Wenn gesagt wird, Ereignisse wie die der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof dürfen sich nicht wiederholen: wer wollte dem widersprechen?
Wenn gesagt wird: Ereignisse wie die der Silversternacht am Kölner Hauptbahnhof werden sich nicht wiederholen: wer will dem zustimmen?
Die Welt - oder jedenfalls dieses Land - müsste sich mächtig umstellen, bevor die zweite Aussage auch nur den Hauch einer Chance bekäme, wahr zu werden.
Bei Statistiken ist Vorsicht geboten - je politisch und gefühlsmäßig aufgeladener das Thema, desto schwieriger gestalten sich Objektivierungsversuche aller Art. Nicht zuletzt die Offenheit, mit der Probleme thematisiert werden können, haben Einfluss auf die Datenlage - und Offenheit ist eine Sache des Bewusstseins - auch des Selbstbewusstseins.
Im Zusammenhang mit sexueller Gewalt (Vergewaltigung oder versuchte Vergewaltigung) zitierte vor knapp zwei Jahren die "taz" die Autoren einer Studie zu sexueller Belästigung von und sexueller Gewalt gegen Frauen,
Kulturelle Unterschiede im Umgang mit Gewalt hätten einen Einfluss darauf, wie offen Frauen dieses Thema ansprechen. Bei stärkerer Gleichberechtigung der Geschlechter herrsche deutlich mehr Bewusstsein und es gebe mehr Anzeigen.
Die Studie enthält Situationsbeschreibungen, die man(n) nicht auf sich wirken lassen muss, aber wirken lassen darf. Das hilft mitunter auch dabei, eine unerfreuliche Hartnäckigkeit bei Frauen zu verstehen, die den Status Quo einfach nicht hinnehmen wollen, und die sich auch nicht mit der Aussicht auf eine Weltrevolution vertrösten lassen möchten, nach der ohnehin alle Machtstrukturen beseitigt wären.
Kein Mann muss Bekenntnisse ablegen zu seiner Gewaltfreiheit oder zu seinem guten Willen dazu. Man darf den guten Willen für gewöhnlich voraussetzen. Auffallend nur, wenn Männer zwar einen Bekenntniszwang für sich selbst empört zurückweisen; von Muslimen aber Bekenntnisse zur Gewaltlosigkeit verlangen - mit dem Hinweis, selbstverständlich habe die Unterdrückung von Frauen etwas mit dem Islam zu tun.
Wenn es stimmt, dass Unterdrückung von Frauen und Islam etwas miteinander zu tun haben - und die Annahme ist ja legitim -, dann ist es auch legitim zu sagen, dass Unterdrückung von Frauen viel mit Männern zu tun habe.
Das eine ist keine Diskriminierung gegen Muslime, und das andere ist keine Diskriminierung von Männern. Beides sollte man(n) aushalten können.
Antje Schrupp schrieb in den letzten Tagen ein Plädoyer, dessen Stärke darin besteht, dass es - anders als die Bericht- und Meinungserstattung insgesamt - zeitlos ist und nicht mit jeder neuen Kölner Nachrichtenlage oder jeder neuen Kenntlichmachung des Verdächtigenkreises umgeschrieben werden muss:
Machen wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit klar, dass Frauen sich anziehen und bewegen können, wie sie wollen, und niemand deshalb zu Übergriffen (oder dummen Kommentaren) irgendeiner Art berechtigt ist. Gewöhnen wir es uns an, bei anzüglichen Witzen, sexistischen Sprüchen und übergriffigem Auftreten immer und sofort zu intervenieren: Und zwar nicht nur wir Frauen, sondern auch die Männer, die ihresgleichen dabei konsequent in die Schranken weisen müssen. Ganz egal, welche Herkunft, Religion oder kultureller Hintergrund dabei im Spiel sind – oder wie viel Alkohol.
Mir sträuben sich sanft die Haare, wenn Jacques Schuster, Chefkommentator der "Welt", eine Wende in der Flüchtlingspolitik als eine Art Lehrbeispiel für wehrhafte Demokratie bemüht. Dabei schlägt sich sein Fallbeispiel doch gleich selbst: Vor anderthalb Monaten zitierte Jacques Schuster den Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Josef Schuster, mit der Bemerkung,
Viele der Flüchtlinge fliehen vor dem Terror des Islamischen Staates und wollen in Frieden und Freiheit leben, gleichzeitig aber entstammen sie Kulturen, in denen der Hass auf Juden und die Intoleranz ein fester Bestandteil sind. Denken Sie nicht nur an die Juden, denken Sie an die Gleichberechtigung von Frau und Mann oder den Umgang mit Homosexuellen.
Für diese Aussagen habe Josef Schuster einen Spießrutenlauf erlebt, so der Welt-Kommentator heute. Wie ein ausgehungertes Wolfsrudel habe sich fast die gesamte deutsche Öffentlichkeit auf Josef Schuster gestürzt.
Also, erstens ist das Stuss. Das war nicht mal die Hälfte der deutschen Öffentlichkeit. Zur deutschen Öffentlichkeit gehören ferner neben denen, die das zur Kenntnis nahmen und nichts dazu sagten, auch noch jede Menge Leute, die weder das Interview vor sechs Wochen noch die Reaktionen darauf überhaupt kannten - ich zum Beispiel habe heute nachmittag zum erstenmal davon gelesen, und dabei bin ich politisch sehr interessiert.
Zweitens aber: wie soll eine Öffentlichkeit, die auf Josef Schusters Bedenken überwiegend wie ein Wolfsrudel reagiert haben soll, nun zur demokratischen Besinnung gekommen sein? Funktionierende Demokratie setzt ein gewisses Reflektionsvermögen voraus, und die Vorstellung, dass die Kölner Silvesterereignisse einer solchen Fähigkeit Vorschub geleistet haben sollen, ist albern.
Die Kölner Silvesterereignisse verändern nicht viel - jedenfalls nicht zum Besseren. Wenn sich etwas ändern soll, ist Schrupps Appell wesentlich zielführender.
Kommentare 20
Man kann niemals denselben Fuß in den gleichen Fluß stellen, meinte der Höhlenbewohner Heraklit, alles fließt. Pantha Rhei. Obwohl mir irgendwie gerade nicht danach ist, den Fuß in die Werse, das hiesige Flüsschen, zu tauchen, so würde es anderes Wasser sein in das ich später, wieder lieber nicht, den Fuß setzen würde.
greetings from the pit -abghoul
***** sehr guter, ausgewogener Blog. Balsam zu lesen, in dieser aufgeheizten Stimmung. Dank!
@ JR´S Beitrag speziell zu:
"...Funktionierende Demokratie setzt ein gewisses Reflektionsvermögen voraus, und die Vorstellung, dass die Kölner Silvesterereignisse einer solchen Fähigkeit Vorschub geleistet haben sollen, ist albern." (Zitatende)
Auch auf die Gefahr hin auf die Nerven zu fallen, aber:
Weshalb die Beschäftigung mit der eingestandesnen Tatsache (!) , dass zumindest versucht wurde, durch bewusstes Verschweigen die Realität falsch darzustellen (alo zu "lügen", auch wenn dieses Wort banal und unintellektuell klingen mag) -
weshalb diese Tatsache die"demokratische Öffentlichkeit NICHT
dazu bringen soll(oder gebracht haben soll) , sich zu besinnen
ist zumindest mir unerfindlich.
Und dass diese Silvesterereignisse nach des Autors Meinung nicht viel verändern sollen , finde ich nicht nur albern , sondern bedenklich. Denn man könnte zu dem Schluss gelangen, dass der Autor der Meinung ist, dass solches Handen in der hiesigen "funktionierenden Demokratie " der Normalfall sei oder gag sein solle.
Und übrigens: Ich bin vermutlich nicht ganz so politisch interessiert, wie der Autor. Trotzdem hatte ich von dem Interview gehört.
Das ist der eindeutige Beweis dafür, dass mehr als die Hälfte der deutschen Öffentlichkeit sich (auf Josef Schuster ) gestürzt haben.
Ist doch logisch. (Man verzeihe den Sarkasmus)
Gut finde ich, dass einige Debatten, die - s. Antje Schrupp - von "zeitloser Schönheit" sind - mal wieder aufs Tapet kommen, obwohl der Anlass wieder wenig ermutigend ist. Das sind Debatten für die man hier beim Freitag permanent demonstrativese Gähnen und Abwehr erntet.
Schlimm finde ich, dass dass der politische Umgang mit dieser schrecklichen Geschichte bestimmt ist vom Bemühen, die öffentliche Debatte zu ändern. Die Rede ist vom Tabubruch, vom Wandel in der Politik usw. und von der Umkehr von Merkels Flüchtlingspolitik.
Ich sehe gerade den internationalen Frühschoppen. Da wird darum auch gestritten.
Der Justizminister hat jetzt erklärt, er vermutet hinter "Köln" eine geplante Aktion, wie die Süddeutsche und andere berichten.
Ich denke das auch. Ich halte das alles für eine üble Mischung aus Intrige und blöden, brutalen Helfern, die dabei agieren.
Menschenrechte EU hat dazu noch einmal zusammengefasst, dass die Kölner Übergriffe überhaupt nicht allein stehen. Allerdings - vor dem Hintergrund der VErmutungen von Heiko Maas - erscheinen sie in der Tat einzigartig, weil geplant und systematisch.
Und immer wieder wird auch betont, dass es nicht nur in muslimischen Ländern Frauenverachtung gibt. Auch in Ländern wie Indien wird immer wieder auf brutale Vergewaltigungen verwiesen. Überall wo patriarchale Verhältnisse so eisern verteidigt werden, sind solche Brutalitäten und Frauenverachtung zu beobachten.
"Wenn es stimmt, dass Unterdrückung von Frauen und Islam etwas miteinander zu tun haben - und die Annahme ist ja legitim -, dann ist es auch legitim zu sagen, dass Unterdrückung von Frauen viel mit Männern zu tun habe."
Obwohl ich mit der Tendenz und der eigentlichen Aussage Ihres, sowie des diskutieren Freitag Artikels d'accord bin, kann ich der Logik dieses Vergleiches nicht wirklich zustimmen. Zum einen deswegen, weil die Gruppen, die hier zueinander in eine äquivalente Beziehung gesetzt werden, nicht in diesem Verhältnis stehen. Die Gruppen: Frauen, Männer und Islam lassen sich nicht so miteinander vergleichen. Frauen können gleichzeitig Mitglied der Gruppe Islam und der Gruppe Frauen aber nicht gleichzeitig Mitglied der Gruppe Frauen und der Gruppe Männer sein. Wenn es nicht um ein ein erweitertes Verständnis dieser Zuordnungen geht, für das ich mich stark machen würde, das aber in diesem Fall sicher nicht das zur Debatte stehende Thema ist. Das ist aber auch nur das schwächere Argument. Das stärkere ist, das Frauen dem Islam keine Gewalt antun können, selbst wenn umgekehrt der Islam mit der Gewalt Frauen gegenüber in Verbindung gebracht werden kann. Dieses Verhältnis gilt aber nicht für die Beziehung, die Frauen Männern gegenüber haben können und die sie Männern gegenüber auch konkret reproduzieren. Selbst wenn diese Formen der Gewalt unter den meisten Umständen nicht körperlicher Natur sind, so sind sie, meiner Erfahrung nach, doch alltäglich. Weshalb sowohl die logische, als auch die die konkrete Grundlage für diesen Vergleich in meinen Augen eher schwach ist. Das ist, glaube ich, nicht unwichtig, um viele der heftigen Gegenreaktionen auf den Artikel von Antje Schrupp angemessen beurteilen zu können. Und in meinen Augen gilt das gerade, wenn man seinen grundsätzlichen politischen Aussagen zur Gewalt in der Kölner Silvesternacht zustimmen kann.
Das Schockierende an Köln war doch nicht, dass es zu einzelnen frauenverachtenden Belästigungen und Übergriffen kam? Die gab es ja in dunklen Ecken und alkoholgeschwängerten Feststimmungen in der Tat auch schon vorher ...
