Prism, Tempora und Marx

Eine Betrachtung von Zusammenhängen zwischen Informationssicherheit, -kontrolle und -freiheit mit politischer Ökonomie.

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Die aktuellen Skandale um die neuesten aufgeflogenen Datenkraken führte bei einigen Großkopferten der politischen Klasse als erstes zu Instrumentalisierungsversuchen. Eine eigene Kommunikationstechnik müsse her damit die nationalen Schlapphüte etwas haben, in das sie ihre Rute tunken können um ein bisschen im trüben mitzufischen. Eine nationale Kommunikationstechnik, na sollen sie machen. Auch die DDR hat noch 1989 vom Ein-Megabit-Chip geträumt. Wie so etwas endet ist allgemein bekannt.

Es scheint, man zündelt an einer Nebelkerze, an deren Ende nichts nichts anderes entstanden sein wird, als weißer Rauch in Sachen Sicherheit, mehr Kontrolle in Sachen Freiheit und - ökonomisch betrachtet - in die Taschen von Kommunikationsunternehmern und deren Aktionären umgelenkte Steuergelder.

Auf dieser Tour reisen können Politiker nur, weil sie annehmen, ihre Wähler haben einer wesentliche Eigenschaft von Information (als Komunikationsbestandteil) nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet. "Information will frei sein." Früher standen dieser Eigenschaft die hohen Kopierkosten von Informationen entgegen und schützten deren Besitzer vor ungewolltem teilen. Im digitalen Zeitalter tendieren die Kopierkosten gegen Null mit der Folge, dass Informationen an allen Ecken und Ende zu finden sind und von interessierter Seite gesammelt werden.

Dieser Macht des Faktischen steht in der Bundesrepublik das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entgegen. Es stammt in etwa aus der selben Zeit wie die Bemühungen der DDR um den Ein-Megabit-Chip. Kein gutes Omen. Dieses Recht lädt den Sachverhalt "Information" mit dem Bedeutungsgehalt "Schutz" in einem Maße auf, der (als Nebeneffekt ökonomischer Realitäten) nur solange gehalten werden kann, wie die Kopierkosten von Informationen, den Preis welchen andere für deren digitales Duplikat zu zahlen bereit sind, übersteigen. Die heutigen Kopierkosten schützen Information nicht mehr vor Verbreitung. D.h. dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist im digitalen Zeitalter mit den dramatisch gesunkenen Kopierkosten das zentrale Instrument abhanden gekommen, mit dem es gelebt wurde.

Trotzdem wird an diesem Recht festgehalten. Auch wenn immer verwirrender wird, wie man versucht es durchzusetzen. Was ist Datenschutz noch wert, wenn Lieschen Müller in einem Internet-Forum um Rat fragt, weil ihr Sohn an Leberzirrhose leidet? Wenn dann mit wenigen Klicks herauszufinden ist, Lieschen Müller heißt eigentlich Erna Schlutze und ist die Mutter von Enrico Schultze? Da kann sich Enricos Krankenkasse noch so sehr um Datenschutz bemühen.

Was ist Datenschutz noch wert, wenn die nachgeordneten Organe der - wie Sloterdijk sie nannte - Sicherheitsjunta gleich den nahezu gesamten Datenverkehr abfangen und diesen riesigen Haufen mittels pfiffiger mathematischer Algorithmen und gigantischer Rechenleistung nach Phrasen durchsieben, von denen ihnen jemand eingeflüstert hat, sie seien für die nationale Sicherheit relevant. Mit so bescheidenem Erfolg, dass die Frage danach, ob der ganze Aufwand zu rechtfertigen ist, nicht vollends aus der Luft gegriffen scheint.

So gesehen mag sich mancher Verschwörungstheoretiker bereits fragen, ob Snowden nicht ein Marketing-Mann ist, der die Aufgabe übernommen hat, die totale Bespitzelung möglichst Aufsehen erregend an den Mann zu bringen, damit wenigstens doch die Bürger der freien Welt vor der allmächtigen Datenkrake kuschen.

