Verriss

Theodor Storm Schadenfreude in der heißen Sonne Ostwestfalens

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Da B. mit Töchtern und Enkeln heute zum Fronleichnams-Shopping nach Niedersachsen gefahren war, nutzte ich die Zeit, um im Roman(Ver)führer von Vollmann zu schmökern, der bekanntlich in der Manier eines Annalisten die Neuerscheinungen zwischen 1800 und 1930 registriert und bei der Interpretation der Schlüsseltexte gern von Hölzken auf Stöcksken kommt (weshalb die Fußnoten besonders amüsantes, wenn auch gänzlich überflüssiges Wissen vermitteln).

Für das Jahr 1817 notierte er u.a.:

Und geboren wird in Husum („Am grauen Strand, am grauen Meer…“) Theodor Storm, Anwaltssohn, Gott verzeihe ihm alle seine Werke, einmal war ich in Husum, und es war so entsetzlich kalt, daß ich mir, als ich … auf die Eiderdeiche wollte, eine dicke Pudelmütze kaufen mußte, die ich jetzt in kalten Winternächten gern über Storms Werke stülpe.

Ich grinste schadenfroh über den eleganten Verriss. Dachte an meinen Lehrer, der meine aufkeimende Liebe zur Literatur mit Pole Poppenspäler fast getötet hatte, und an meine Schüler, die ich mit dem Schimmelreiter gelangweilt hatte, murmelte eine Entschuldigung, griff zum Strohhut und flüchtete mit Vollmann in einen Winkel der Terrasse, den die heiße Sonne Ostwestfalens noch nicht erreicht hatte.

Rolf Vollmann, Die wunderbaren Falschmünzer. Ein Roman-Verführer. Frankfurt am Main 1997

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Geschrieben von

koslowski

"In Saloniki / weiß ich einen, der mich liest, / und in Bad Nauheim./Das sind schon zwei." (Günter Eich, Zuversicht)

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