Über Fahnen

Jenny Ein Deutschland-Fan aus Costa Rica

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Jenny ist 14. Sie kam vor zwei Jahren mit Mutter und Geschwistern aus Costa Rica nach B. und besucht hier die Förderklasse einer Gesamtschule. Sie spielt mit Begeisterung Fußball. Ich bin ihr Lernpate.

In den letzten Wochen haben wir vor allem das Lesen geübt, denn damit hat sie große Schwierigkeiten. Es ist nicht einfach, geeignete Texte zu finden, die sie verstehen kann und deren Inhalte sie interessieren.

Gestern hatte ich einen Text ausgesucht, den ich vor Jahren in der Community gelesen hatte: das Gedicht „Etwas verloren“ von ruhrrot, in dem der Autor sein Unbehagen über den lauten schwarzrotgoldenen Fußball-Jubel zum Ausdruck bringt.

Jenny las stockend die ersten Verse, bei der Strophe

Deutschland ist ein wunderbares Land,

sagt der neue deutsche Präsident

und lächelt dabei doll

doch ich fühle mich gar nicht so toll.

fragte sie nach: „Warum denn nicht? Das stimmt doch mit Deutschland!“ Als ich ihr erklären wollte, dass viele Deutsche manche Sachen hier nicht gut finden, weil… , unterbrach sie mich: „ Weil es zu viele Ausländer gibt? In unserer Klasse sind fast alle Ausländer!“ „Ja“, sagte ich, „solche gibt’s auch, aber der, der den Text geschrieben hat, meint das anders, dem gehen die vielen Fahnen auf den Geist, dem ist das zu viel Deutschland.“

„Ich finde die Fahnen gut“, meinte Jenny, „weil ja viele Spieler Ausländer sind und die Deutschen auch über die jubeln. Kennst du die Fahne von Costa Rica?“

Da hatte sie mich erwischt – ich hatte keine Ahnung. Es stellte sich heraus, dass sie die Farben von Costa Rica auch nicht kannte. Sie will ihre Mutter fragen und ich habe versprochen herauszufinden, ob es irgendwo in B. eine Fahne von Costa Rica gibt. Und sie will einen Text über Mesut Özil lesen, denn den findet sie „süß“.

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

koslowski