreuen, etwa als er über den Erbschleicher und dessen Einsatz als Retter der christlichen Seefahrt spottete: "Das war von höherer Komik".

Dabei gebührt die Goldene Palme für die heißeste Performance zweifellos dem Newcomer und nicht, bei allem Respekt, dem Oldie. Zwar ist zwischen Bierdel und den italienischen Behörden strittig, ob die 37 Afrikaner am 20. Juni näher an Malta oder am italienischen Lampedusa von der Cap Anamur aufgefischt wurden. Unstrittig ist aber, dass das deutsche Schiff danach zuerst den Hafen von Malta angelaufen hat - am 24. Juni -, um eine andere Gruppe von Flüchtlingen an Land zu lassen. Anstatt auch alle anderen dort abzusetzen, liefen die PR-bewussten Spendensammler ab 1. Juli in italienische Hoheitsgewässer.

Auch ein cleverer Trick war die verlogene Titulierung der Flüchtlinge als Sudanesen. Nur so konnte ihr Schicksal nämlich mit der deutschen Außenpolitik verknüpft werden, die derzeit "alle Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit" (Minister Fischer) auf Sudan richten will. Deutschland versucht im UN-Sicherheitsrat noch aggressiver als die USA, Sanktionen gegen das Land durchzusetzen, maßgebliche Politiker wie Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) und der ehemalige Innenminister Gerhart Baum (FDP) befürworten gar eine Militärintervention. Um das zu begründen, braucht man menschliche Schicksale, die den Fernsehzuschauer von der Notwendigkeit einer sogenannten humanitären Nothilfe - notfalls auch mittels Bomben - überzeugen.

Diese Schicksale produziert Cap Anamur schon seit langem. Das erste Ziel der 1979 gegründeten Organisation war die Rettung vietnamesischer Boat People, die in den angeblich freien Westen flüchten wollten. 1997 war Neudeck dabei, als die US-gestützte kongolesische Opposition Diktator Mobutu aus Kinshasa verjagte. Um die Delegitimierung des Sozialismus ging es wieder beim Einsatz in Nordkorea, der 2002 spektakulär abgebrochen wurde. Besonders berüchtigt war das Balkan-Engagement: Neudeck unterstützte die anti-serbische Propaganda der NATO in Bosnien und im Kosovo vorbehaltlos. Bierdel, damals noch ARD-Korrespondent, ergänzte die Horrorgeschichten von Verteidigungsminister Rudolf Scharping mit kleinen Anekdoten vom Hörensagen. Das qualifizierte den Journalisten, im vorletzten Jahr Neudecks Nachfolge anzutreten.

Kein Wunder übrigens, dass die ewig sturzbetroffene Claudia Roth Bierdels Spektakel unterstützt. Aber musste sich auch Tobias Pflüger, der frischgebackene PDS-Europaabgeordnete, dafür hergeben? Ist das die erste Aufgabe des Parlamentariers - Publicity?


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