Kann Deutschland führen?

Europäische Union Eine zeitgeschichtliche Betrachtung zur hegemonialen Rolle der Bundesrepublik innerhalb der EU

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es ist unbestritten, Deutschland hat die wirtschaftspolitische Vorherrschaft in Euroland errungen. Diese Rolle verdankt sie dem Zuwachs um das Beitrittsgebiet, den zu Reallohnsenkungen bereiten Gewerkschaften sowie einer Sozialdemokratie die ihr Klientel nicht mehr bedient.
Die Bundesrepublik nimmt in Europa wieder den Platz ein, welchen es zwischen dem deutsch-französischen 1870/71 und dem Zweiten Weltkrieg innehatte. Die Konflikte um deren Bewältigung Europa derzeit ringt, können für die Zukunft des Kontinents ähnliche Folgen haben wie seinerzeit der Versailler Vertrag oder die Aufteilung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die gegenwärtige Frage ist, besitzt das Deutschland von heute die Weitsicht, seine Interessen so einzubringen, dass Europa als Ganzes davon profitieren kann? Werden unsere Nachbarn Europa künftig noch als Projekt wahrnehmen mit dem sie sich identifizieren können oder als eiserne Knute eines toitonischen Zuchtmeisters? In einer Welt künftiger Wirtschaftsräume wie Brasilien, China, Indien, Japan oder USA wird es einzelnen europäischen Nationalstaaten schwerfallen als gleichgewichtige Partner wahrgenommen zu werden.

Ausgehend von den Erfahrungen des außenpolitischen Agierendes Deutschlands in den letzten 100 Jahren, wäre allzu großes Vertrauen in seine Fähigkeit Europa erfolgreich durch dieses Jahrhundert zu führen recht blauäugig.

Für einen Platz an der Sonne hat es ohne Not seine von Bismarck verdrahtete Position innerhalb der Belle Epoque aufgegeben und einen Weltkrieg verbockt der ohne Kaiser aber mit Millionen Toten und einer Staatsentschuldung durch Inflation endete. Vor der nachfolgenden bolschewistischen Gefahr - ausgelöst durch die importierte Weltwirtschaftskrise, in die man durch die inflationsbedingte Abhängigkeit von den USA geschlittert ist - rettete man sich bekanntermaßen in den Faschismus, der dann (nicht zwingend von den "Eliten" so geplant) in Europa wütete, wie ein Berserker.

Nun, das sind die geschichtlichen Erfahrungen wie Deutschland in der Vergangenheit mit Europa umging. Heute kann man natürlich sagen "Jo! Deutschland hat seine Lektion gelernt und lässt jetzt Augenmaß walten." Die Behandlung Südeuropas ist der Lakmustest dafür. Behandeln wir es gleichberechtigt, so dass dort soziale Standards gelten sollen ähnlich wie im Inland oder betrachten wir es als Hinterhof, wie die USA einst Lateinamerika? Die haben in den 70er/80er Jahren des zurückliegenden Jahrhunderts den Süden ihres durch Schuldenzahlungen verarmten Kontinents derart ausbluten lassen, dass die Lage dort zeitweilig nur noch durch Militätdiktaturen beherrschbar blieb. Gleichzeitig haben sie Latinos ins Land gelassen. Gut ausgebildete ohne Ende und arme Schlucker illegal. Es sollte nicht verwundern, wenn dieses Szenario der Vergangenheit ähnliche Muster in der Gegenwart erkennen lässt. Rücksichtiglose Maßnahmen zur Schuldentilgung und Braindrain laufen schon für Südeuropa. Bleibt zu hoffen, dass den dortigen Staaten nationale Diktaturen, die bis vor 40 Jahren dort ja zum Teil nicht unbekannt waren, zur Durchsetzung deutscher hegemonialer Interessen heute erspart bleiben.

Ob eine solche Hoffnung berechtig ist, hängt davon ab, mit welcher Konsequenz Deutschland bereit ist, seinen hegemonialen Weg zu beschreiten. Wie weit es auch immer geht, es gibt auf diesem Weg keine konstruktive Lösung. Auch wenn Südeuropa noch so spart, werden diese Länder die Souveränität über ihre Währungspolitik nicht wiedergewinnen, da die Aufgabe des Euro nicht zur Debatte steht. D.h. die Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit durch Abwertung ist ausgeschlossen. Und der Euphemismus einer "inneren Abwertung" ist nichts anderes als ein Weg in eine (realative) Vereledung und also in die Zuspitzung der gesellschaftlichen Verhältnisse mit den oben angerissenen Risiken. Die Alternative, eine Aufgabe der Einheitswährung Euro ist m.E. ebenfalls keine konstruktive Lösung, da dies den europäischen Binnenmarkt entscheidend schwächen würde und Europa keine gleichberechtigte Rolle in einer Welt der Regionen (s.o.) wahrnehmen könnte.

Lange Rede, kurzer Sinn: Die jetzige deutsche Regierung kann auf dem eingeschlagenen Weg nur scheitern. Entweder in dem sie Euroland stur gegen die Wand fährt oder in dem sie vor den Realitäten einknickt und das Spardiktat aufgibt. D.h. um die europäischen Führungsqualitäten dieser Republik steht es heute wie vor 100 Jahren nicht zum bessten.

Nun liese sich völlig zu recht fragen: Warum sollte überhapt jemand in Europa führen? Die Antworten darauf zeigen in Richtung des Selbstverständises der politischen Klasse und der hinter ihr stehenden Wirtschaftsinteressen dieses Landes. Das jedoch ist sicherlich eine interessante, aber andere Geschichte ...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden