Ein Tag auf Station 2UC

Bursitis in B. Eine Infektion im linken Ellenbogen zwang mich in die Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie

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Bei der Vorstellung hatte der Professor gescherzt: „Sie müssen ein Intellektueller sein. Die Arbeiterklasse hat ihre kaputten Schleimbeutel an den Knien, Fliesenleger und Putzfrauen. Wir operieren Sie, wenn möglich ambulant. Die Genesung ist quasi unausweichlich.“

Jetzt lag ich, drei Wochen später, am Abend auf Zimmer 289, im Nachbarbett Willy (72) mit frisch operierter Hüfte. Er machte sich Sorgen um seine drei Imbissbuden. Kein Umsatz in den letzten Monaten und jetzt, wo die alte Normalität am Horizont aufsteige, diese verdammte Hüfte.“Tja, so isses nun mal.“

Meine OP war ohne Komplikation verlaufen. Ein Assistenzart aus der Anästhesie hatte mir vor dem Einschlafen zugeraunt: „Wir haben eine hohe Erfolgsquote und fast jeden ins Nirwana geschickt und wieder rausgeholt.“ Das war ihnen auch bei mir gelungen. Am Nachmittag bei der Visite wurde von zwei Oberärzten entschieden, ich müsse noch eine Nacht zur Beobachtung bleiben, weil aus der Wunde noch zu viel Blut austrete. Einen Bluterguss müsse man unbedingt vermeiden. Die Gattin war am Telefon trotzdem guter Laune. Die Vermessung des Tumors in ihrer linken Brust hatte ergeben, dass die ersten vier Chemos sein Volumen ganz erheblich reduziert hatten. „Das schaffen wir. Morgen Abend machen wir uns gebratenen grünen Spargel mit Tomaten. Schlaf gut! Bis morgen!“

Es klappte aber nicht mit dem Schlafen. Rettungswagen brachten Liegendkranke, der Vollmond schien durchs Fenster, Willy schnarchte, wimmerte und kicherte im Schlaf, die Nachtschwester kontrollierte meine Drainage und empfahl mir, an die schönen Momente in meinem Leben zu denken.

Ja, die gab's: das erste Date mit der hübschen Kommilitonin aus dem Historischen Seminar, die Geburt der ersten Tochter, die Schönheit des Marktplatzes in Siena, die Freude der Eltern, dass ihr Sohn es als Beamter einmal besser haben werde als sie …

Dann kamen die Erinnerungen an die Toten der letzten Wochen – an Tante Hanna (94), an Bernd (74), der einsam und am Ende sehr schnell in der Lungenklinik an Fibrose gestorben war, und an Gerda (71), auf der Intensivstation eines anderen Klinikums aus dem Koma nicht mehr erwacht … In dieser Zeit sterben Menschen nicht nur an Corona.

Ich dämmerte in Weltschmerz und Selbstmitleid dem Morgen entgegen, frühstückte mit Willy und machte mich fertig für die abschließende Inspektion durch die beiden Oberärzte. „Alles gut, Herr Koslowski. Sie können gehen.“ Ich verabschiedete mich von Wiily. Wir verabredeten uns am Tag nach dem Ende von Corona in seinem Imbiss im Westen, 17 Uhr. Erleichtert bestieg ich ein Taxi. Zuhause niemand da. Ich duschte vorsichtig, legte mich aufs Sofa und fiel in einen tiefen Schlaf.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski