Lektüren im Morgengrauen

Vom Sterben Flüchtige Gedanken über das eigene Ende

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Am frühen Morgen stieß ich in einem Magazin auf das Interview mit einem amerikanischen Wissenschaftler, der darüber forscht, wie Menschen damit fertig werden, dass sie sterben werden (sie suchen nach Trost und Sicherheit, indem sie ein Glaubenssystem namens Kultur entwickeln). Auf die Frage, wie er sterben möchte, sagt er: Ich möchte hier sitzen, am besten die Backen vollgestopft mit Schokolade, und einfach einschlafen.

In diesem Jahr werde ich so alt, wie mein Vater war, als er starb (Herzinfarkt nachts vor dem Fernseher). Manchmal denke ich an den eigenen Tod, wenn ich die nachlassende Kraft spüre und in der Nacht nicht in den Schlaf zurückfinde. Darüber, wie ich sterben möchte, habe ich vorsichtshalber nie konkret nachgedacht. Schnell und (hoffentlich) schmerzlos wie mein Vater? Langsam, an einem fremden Ort und am Ende eines galoppierenden Zerfalls wie meine Mutter?

Ich griff zu einer anderen Zeitschrift und vertiefte mich in die Geschichte eines dänischen Schriftstellers. Der Ich-Erzähler besucht seinen Großvater, der wegen Lewy-Demenz von der Familie ins Pflegeheim eingeliefert werden musste. Er beschreibt die Szenerie:

Ich sah mich um und sah die alten Menschen mit ihren Rollatoren und ihren unordentlichen Haaren, ihren Schlummerdecken und ihrer Ausstattung mit Windeln und Tabletten, ihren Zimmern mit Illustrierten und heimlichen Verstecken voll Tabakwaren und ähnlichem, und ich dachte, daß ich niemals alt werden wolle, nicht auf diese Weise.

Draußen dämmerte der Morgen. Ich ließ die Zeitschrift sinken, ging zurück ins Schlafzimmer und legte mich zu B., die warm und weich war und ruhig schlief.

Quellen:

„Zuflucht in der Schönheit“. Spiegel-Gespräch mit dem Psychologen Sheldon Solomon. In: Spiegel 25/2016

Simon Glinvad, Nielsens Stuhl. In: Lettre 113

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

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