Strenge Anforderungen, Fürsorge und Liebe

Die Partei und ihre Kader Am 8. Februar beginnt in Ostasien das Jahr des Affen. Dem Neujahrsfest gehen in China politische Rituale voraus.

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1. Geschichtliche Verpflichtung zur Anti-Korruptionsbekämpfung

Wenn das neue Jahr bevorsteht, ist für Parteikader ein Pflichtenheft der Tugend abzuarbeiten. Alte Genossen werden von ihren aktiven Nachfolgern in ihren Wohn- und Krankenzimmern aufgesucht, Parteiführer empfangen dangwai-Politiker (Politiker, die nicht der KP Chinas angehören), und der Partei- und Staatschef macht sich in mehr oder weniger hauptstadtferne Gegenden auf, um seine Verbundenheit mit den dort stationierten Kadern und Militärs zu demonstrieren.

So macht es auch Xi Jinping. Als vor knapp einem Jahr das (noch bis Sonntag andauernde) Jahr der Ziege anstand, begab er sich in seinen beiden oben genannten Eigenschaften und als Vorsitzender der zentralen Militärkommissionen nach Xi'an. Ein Jahr zuvor besuchte er Truppen in der Inneren Mongolei. Und vom vorigen Montag bis Mittwoch besuchte er das Jinggang-Gebirge in der südostchinesischen Provinz Jiangxi, um von dort allen Nationalitäten des ganzen Landes Gesundheit, Glück und Freude sowie Erfolg bei der Reform und Entwicklung Volkslebens zu wünschen.

Der Bericht ist wie bei solchen Anlässen üblich poetisch gefärbt und betont die warmen Gefühle und frühlingsfestlichen Erwartungen sowie die Wärme der Liebe der Partei, die Xi und seine örtlichen offiziellen Begleiter den Kadern und Massen während ihrer Ortstermine vom 1. bis zum 3. Februar zuteil werden ließen.

Zu Xis Ortsterminen gehörten der Martyrs Cemetary in den Jinggang-Bergen und das als arm geltende Dorf Shenshan im Maoping Township, ebenfalls in den Jinggang-Bergen. Die Berichterstattung liest sich etwa so:

Die Nachricht von der Ankunft des Generalsekretärs im Dorf verbreitete sich schnell, die Dorfbewohner versammelten sich am Dorfeingang und begrüßten im Chor den Generalsekretär. Xi schüttelte die Hände der Landsleute und wünschte ihnen alles Gute zum Neujahr. Er sagte ihnen, unsere Partei ist eine Partei, die dem Volk aus ganzem Herzen und Willen dient, dass sie weiterhin aus ganzer Kraft den alten Befreiungsgebieten unterstützen werde, mit immer besseren Tagen für die Landsleute. In der Unterstützung für die Armen werde kein armer Haushalt fallengelassen und keine armen Massen zurückgelassen. Der Generalsekretär, in ehrlichen und freundlichen Worten, wärmte die Herzen eines jeden anwesenden Menschen, und nacheinander (oder schubweise) ließ sich der Klang von Freude und Lachen im ganzen Dorf vernehmen.

Der dritte Tag galt der Wirtschaft und der Wissenschaft; Xi besuchte Betriebe und die Nanchang-Universität.

Die "alten Befreiungsgebiete" als Rahmen für die Neujahrsreise des Parteichefs lassen sich als Appell an die Parteikader auf allen Ebenen auffassen. Die Botschaft reflektiert die Rückbesinnung auf in vielen Jahrzehnten mühsam Erreichtes, und die Gefahr, das Erreichte wieder zu verlieren: durch Nachlässigkeit oder durch Korruption, und die Übermittlung dieser Botschaft funktioniert nur - oder allenfalls - durch Wiederholungen.

Ideologische Vorarbeit hatte auch schon Wang Qishan als Leiter der zentralen Disziplinarkommission der KP Chinas geleistet. Auf einer Anhörungs- und Vorschlagssitzung zum "ehrlichen Regieren" betonte er die Notwendigkeit ideologischen Wissens, die Übernahme von Verantwortung, und hinsichtlich Methoden und Maßnahmen ein Schritthalten mit den Anforderungen der Zentrale. Disziplin und Regeln müssten in den Vordergrund gestellt, die Nutzung der "vier Formen" zur Überwachung und Disziplin [als Arbeitsmethode] souverän beherrscht werden.

Die "vier Formen" gelten in der Parteiarbeit seit ihrer Verkündung durch Wang Qishan, Berichten zufolge am 24. September 2015. Sie enthalten unter anderem

  • eine "Normalisierung" parteiinterner Beziehungen, regelmäßige Kritik und Selbstkritik, "rote Gesichter und Schweißausbrüche"
  • leichte Bestrafungen in den meisten Disziplinarfällen
  • Bestrafungen für schwere Vergehen gegen die Disziplin mit anschließenden großen organisatorischen Umbauten in der Minderzahl der Fälle
  • die Eröffnung von Untersuchungen über schwere Verstöße gegen Disziplin und Gesetze als extreme Seltenheit.

Angeblich soll es in China auf regionaler Ebene zahlreiche Fälle gegeben haben, in denen Kader nicht mehr bereit waren, von ihren bis dahin unbekümmert wahrgenommenen (häufig eher durch Gewohnheit als durch Normen definierten) Entscheidungsbefugnissen Gebrauch zu machen. Der Terror unter möglicherweise korruptionsgeneigten Kadern darf demnach nicht zu groß werden. Andererseits darf die "Anti-Korruptions-Kampagne" ins Stocken geraten; es dürfte Wang um eine optimale Dosierung der Abschreckung gehen.