Das für mich (aus der Ferne) persönlich Schockierende war die geballte Zusammenrottung vieler Hundert gleichgesinnter Straftäter, Dulder, Unterstützer, die ganz offen, dreist, laut und unbehelligt über viele Stunden an einem zentralen Ort des Landes ihre hemmungslose, perverse, verbrecherische Gegenwelt aufbauen und geballt Jagd auf wehrlose Frauen machen konnten.
Das hatte schon etwas von einem Überfall einer Armee, Bande, ..
Wer hat denen den Glauben gegeben, so etwas zu dürfen, für so etwas nicht geschnappt oder relevant bestraft zu werden? Welche und wieviel Verachtung, Geringschätzung für die Opfer, die Polizei, den Staat und unsere Gesellschaft konnten entstehen und so offen ausgelebt werden?
Das für mich (aus der Ferne) persönlich Schockierende war, dass die Opfer völlig wehrlos den Belästigungen und Verbrechen ausgesetzt und das obwohl Hunderte Menschen drumherum standen und die Polizei in der Nähe waren. Und diese Wehrlosigkeit und Massenbedrängung gibt Köln ein einzigartiges, erschreckendes Wesen. Auf der Wiesn können Frauen Hilfe sicher sein, um einen einzeln Übergriffigen nicht schutzlos ausgeliefert zu sein ..
Diese Massenverbrechen und Jagd auf Menschen erinnern mich an rechtsradikale Jagd und Brandstiftungen auf Ausländer nach der Wende. Auch damals erdreisteten sich einzelne Verbrecher in nahezu unbehelligten Verbrecher-Gruppen Jagd auf Menschen zu machen. Auch damals machte der Pöbel mit .. sie wurden ermutigt, dass so etwas gehen würde in DEU.
Damals haben diese Verbrechen auch das Land schockiert und mehr Verständnis für Ausländer und das Asylrecht bewirkt.
Ich weiß nicht, was Köln verändern wird. Einzelne Straftaten, Vergewaltigungen durch Ausländer, durch Flüchtlinge hätten die Bevölkerung wohl nicht schockieren können. Niemand erwartet, dass Ausländer, Flüchtlinge anders wären .. aber dass sich so viele Hundert Menschen, ausländische Gäste oder Asylbewerber oder Flüchtlinge für derartige Verbrechen so dreist und offen zusammenrotten, und für Stunden die Verbrechens-Macht übernehmen .. das ist sicher auch für Gutmütige ein Schock.
Ich hoffe sehr, dass es gelingt, diesen erschreckenden Verbrechens-Exzess als Fehler der Integrations- und Polizei- und Justizpolitik zu analysieren und künftig zu verhindern, dass nicht die Hilfe für unschuldige Flüchtlinge leiden muss.
Als ich dieses gelesen hatte, ging es nicht mehr anders, ich musste mich hier anmelden.
Denn es gibt für mich nichts schöneres, als Menschen, deren Weltbild in Gefahr ist, zu ermuntern, sich nicht einschüchtern zu lassen von Rassisten, Chauvinisten, Antifeministen, Nationalisten, Faschisten, Nazis und was am schlimmsten ist, von Zweiflern und Skeptikern und Andersdenkenden. Die Zweifler, Skeptiker und Andersdenkenden sind glaube ich die schlimmsten. Diese sind vollautomatisch, eigentlich schon genetisch bedingt, vor allem wenn sie deutsch sind, identisch mit den zuerst genannten Gruppen.
Deshalb möchte ich auf die Argumentationshilfe für Sie, stammden von Birte-Erdmute Lurch-Bäumler, Vorsitzende des Verteilvereins ‘Mehr Bärchen für Flüchtlingsmänner’ verweisen:
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/lecker_maedche
Der Justizminister hat jetzt erklärt, er vermutet hinter "Köln" eine geplante Aktion, wie die Süddeutsche und andere berichten.
Ich verstehe Maas so, dass er einen mehr oder weniger politischen Hintergrund hinter den Angriffen vermutet.
Das kann ich aber so nicht nachvollziehen - abgesehen davon natürlich, dass ein Flashmob, auch ein zu kriminellen Zwecken zusammengerufener, nicht unorganisiert ist. Man legt einen Ort und Zeitpunkt fest - das habe ich mir aber auch nie anders vorgestellt.
