Chinas Wirtschaft und das Magische Meeting

Große Erwartungen "Zweifel an China" hat die "FAZ", und die internationale Presse macht Dampf. Die chinesische Führung müsse liefern. Die deutet Transparenz an. Aber wohl erst im Herbst.

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Traditionell treffen sich Chinas führende Kommunisten sich jährlich im Spätsommer im Badeort Beidaihe, einem Seebadeort in der chinesischen Provinz Hebei.

Auch in diesem Jahr.

Oder auch nicht, dem Beijinger Historiker Zhang Lifan zufolge, zitiert von der "Irish Times". Da die Gegner des KP-Generalsekretärs und Staatsvorsitzenden Xi Jinping den gegenwärtigen "Aufruhr" in der Wirtschaft und an den Börsen zum Anlass nehmen könnten, die Autorität des zentralen Machthabers herauszufordern, werde das jährliche Spätsommertreffen möglicherweise gar nicht erst stattfinden.

Und Wang Zhanyang, ein Professor am Institut für Sozialismus (einer United-Front-Einrichtung nichtkommunistischer Parteien unter Führung der KP, vom Irish-Times-Korrespondenten offenbar verwechselt mit der zentralen Parteischule der KP Chinas), glaubt überhaupt nicht, dass das Treffen stattfinden werde.

Die Liste einander widersprechender Einschätzungen ließe sich fortsetzen. Und bei diesen geht es nur um die Frage, ob ein Termin (kollektiv) wahrgenommen werde oder nicht. Weitaus unübersichtlicher sind die Themen, die dort zu behandeln wären, wenn denn die jährliche Strandroutine beibehalten wird.

Es gäbe einen Präzedenzfall für eine Absage: Xi Jinpings Vorgänger als Staats-, Partei- und Militärchef, Hu Jintao, strich den Termin vor zwölf Jahren aus dem Kalender des Führungskollektivs. Möglicherweise fürchtete er, insbesondere die Parteiveteranen und sein unmittelbarer Amtsvorgänger Jiang Zemin könnten allzu viel informellen Einfluss auf die Politik der Aktiven nehmen oder gar seine komplette Agenda über den Haufen werfen.

Die Frage, die in diesem Sommer an das Stattfinden der Beidaihe-Meetings geknüpft wird, lautet mithin: ist Xi Jinping noch der "starke Mann" Chinas? Der Parteichef mit der größten Machtfülle seit Mao Zedong, oder jedenfalls seit Deng Xiaoping?

https://justrecently.files.wordpress.com/2014/12/anti_corruption_voodoo.jpg?w=692&h=1035Traut er sich das nochmal? Xi Jinping bekämpft die Korruption auch bei den Spitzenkadern - jedenfalls, wenn sie seine Gegner sind. Hier Zhou Yongkang, bis zu seinem Ruhestand 2012 Herr über die "öffentliche Sicherheit" in China.

Was macht eine Redaktion, der zu einem relativ komplexen Thema nichts einfällt? Sie ruft bei ein paar "Denkfabriken" (think tanks) an. Scott Kennedy, zum Beispiel, vom Centre for Strategic and International Studies.

Der sagt - laut "Economist" -, Xi habe keine Angst vor Beidaihe. Die Treffen in der Sommerfrische würden Xi Jinping vielmehr Gelegenheit geben sicherzustellen, dass alle auf der gleichen Wellenlänge seien wie er selbst.

"It's decision time", rief die "South China Morning Post" (SCMP) Ende Juni aus Hong Kong: während offiziell das Zentralkomitee der KP Chinas jährlich im Herbst seine Entscheidungen in Beijing treffe, falle diese Funktion in Wirklichkeit den ebenfalls jährlichen Treffen der führenden Kommunisten in Beidaihe zu.

In Beidaihe werde in diesem Jahr der Rahmenentwurf des 13. Fünfjahrplans (Geltung ab 2016) erstellt, den das ZK dann im Herbst diskutieren und der Staatsrat weiter bearbeiten werde. Die Zukunft des staatlichen Sektors in der Wirtschaft - also die Staatsbetriebe - seien ebenfalls ein wahrscheinliches Thema, zitiert die SCMP Steve Tsang von der School of Contemporary Chinese Studies an der University of Nottingham. Was sonst noch? die SCMP nennt den Börsencrash. Das (kaum erreichbare) Jahresziel von sieben Prozent Wachstum. Die Korruptionsbekämpfung, oder die "neue Viererbande" (Bo Xilai, Zhou Yongkang, Xu Caihou, und Ling Jihua.

Zitiert werden im Artikelverlauf außerdem Jing Ulrich, vice-chairwoman of Asia Pacific at JP Morgan, Linda Lim von der Ross School of Business an der University of Michigan, und Li-Gang Liu, Chefökonom für Chinaangelegenheit beim ANZ Research.

Sowohl die SCMP als auch der "Economist" hoffen - im Tenor - auf wirtschaftliche Liberalisierungstendenzen.

Und aus Beijing wird den Untertanen in Hong Kong Antwort - jedenfalls liest sich ein bei Xinhua veröffentlichte, der Ansage nach von der Liaowang-Institution verfasste, humoristisch gefärbte Artikel wie eine Erwiderung, in der die ganze SCMP-Themenliste nochmals wiedergegeben wird: allerdings nur in Stichworten, und in einer für das festlandchinesische Publikum politisch deutlich entschärften Form.

Ja sicher, so der Artikel: es habe in Beidaihe große Beschlüsse gegeben, und nach und nach sei der Ort in einem gewissen Maß ein politisches Barometer Chinas geworden. Aber die Aufregung, nachzulesen an jedem Zeitungskiosk, über das angeblich geheimste Meeting Chinas, sei doch wohl übertrieben fantasievoll. Schließlich seien die Wege der chinesischen Politik zunehmend transparent und routiniert geworden, und das ganz besonders mit der Acht-Punkte-Vorschrift.

Kurz: die Bedeutung der Treffen werde überbetont. Das Politbüro sei bereits am 20. und am 30. Juli zusammengetroffen, und man dürfe wohl davon ausgehen, dass Themen wie der 13. Fünfjahrplan, die fünfte Plenarsitzung des amtierenden Zentralkomitees, die Wirtschaftspolitik, die Bekämpfung der Korruption bei führenden Kadern und andere tagespolitische Punkte ein ums andere Mal besprochen worden seien.

Das stimmt, soweit es die schließliche Veröffentlichung der Beschlüsse betrifft, die das ZK im Herbst - vermutbar im November - veröffentlichen wird. In dieser Hinsicht ist die Beijinger Politik tatsächlich "transparent" - jeder, der darüber Bescheid wissen will, kann das im Internet nachlesen. Über die Prozesse aber, die zu diesen Beschlüssen hinführen, weiß auch die schlauste Denkfabrik nichts.

Vielleicht ist das just der Grund dafür, dass Xi Jinping gerne mehr chinesische Denkfabriken hätte, die in der SCMP oder im "Economist" genauso viel zu labern haben wie die etablierten amerikanischen. Und Liaowang darf zwar für Partei und Staatsrat denken und ihnen kluge Denkschriften und Pläne zusenden - aber darüber, was dort mit diesen Plänen gemacht wird, wissen sie einstweilen ebenso viel oder wenig wie ihre ausländischen Denkfabrik-Kollegen.

Trotzdem darf man natürlich prognostizieren. Es ist obendrein ziemlich unriskant. Zwei Wochen später sind die meisten Prognosen vergessen, und bis zum Herbst erst recht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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