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Braucht Hong Kong ein Auslieferungsgesetz, und warum nicht?

Beginnen wir mit dem Buchstaben "S", wie "Schweden". Oder "C" wie China. Minhai Gui, auch bekannt als Michael Gui, Hong Konger Verleger und schwedischer Staatsbürger, wurde im Januar 2018 zum wiederholten Male entführt; seinerzeit einem Bericht des "Guardian" zufolge aus einem Schnellzug von Shanghai nach Beijing, während eines Zwischenstopps in Jinan, Provinz Shandong. Gui reiste in Begleitung zweier schwedischer Diplomaten.

Es war nicht sein erstes "Verschwinden" - im Oktober 2015 passierte ihm offenbar in Thailand Ähnliches. Begründet wurde seine damalige freiwillige oder unfreiwillige Ausreise mit einem etwa zwölf Jahre zurückliegenden Verkehrsunfall in China, bei dem er betrunken gewesen sei.

In einem Begleittext zu einem "Exklusivinterview" Guis hatte das chinesische Fernsehen CCTV 2016 geschrieben:

Der 51jährige Minhai Gui machte vor über zehn Jahren Geschäfte im Inland. Er besaß einen schwedischen Pass. Hätte es nicht vor dreizehn Jahren jenen Fall betrunkenen Fahrens gegeben, hätte es wohl im Leben Guis selbst und dem einer anderen Familie nicht einen derartig enormen Wendepunkt gegeben.

今年51岁的桂敏海十几年前曾在国内经商,并且拥有瑞典国籍,如果不是因为13年前的那一次醉驾,桂敏海本人和另外一个家庭的命运也不会发生如此巨大的转折。

Dazu veröffentlichte CCTV das Datum und die angeblichen Begleitumstände des Unfalls, Reaktionen der Polizei und von Familienangehörigen, sowie Auszüge des "Interviews".

Für den Inlandspropagandagebrauch genügte das - zwar trauen die meisten Chinesen ihren Staatsorganen jede Schandtat zu; in China lebenden Luxusexpats aber auch nicht weniger.

Eine englischsprachige Darstellung des Onlinemagazins "Quartz" zu den Abläufen 2016 findet sich hier.

Nach einer Verurteilung zu einer - zur Bewährung ausgesetzten - zweijährigen Haftstrafe sei noch ein Zivilverfahren gegen Gui anhängig gewesen, so CCTV, und dem habe sich Gui durch Flucht entzogen. Dazu habe er einen geliehenen Ausweis verwendet, da er während der Bewährungsphase das Land nicht habe verlassen dürfen.

Dann aber sei sein Schuldbewusstsein immer größer geworden.

Während Minhai Gui floh, hinterließ er zwei alte Menschen [die Eltern des Unfallopfers] in unendlichem Leid zurück, und auch für den sich seiner Verantwortung entziehenden Minhai Gui war es nicht leicht. Dieser Fall wurde nicht vergessen, und wurde zu einem Stein, der sein Herz mehr und mehr belastete.

桂敏海一走了之,留下的却是两位老人11年来的无尽痛苦,而这11年的时间,对于一直想逃避责任的桂敏海来说也不轻松,这件事情非但没有随着时间的推移被遗忘,反而成为了压在他心头的一块石头,且越来越重。

Außerdem habe Gui die Tatsache belastet, dass er seine alte Heimatstadt - die Stadt seiner Ahnen - nicht mehr habe besuchen können. Als sein Vater starb, habe er sich nicht um ihn kümmern können. Das habe ihn zur Besinnung gebracht.

Gui Minhai sagte, als er sich fest entschloss, nach China zurückzukehren, sei er gut darauf vorbereitet gewesen, die Verantwortung für sein Handeln auf sich zu nehmen. Als er sich im Oktober 2015 den festländischen Behörden auslieferte, habe er allerdings nicht erwartet, dass es einige Menschen mit Hintergedanken geben könne, die daraus einen Hype machen würden.

桂敏海说,当他下定决心回国自首的那一刻,也准备好了对自己的行为承担法律责任。2015年10月,桂敏海向内地公安机关投案自首,然而令他没有想到的是,有些别有用心的人却拿着他的这件事情来炒作。

Meine Rückkehr nach China ist also meine eigene Wahl. Sie hat mit niemandem sonst zu tun, und ich möchte weder Einzelpersonen oder Institutionen, auch nicht aus Schweden, die sich in meine Heimkehr einmischen. Obwohl ich einen schwedischen Pass habe, fühle ich mich doch ganz klar als Chinese, und meine Wurzeln sind immer noch in China. Ich hoffe daher, dass Schweden meine persönliche Wahl, mein Recht auf meine persönliche Wahl, und meine Privatsphäre, respektiert und mich meine Probleme selber lösen lässt.

"那么,回国自首是我个人自愿的一种选择,和任何人没有关系,我也不希望任何个人和机构,包括瑞典方面介入或者干涉我回国的事情。我虽然有瑞典国籍,但是我真切地感到我还是一个中国人,我的根还是在中国。所以我希望瑞典方面能够尊重我个人的选择,尊重我个人选择的权利和隐私,让我自己解决我自己的问题。"

In irgendeiner Weise sollten laut chinesischer Lesart alle fünf aus Hong Kong verschwundenen Buchhändler oder Verleger "verdächtig sein, in einen Fall verwickelt zu sein, der eine Person namens Gui betrifft," erklärte die Hong Konger Polizei im Februar 2016 laut "Time".

Ob Gui seine Meinung im Januar 2018 geändert hatte, oder ob die zwei schwedischen DiplomatInnen im Schnellzug Shanghai-Beijing sich ihm aufgedrängt hatten, bleibt einstweilen ungeklärt. Ein Hong Konger Auslieferungsgesetz jedenfalls, das dem chinesischen Fernsehen einige Produktionsstunden - und die chinesische Botschaft in Stockholm viel Arbeit - ersparen könnte, wird es einstweilen wohl nicht geben.

Braucht China "Soft Power"?

Vielleicht schon, aber nach Früchten, die einstweilen zu hoch hängen, muss man sich nicht strecken, es sei denn übungshalber.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

JR's China Blog

Ich bin ein Transatlantiker (NAFO)

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