Das Spin-Doctoring ist bedauerlich. Bedauerlich finde ich auch, dass viele Normalbürger, die solche Methoden der politischen Klasse missbilligen, sie selbst anwenden, sobald sie ihnen in den Kram passen. Aber das nützt nun mal nichts; das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Das sind Debatten für die man hier beim Freitag permanent demonstrativese Gähnen und Abwehr erntet.
Klar. Jede Indifferenz und Kaltschnäuzigkeit ist OK; es sei denn, man selbst hätte unter ihr zu leiden. Solidarität bleibt für viele Zeigenossen ein Buch mit sieben Siegeln.
Die Gruppen: Frauen, Männer und Islam lassen sich nicht so miteinander vergleichen. Frauen können gleichzeitig Mitglied der Gruppe Islam und der Gruppe Frauen aber nicht gleichzeitig Mitglied der Gruppe Frauen und der Gruppe Männer sein.
Soweit verstanden - aber wie sähe das erweiterte Verständnis der Zuordnungen aus? Ist das in dem Sinne, dass auch Männer ihre Prägungen nicht aus sich heraus erfinden, sondern aus einer patriarchalischen Welt erben, die sowohl von Männern als auch von Frauen im Gang gehalten wird?
Das stärkere ist, das Frauen dem Islam keine Gewalt antun können, selbst wenn umgekehrt der Islam mit der Gewalt Frauen gegenüber in Verbindung gebracht werden kann. Dieses Verhältnis gilt aber nicht für die Beziehung, die Frauen Männern gegenüber haben können und die sie Männern gegenüber auch konkret reproduzieren.
Das scheint mir zu stimmen. Allerdings gibt es - meiner (vielleicht sehr ländlich geprägten) Wahrnehmung nach eine Art Gewalt, die fast immer männlich geprägt und gegen Frauen gerichtet ist. Und es gibt Gewalttaten, für die der Islam als Rechtfertigung angeführt wird.
Die Parallele zwischen beidem ist aus meiner Sicht, dass sich über die Verbindung von Mann --> sexuelle Gewalt und über die Verbindung Moslem --> islamistische Gewalt im Sinne eines "Das geht dich an" zwar streiten lässt, dass aber ein Mann, der dieses "das-geht-dich-an" abstreitet, nicht gut daran tut, einem Moslem just diese Art Zuständigkeit für die Islamismusbewältigung anzutragen - weil sich das beißt.
das ist sicher auch für Gutmütige ein Schock
Ja, vielleicht. Ich sollte dazu sagen, dass ich zwar guten Willens, aber auch relativ zynisch bin. Einen Überfall mit Abfummeln habe ich - just in Köln - schon in den 1990ern erlebt (was mir peinlich war: mit einer Gruppe von Chinesen). Auch das passierte beim Verlassen des Hauptbahnhofs - allerdings dauerte das nicht besonders lange und war nicht entfernt von solcher krimineller Energie geprägt. Auch diese Täter waren rund ein, zwei Dutzend Menschen gewesen, bei denen sich Migrationshintergrund vermuten ließ.
Was mich ernsthaft stört: wenn die Polizei im Silvesterfall Informationen zurückhält, bezeichnet man das als das, was es ist: eine Sauerei, und (hoffentlich) ein Dienstvergehen.
Aber wer macht sich in der Bevölkerung (noch) einen Kopf um die Frage, was in der NSU-Affäre alles unterm Tisch bleibt?
Ich bleibe dabei: man kann sich durchaus auch aussuchen, worüber man sich aufregen will.
Es hängt alles miteinander zusammen. Kein Mensch kann etwas dafür, in welche gesellschaftlichen Zustände hinein er geboren wird. Es dürfte hilfreich sein, die gesellschaftlichen Verhältnisse der Herkunftsländer zu studieren und vor allem nicht die Augen vor Tatsachen zu verschließen.