Misstrauen beiseite.
Der Grund für das Festhalten am Recht der informationellen Selbstbestimmung liegt m.E. nur zum Teil im Schutz von uns Ernas und Enricos. Es geht mindestens genauso um den Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Sie sind eine der tragenden Säulen unseres Wirtschaftssystems und es gilt sie zu schützen. Denn letztendlich wird Gewinn immer aus Informationsvorsprüngen destilliert. „Wo kann ich für meine Waren welchen Preis erzielen? Wo kann ich meine Rohstoffe und Arbeitskräfte billiger bekommen? Wie muss ich meine Maschinen optimieren um kostengünstiger zu produzieren?“ - Alles Informationen. Bei Verlust von Geschäftsgeheimnissen drohen Gewinne zu entgehen. Tritt dies ein, kann man unter den Bedingungen maximaler Kontrolle - wenn also Prism und Tempora noch einen Zahn zulegen - herausfinden, wer einem die entgangenen Gewinne ersetzt.

Geldwerte Informationen deren Offenlegung sich nicht vermeiden lässt, werden mit Patenten und anderen Schutzrechten versehen. Die Blüten die all das treibt, werden immer absonderlicher. Auf der einen Seite gibt/gab es Bestrebungen bestimmte Urheberrechte zeitlich immer weiter auszudehnen. Derzeit sind es z.T. 70 Jahre nach dem Tod von Autoren um nur mal ein Bespiel zu nennen. Ob Gerhart Hauptmann, Hans Fallada oder George Orwell ihre Verlage soviel gekostet haben, dass die an ihren Werken noch heute Geld verdienen müssen? Oder geht es um die Quersubventionierung sich nicht verkaufender Autoren? Oder geht es um das Erbe der Enkel von Verlagsgründern?

Sind das die Gründe warum Leute zu tausenden abgemahnt werden, wenn sie ohne gewerbliche Absicht Informationen ins Netz stellen an denen sie keine Rechte besitzen?

Und als ob das nicht genug wäre, verleibt sich Google den Elektronikriesen Motorola ein, um sein eigenes Smartphonebetriebssystem im Nachhinein mit den Rechten zu versehen die erforderlich sind, um juristisch erfolgreich gegen Konkurrenten vorzugehen. Doch das ist nicht die Grenze des informationellen Absurdistans. Den gleichen Konzern scherten die Rechte anderer einen feuchten Kehricht bei dem Versuch das Buchwissen der Welt einzuscannen um auf dieser Grundlage seine Suchalgorithmen zu optimieren - die Basis seines Geschäftes, gezielt Werbung für Schlagwörter zu verkaufen.

Es sieht so aus, als ob einige Rechtsgebiete, die in Zusammenhang mit Informationen stehen (hier Datenschutz und Urheberrecht) immer weniger auf die Realität passen. Es wird sich in den nächsten Jahren zeigen, ob die - um mit Marx zu sprechen - veränderten Produktivkräfte (Informationstechnologie) zu einer Anpassung der Produktionsverhältnisse (Marktwirtschaft) führen. Dann hätte der alte tote Mann mit dem weißen Bart nicht völlig daneben gelegen.

Man kann versuchen den Geist wieder in die Flasche zudrücken, sprich die Verteilung von Informationen dem geltenden Recht zu unterwerfen (obwohl ihre Kopierkosten anderes ermöglichen). Prism und Tempora bilden die potentielle Infrastruktur dafür. Es genügt die Suchbegriffe von "Sicherheit" auf auf "Eigentum" umzustellen. Wenn diese Vorgehensweise zum tragen kommen sollte, bestünde die Gefahr in einem neuen Mittelalter zu landen. Die Inquisition im Namen Gottes würde ersetzt durch die des Eigentums. Bleibt während dessen das heutige Wissen, welches die Menschen von der Welt haben, zugänglich, wäre die Hoffnung berechtigt, diese Zeit eher als Farce denn als Tragödie zu erleben.

Sollten sich die Menschen stattdessen um die von ihnen geschaffene Technologie herum organisieren, kann das nur gelingen, wenn die Frage beantwortet wird, wie die Kosten welche im Zuge der Schaffung neuen Wissens anfallen refinanziert werden. Informationen kann man nicht essen. Durch das freie Kopieren von Informationen wird derjenige, der neues know how erschafft endgültig von dem getrennt, der auf dieser Basis produziert. Entwicklungskosten werden nicht mehr durch die Produktion refinanziert während Patentschutz nur noch mit exorbitanten (Anwalts-) Kosten durchgesetzt werden kann. Inwieweit eine Ökonomie des Teilens, Crowdfunding und andere Versuche Ansätze dafür sein können, dieses Dilemma zu überwinden ist nicht entschieden. Auch weil diejenigen die heute das Ruder der Wirtschaft in der Hand haben, es sich nicht nehmen lassen werden ein Wörtchen mitzureden.

Und weil es grade passt, noch das hier:

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