Den Bürgern sagen, was auf sie zukommt?

Hauptsache beherrschbar Dem Hörensagen nach ist die Bundesrepublik noch immer nicht "souverän". Dabei hat sie ihre Souveränität noch gar nicht ausprobiert - Terrorismusbekämpfung geht vor.

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Eins der wichtigsten, weil beruhigendsten Begriffe in der gegenwärtigen deutschen Sprache dürfte das Wort beherrschbar sein. Wenn zum Beispiel Wolfgang Schäuble ein Griechenland-Szenario für beherrschbar hält, genügt (in Deutschland) eine Meldung von 62 Worten. Überzeugungsarbeit überflüssig, Vertrauen greift Platz.

Für ein weiteres Schreckgespenst der deutschen Öffentlichkeit, den Terrorismus, gilt Ähnliches, und man muss nicht einmal legendäre Terrorismusbekämpfer wie Helmut Schmidt oder Horst Herold fragen, wie man den Terrorismus am besten beherrschbar macht. Da hilft unter Umständen schon ein Kolumnist, wenn er nur den Eindruck erweckt, er wisse, wovon er schreibt. Wenn Menschen den Eindruck gewinnen, dass sie der Staat nicht wirksam schützen kann, wenden sie sich von ihm ab, schrieb der "Spiegel"-Redakteur Jan Fleischhauer nach dem Anschlag auf die Charlie-Hebdo-Redaktion im Januar. Entstünde aber dieser Eindruck der Schutzlosigkeit, so wäre das für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit weitaus fataler als ein paar Revisionen beim Datenschutz, so Fleischhauer. Was wohl soviel heißen sollte wie: besser, man tut was.

Gemeint war mit den "Revisionen" die inzwischen vom Bundestag verabschiedete und demnächst wieder einmal von den Gerichten zu überprüfende Vorratsdatenspeicherung.

Fleischhauer ist kein Sicherheitsexperte. Aber er ist auch kein Dummkopf. Er schaffte es in seinem Überwachungsplädoyer, sowohl etwas sehr Vernünftiges zu sagen, als auch die Vernunft sofort auf die Bretter zu schicken. Das ging ganz einfach, per Sekundenplebiszit. Es sei nämlich eine Binsenweisheit, so der Kolumnist,

dass es totale Sicherheit in einer offenen Gesellschaft nicht geben kann, weil der Preis für diese Sicherheit die Aufgabe der Freiheit wäre, die es ja gerade zu schützen gilt. Aber zwischen totaler Kontrolle und dem Aufbewahren von ein paar Datensätzen, über deren Freigabe ein Richter wacht, liegen Welten. Wer schon die Erlaubnis dazu für eine unzulässige Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit hält, sollte den Bürgern zumindest sagen, was auf sie zukommt.

Den Bürgern sagen, was - aus diesen oder anderen Gründen - auf sie zukomme. Super Idee. Damit kann die Rechtsstaatlichkeit einpacken. Denn wie sagte der Kabarettist Volker Pispers vor etwa acht Jahren:

Wovor haben Sie Angst? Vor al-Kaida? Hundertfünfzigtausend Deutsche sterben jedes Jahr an den Folgen von Rauchen. Fünfzigtausend Deutsche sterben an den Folgen von Saufen. Man darf wohl sagen, allein [Name einer unbescholtenen Bierbrauerei] dürfte erfolgreicher sein als Al Kaida.

Wobei Pispers - mutmaßlicher militanter Nichtraucher - geflissentlich übersah, dass ein halbwegs gesundheitsbewusster Deutscher vor einer Zigarette immerhin fast so viel Angst und Abscheu empfindet wie gegenüber einem Sprengstoffgürtel. So schont man die Pointe.

Bisher - in den ersten 66 Jahren der Bundesrepublik - gilt, dass die Zivilgesellschaft gelegentlich (noch?) ausfällt. Dann sind es die Richter, die die Grundrechte vor übergriffigen Politikern, Terroristen und "harmlosen" Spießbürgern, die angeblich für nix was können, retten.

Es sind hingegen "ganz normale Menschen", auf die sich die illiberalen Kräfte der Bundesrepublik bei ihrer Arbeit verlassen dürfen. "Ganz normale Menschen", die es zum Teil sogar schaffen, sich als erstes darüber aufregen, dass nicht "alles" gegen den Terrorismus getan werde, und als zweites darüber, das "der Ami uns überwacht".

Da kann die Bundespolitik machen, was sie will; doof ist es so oder so. Kündigt sie Amerika seine Spionagegrundlagen in Deutschland, oder schränkt sie diese auch nur ein, muss nur eine Rucksackbombe auf einem Bahnhof explodieren, und Maas oder Maizière sind schuld. Wenn sie nämlich auftragsgemäß den Amerikanern die Spionagegrundlagen gekündigt haben, und wenn die Presse den "ganz normalen Menschen" erzählt, dass die Bundesregierung das nie hätte tun dürfen, denn jetzt haben wir den Salat.

Und kündigt die Bundespolitik Amerika die Spionagegrundlagen nicht, dann ist Deutschland "noch nicht mal ein souveräner Staat".

So lange aber Deutschland seine staatliche Souveränität mehrheitlich gar nicht nutzen will, gibt es keinen guten Grund zu behaupten, die Siegermächte des 2. Weltkriegs setzten dieser Souveränität Grenzen. Grenzen setzt ihr die Angst zu Hause: nicht Angst vor einer amerikanischen Vergeltung, sondern Angst vor al Kaida.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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