Ansonsten kann man dem einzelnen Menschen, der wie gesagt - unschuldig daran - aus solchen Verhältnissen her zu uns kommt, nicht helfen:
http://www.fr-online.de/politik/gewalt-gegen-frauen-uebergriffe-sind-in-arabischen-laendern-alltag,1472596,33489054.html
http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4835187/Fluchtlinge_Der-lange-Marsch-der-jungen-Maenner
"Soweit verstanden - aber wie sähe das erweiterte Verständnis der Zuordnungen aus? Ist das in dem Sinne, dass auch Männer ihre Prägungen nicht aus sich heraus erfinden, sondern aus einer patriarchalischen Welt erben, die sowohl von Männern als auch von Frauen im Gang gehalten wird?"
Ja, im Prinzip sehe ich das so. Natürlich muss man sich mehr oder weniger entscheiden, welchem Geschlecht man sich zugehörig fühlt, weil man sonst wirklich in Teufels Küche kommt. Obwohl es da ja inzwischen eine Menge Pioniere gibt, die sich genau dem verweigern. Aber auch das wird sehr kontrovers diskutiert. Ich persönlich glaube, dass diese Grenzen natürlich hart definiert sein können und dass man mit solch harten Definitionen in der Regel viel erfolgreicher ist. Es sei denn man setzt das "Spiel" mit der Grenzüberschreitung als Stilmittel, z.B. bei der Vermarktung ein. Wie zum Beispiel Conchita Wurst, oder Mao Sugiyama. Aber diese Grenzen sind nicht wirklich hart biologisch determiniert, Vor allem nicht auf der Ebene der Persönlichkeit, wenn man Bewusstsein und Unbewusstes insgesamt als Einheit sieht. Dort ist es doch häufig so, dass im Verhalten eines Menschen extrem bewusste Eigenschaften des einen Geschlechts mit extrem unbewussten Mustern des anderen korrespondieren. Die offen, oder verdeckt bewusst oder reflexartig auch kompensiert bzw. überkompensiert werden (sollen, müssen). Und den Gebrauch des Begriffes "patriarchalisch" empfinde ich persönlich, mit der Wertung und den Inhalten, mit denen er für gewöhnlich belegt ist als viel zu vorbelastet, um ihn für die Beschreibung "der Welt", auch unserer Gesellschaft allgemein, überhaupt verwenden zu können. Was nicht für die Analyse bestimmter Einzelverhältnisse gilt, für die er sicher nach wie vor angebracht ist.
Eindeutig gibt es bestimme Formen von Gewalt, die fast immer männlich geprägt sind und sich fast ausschließlich gegen Frauen oder, allgemeiner, körperlich/sozial schwächere Menschen richtet. Das gilt aber nach meinem Dafürhalten eben umgekehrt auch für bestimmte Formen weiblicher Gewalt. Wie diese Formen von Gewalt gerechtfertigt werden sollen ist in meinen Augen unerheblich. Es gibt keine Rechtfertigung für Gewalt, weder eine religiös motivierte noch eine biologische, die sich auf angeblich gewachsene Tatsachen oder auf den Kampf der Geschlechter gründet. Und das gilt in meinen Augen auch für jede andere Form von Gewalt, egal ob körperliche, seelische oder soziale Gewalt, Mobbing oder Armut.
Was den letzten Punkt Ihrer Antwort angeht sind wir einer Meinung. Ich bin aber der Ansicht, dass sich daraus keine zwangsläufigen Schlüsse ergeben dürfen, dem Mann die alleinige Zuständigkeit für die Gewalt anzutragen, die zwischen den Geschlechtern ausgetragen wird. Und ich bin der Meinung, dass genau dieser Punkt von der Autorin nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Sie äußert sich genau in der Hinsicht, mindestens in den Bedingungen die sie unterstellt, einseitig wertend. Weshalb die intuitive Reaktion vieler, vielleicht sogar prinzipiell solidarischer Männer so harsch ablehnend ausfällt. Man kann das auch verknappen, indem man sagt: Der Artikel ist vollkommen in Ordnung in seiner Absicht, den Rechten, den Revanchisten und auch den Sexisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er darauf besteht, dass die Kölner Ereignisse nicht für einen bestimmten politischen Zweck missbraucht werden. Allerdings hätte er idealerweise dann auch darauf verzichten sollen, diese Ereignisse selbst für eine wertende politische Aussage zu gebrauchen, die mit dem eigentlichen Thema der Gewalt in dieser speziellen Situation nur in einem bedingtem Zusammenhang steht.
