Über Zunahme und Einfangen von Fliehkräften

Kommentar zu den Auswirkungen des Brexit auf die Kräfteverhältnisse innerhalb der Rest-EU

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Die Betrachtung, welche EU-Mitglieder bzw. politischen Bewegungen nach dem Brexit nun ebenfalls Morgenluft wittern kann man anderen Orts lesen.

Interessant sind ebenfalls die Stimmen welche ausdrücken wie es nun in der Rest-EU weitergehen soll. In Bezug auf die anstehenden Austrittsverhandlungen fordert der außenpolitische EU-Falke Elmar Brok, Vorsitzender des EU-Parlaments-Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, abschreckende Härte. Aus Angst vor den Folgen soll es niemals wieder jemand wagen von Bord zu gehen.
Fakt ist, mit jedem Austritt wird für den verbleibenden Rest die deutsche Hegemonie zunehmen.

Betrachtet man wie Deutschland seit der Euro-Einführung in der EU agiert, ist nicht anzunehmen dass der Brexit bei der europäischen Hegemonialmacht den Wunsch nach Demokratisierung – dem Einzigen was die EU in einer Wiedererkennbarkeit Form retten könnte – stärkt. Das gnadenlose Pochen auf die Einhaltung von Regeln, was zum griechischen Kniefall vor einem Jahr führte, wie auch das eigenmächtige Brechen von Regeln beim Öffnen von Grenzen für Flüchtlinge im Anschluss lassen ahnen, dass sich die in EU verbleibenden Staaten den deutschen Interessen mehr als bisher unterzuordnen haben.
Dies wird den Druck zum Verlassen in den anderen EU-Mitgliedsländern erhöhen. Dieser Faktor kommt zu dem Nachweis durch die Britten, dass es möglich ist, der EU zu entkommen, hinzu und verstärkt ihn. D.h. Die Fliehkräfte in der Rest-EU werden zunehmen.
Ob sich dem direkt entgegen wirkende Kräfte außerhalb Deutschlands entwickeln, beispielsweise in den französischen und italienischen Regierungen, die versuchen könnten mittels Demokratisierungsoptionen die eigenen EU-Skeptiker, wie den Front National oder die Fünfsternebewegung, zu bändigen ist nicht ausgemacht. Aber sie werden - wenn sie denn kommenund mehr beinhalten als Placebo – gegen Deutschland, dem wesentlichen Profiteur des status quo, nichts ausrichten. Schließlich haben wir im vergangenen Jahrhundert bereits zweifach bewiesen, dass wir in der Lage sind, einen einmal eingeschlagenen Weg bis zum Ende zu gehen, auch wenn alles in Scherben fällt. Und der gegenwärtige Weg heißt Neoliberalismus.

Ob in der jetzigen Situation bzw. dem was ihr folgen wird das bismarcksche Szenario aus dem 19. Jahrhundert greift und dem weiteren Zerfall der Rest-EU statt durch Demokratisierung mit einer “Einigung von oben” abgeholfen wird, bleibt abzuwarten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Russland wie dereinst Frankreich zu einem Krieg provozieren lässt. (Alle poteniell Beteiligten schwingen sich bekantermaßen bereits auf das Thema ein.) Es ist ebenfalls nicht ausgeschlossen, dass sich in einem solchen Fall wesentliche Teile der Rest-EU hinter Deutschland versammeln. Und es ist zum Dritten nicht ausgeschlossen, dass dann zur Koordination der Kriegswirtschaft die EU einen deutschen Kanzler zum Kommissionspräsidenten macht. Dann ist die Vollendung Deutscheuropas nur noch einen regulatorischen Katzensprung entfernt.
Zwar wären durch ein solches Vorgehen die europäischen Fliehkräfte gefangen, aber seine vor sich hergetragenen “demokratischen Werte” könnte Europa sich dann genauso in die Haare schmieren wie die Achtung der Menschen- und Völkerechte. Doch wenn es um Machtpolitik geht, gibt es keine Skrupel.

Fazit:

  1. Durch den Brexit wird die politische Stabilität in der EU abnehmen.
  2. Eine Demokratisierung der EU hat im Angesicht der Machtverhältnisse und Interessenlagen wenig Chancen. Was wir heute an anders lautenden Äußerungen hören, kann sich leicht als Theaterdonner entpuppen.
  3. Ein eisernes Zusammenschweißen der Rest-EU a la Bismarck mit dem Ziel die für Deutschland vorteilhaften Zustände (Delegation unpopulärer Entscheidungen nach Brüssel, Euro-Profiteur, Schaffung von Abhängigkeiten mittels Handelüberschüssen auf Basis von niedrigen Löhnen und dem Verschleiß von öffentlichen Infrastrukturen) zu erhalten, ist möglich.

Unter diesem Blickwinkel kann man es keinem EU-Mitglied verübeln, wenn es aussteigt. Nur, Nationalstaaten bringen's auch nicht mehr ...

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