Und neben der Abschreckung geht es um die Aktivierung konstruktiver dienstlicher Einstellungen. Auch Wang stellte im September die "alten Befreiungsgebiete" und den Weg der damaligen Roten Armee der KP Chinas von dort nach Beijing in den Mittelpunkt seiner Darstellungen. In einer Wiedergabe der Wang'schen Ansprache durch die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua am 26.09.15 hieß es:

Wang Qishan hob hervor, dass das Gestern, das Heute und das Morgen, die Geschichte, die Tagesaktualitäten und die Zukunft untrennbar zusammengehörten. Ein hoffnungsvolles Volk könne es nicht ohne Helden geben. Auf der seit 1840 andauernden Reise der großen Renaissance des chinesischen Volkes hätten zahllose Menschen mit erhabenen Ideen für die Unabhängigkeit und Befreiung des Volkes unermüdlich gekämpft und zahllose Volkshelden hervorgebracht. Aus langen, schwierigen Versuchen sei die KP Chinas hervorgegangen, und unter vielen Fehlern habe sie ununterbrochen gekämpft, sich selbst korrigiert, und sich selbst erneuert. In den Jinggang-Bergen kämpfend, ausgehend von den ländlichen Gebieten, habe sie die Städte eingekreist, mit militärischen Mitteln die Straße zur politischen Macht erobert, auf dem Kongress von Guitian die Grundsätze zum ideologischen Aufbau der Partei bekräftigt, und „organisatorische Nachlässigkeiten“ und Halbherzigkeiten bei der Disziplin beseitigt. Von den Jinggangbergen über Zunyi, Yan’an bis Xibaipo*) ließen die Parteiführer und das chinesische Volk unter beispiellosen Härten, schweren Prüfungen, opferbereit und unter Zahlung eines hohen Preises unbeugsam und unnachgiebig undmit gewaltigem Geist die chinesische Nation wieder aufstehen, um im Wald der Nationen der Welt emporzuragen. Nach schwieriger Suche und hartem Kampf in einem harten sechzigjährigen Aufbau des Landes, mit der Praxis der Reform und Öffnung, erschlossen wir uns den Weg des Sozialismus mit chinesischen Besonderheiten. Heute befinden wir uns an einem kritischen Punkt der großen [nationalen] Renaissance. Die Partei umfassend strikt führen, für die Verwirklichung der zwei Jahrhundertziele und der Möglichkeiten des Staates und der Nation. Nur wenn der Aufbau der Partei mit umfassender Strenge durchgeführt und eine kämpferische Vorreiterfunktion wahrgenommen wird, kann auf die „vier großen Prüfungen“ geantwortet und über die „vier Gefahren“ der Sieg errungen werden, mit der Partei als starker Führungskern für die Sache des Sozialismus mit chinesischen Besonderheiten.

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*) Xibaipo ist eine Gemeinde im Kreis Pingshan der Stadt Shijiazhuang. Dort wurde vom 5. bis 13. März 1949 das zweite Plenum des 7. ZK der KP Chinas abgehalten.
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Hinsichtlich der "vier Formen" wiederholte Wang Qishan wörtlich die oben genannten vier Verfahrensweisen und erklärte, diese Formen

dienten der Prävention (mit möglichst nur geringen Strafen oder Verwarnungen), der Behandlung der Krankheit um den Patienten zu retten, und einer Veränderung der veralteten Vorstellung, es gebe nur "gute Genossen" einerseits und "Knastkandidaten" andererseits. In ihnen drückten sich sowohl die strengen Anforderungen als auch Fürsorge und Liebe für die Parteimitglieder aus.

Die Zeit des offenen Widerspruchs gegen die verschärfte Kaderüberwachung ist vorbei. Aber Xi und Wang können nicht im Ernst glauben, dass nun die Zeit ehrlicher Selbstkritik in kollektiven Sitzungen - für alle zum Mitschreiben - angebrochen sei. Welche Selbstkritik zukünftig die Karriere gefährden könnte und welche nicht, ist schwer zu entscheiden; man darf davon ausgehen, dass in den Selbstkritik-Sitzungen eine Hochkultur des (möglichst folgenlosen) Phrasendreschens entwickelt wird.

2. Religionskontrolle

Yu Zhengsheng, ständiges Politbüromitglied und Vorsitzender der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes, traf am 4. Februar in einer Sitzung Religionsführer und bemerkte dort unter anderem, alle Religionen sollten konsequent an der Richtung ihrer Sinisierung festhalten und ein religiöses Ideologiesystem mit chinesischen Besonderheiten errichten.

Yu Zhengsheng forderte, Parteikomitees und Regierungen auf allen Ebenen sollten die religiöse Führungsarbeit stärken, die grundlegenden Richtlinien der Partei zur Religionsarbeit umfassend verwirklichen, die gesetzlichen Rechte der Religonsgemeinschaften respektieren und schützen, die Religionsorganisationen bei ihrer Aufbauarbeit unterstützen, und Anstrengung zur Schaffung von Bedingungen unternehmen, unter denen religiöse Persönlichkeiten und Massen eine Rolle spielen könnten. Am Vorabend des Neujahrs müsse den Problemen der Religionsorgansiationen und dem Leben der Massen besondere Fürsorge zuteil werden. Es müsse gewährleistet sein, dass die Mehrzahl der gläubigen Massen ein fröhliches, vielversprechendes und friedliches Fest erlebten.

[...]

Politbüromitglied und stellvertretende Staatsratsvorsitzende Liu Yandong und Politbüromitglied und Leiterin der Abteilung für die Vereinigte Front Sun Chunlan nahmen an der Sitzung teil.

(Xinhua/Zentrales chinesisches Fernsehen, 04.02.16)

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