Mit Verlaub, Herr Klingbeil, das ist Unsinn. Was immer in den Herkunftsländern Alltag ist und in welche gesellschaftlichen Zustände diese Männer hineingeboren wurden, die Gesetze, die hierzulande gelten, sind die Gesetze, die hierzulande gelten. Wer sie bricht, gehört bestraft und Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.
Ich finde sogar, dass Sie den männlichen Migranten aus diesem Kulturkreis hier einen Bärendienst erweisen. Straffällig geworden sind vielleicht hundert oder ein paar hundert von Hunderttausenden jungen Männern, die 2015 gekommen sind. Die überwältigende Mehrheit wusste offenbar trotz ihrer Herkunft aus einem anderen Kulturkreis, wo die Grenzen zur Strafttat liegen. Ihren Kommentar kann man auch so lesen, dass Sie nun alle unter Generalverdacht stellen, weil diese Männer ja aufgrund ihrer Herkunft dazu neigen "unschuldig Straftaten zu begehen".
Das ist auch ein falsches Islamverständnis. Sie müssen schon einen Unterschied machen zwischen den Gepflogenheiten des Pöbels in islamischen Ländern und dem Verständnis, das der entwickelte Islam von der Behandlung von Frauen hat. Letzteres entspricht auch nicht unserem Verständnis, aber es hat sicher nichts mit Grabschen zu tun.
"..., die Gesetze, die hierzulande gelten, sind die Gesetze, die hierzulande gelten. Wer sie bricht, gehört bestraft und Unwissenheit schützt vor Strafe nicht."
Völlig Ihrer Meinung. Haben Sie eine gegenteilige Aussage bei mir gelesen? Oder haben Sie diese Aussage nur vermisst?
Ist es heutzutage so, dass man bei jeder Aussage auch gleich noch die Abgrenzung gegenüber Schwachfug mitbringen muss?
Wenn ich schreibe:
"Kein Mensch kann etwas dafür, in welche gesellschaftlichen Zustände hinein er geboren wird. Es dürfte hilfreich sein, die gesellschaftlichen Verhältnisse der Herkunftsländer zu studieren und vor allem nicht die Augen vor Tatsachen zu verschließen."
dann kann ich darin kein einziges Wort über den Islam erkennen. Wovon ich spreche, sind gesellschaftliche Verhältnisse, Verhältnisse des Patriarchats und der Unterdrückung der Frauen.
Und meine Intention ist, dass wenn die Träger solcher Sozialisation auf Träger unserer westlich freizügig mit Sexualität und Frauenrechten umgehenden Sozialisation aufeinandertreffen, eine Integration nur gelingen kann, wenn beide über die Ausgangssituation des anderen informiert sind.
Und ich habe zwei Links hinzugefügt, die dies näher erläutern.
Ich schätze also, dass wir da nicht sehr auseinanderliegen.
Schlimm finde ich, dass der politische Umgang mit dieser schrecklichen Geschichte bestimmt ist vom Bemühen, die öffentliche Debatte zu ändern. – Das finde ich gerade das hintergründig Richtige an der Debatte. Es muss nun dahin kommen, dass öffentlich erklärt wird, dass Zuwanderung nicht unbegrenzt sein kann. Maßnahmen folgend. Deswegen kann ich mich zwar über fragwürdige Eskalationstaktiken aufregen – aber diesmal nicht dagegen wettern.
„Auf der Kippe“ titelt der Print-Spiegel – und trifft auch mein Empfinden auf den Punkt (x). Im Leitartikel wird übrigens ein Zuwanderungsgesetz gefordert.
@JR:
Ich verstehe Maas so, dass er einen mehr oder weniger politischen Hintergrund hinter den Angriffen vermutet.
Das kann ich aber so nicht nachvollziehen - ich auch nicht. Dass der Menschenauflauf von Kriminellen mit angefacht wurde, das kann sein.
„Auf der Kippe“ titelt der Print-Spiegel – und trifft auch mein Empfinden auf den Punkt (x).
Meins nicht. Mein Unbehagen begann bei dem (für mein Empfinden) deplatzierten "Applaus" für die ankommenden Flüchtlinge im Sommer 2015. Jetzt aber, aus den Kölner Ereignissen, eine neue nationale Politik abzuleiten heißt: dem Mob nachgeben. Und es ist mir egal, ob ein Flüchtlings- oder Nazimob den Druck aufbaut: in so einer Situation wie der nach Silvester 2015 erwarte ich von anständigen Demokraten, dass sie sich ein paar Bleigewichte in die Schuhe stecken und nicht kippen.
That said, ich halte weder de Maiziere noch Maas oder Gabriel für anständige Demokraten. Die haben meiner Erinnerung nach noch nie mit Nachdruck und Überzeugung eine Position vertreten. Die stehen für nichts.
»Der ging an Sie, Dersu.
Zum Unbehagen wiederhole ich gerne nachmal das Zitat aus dem Essay von Romain Leick in der Jahreschronik 2015:
In der permanenten Verquickung und Entflechtung von Moral und Politik erkennen Deutschlands Partner das charakteristische Kennzeichen einer Kultur des Unbedingten, die sich das Recht anmaße, Regelwidrigkeiten im Alleingang zu begehen und solchen Unilateralismus im Zeichen der Humanität auch noch als moralische Führung auszugeben – ein Stil, der auch US-Präsidenten übel genommen wird…
[…]
Angela Merkel hat eine moralisch gute Tat begangen, als sie die Grenze aufmachte, aber sie hat sie in eine unaufrichtige und damit politisch schlechte verwandelt, als sie im Anschluss so tat, als habe die Globalisierung sie sowieso erzwungen und als sei jede Reaktion zwecklos.
[…]
Wer die Konsequenzen aus der Singularität deutscher Schuld und Verantwortung anderen europäischen Nationen […] oktroyieren will, läuft Gefahr, die Idee der europäischen Einheit in einen unzulässigen Konflikt von Moral und Politik zu überdehnen…
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Über ansatzweises Unbehagen beim Winken habe ich hinweggesehen, eine Art Schuldkomplex und "jetzt machen wir es besser als jemals" war dabei hilfreich.
"Dem Mob nicht nachgeben", ja, klingt richtig. Aus falschen Gründen das richtige tun ist also falsch. Richtig?
Die Welt zu verbessern, Winkempfang für alle, wäre ganz groß gesehen das richtige. Wenn dieses richtige aber aus falschen Gründen getan wird (Schuldkomplex), ist es auch wieder da. Die allumfassende Liebe wäre der richtige Grund. Habe ich wohl nicht.
Nebenbei geht übrigens der Euro unter, unkt nun gar schon Transatlantiker Münchau bei SPON. Hier kippt ganz schön was… Die Wiedereinführung nationaler Grenzsicherung wäre eine gute Vorübung zum Grexit.
Wenn dieses Jahr Bundestagswahl wäre, wäre das Kippen ziemlich unfraglich. Man muss schon großer Optimist sein, um das anders zu sehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass politisch ein Jahr weiter nicht viel passiert, aber dann doch kippt, ist enorm. Eine kleine Katastrophe wäre hilfreich, oder ein Wunder. GAU, Ebola, etcetera
"Dem Mob nicht nachgeben", ja, klingt richtig. Aus falschen Gründen das richtige tun ist also falsch. Richtig?
Ja, das halte ich für falsch. Ein solches Vorgehen definiert ein langfristiges Protokoll zwischen Wählern und Gewählten, mit dem beide Seiten zuverlässig in die Scheiße greifen - auch noch viele Jahre später.
Angela Merkel hat eine moralisch gute Tat begangen, als sie die Grenze aufmachte, aber sie hat sie in eine unaufrichtige und damit politisch schlechte verwandelt, als sie im Anschluss so tat, als habe die Globalisierung sie sowieso erzwungen und als sei jede Reaktion zwecklos.
Ja, das war alternativlos andersherum. Leider wird die Bevölkerung daraus überwiegend nicht den Schluss ziehen, dass auch viele andere politisch angeblich "alternativlose" Projekte womöglich gestrichen oder durch bessere ersetzt werden könnten.
Alternativ denken funktioniert offenbar am besten, wenn bei den Schweinehunden alle Leinen los sind.