Heute vor fünf Jahren, am 12.12.2012, hat der Deutsche Bundestag das sogenannte „Beschneidungsgesetz“ verabschiedet. Ein Gesetz, das minderjährige Jungen in Deutschland rechtlos stellt, was ihre Würde, ihre körperliche Unversehrtheit, ihre Sexualität und die Intaktheit ihrer Genitalien angeht.
Seit fünf Jahren können Eltern nach Lust und Laune die gesunden Genitalien ihrer männlichen minderjährigen Kinder verstümmeln lassen – ohne jegliche medizinische Indikation – solange der Arzt nur die Absicht hat, diese Genitalverstümmelung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu machen. (Wohlgemerkt, er muss es nicht lege artis tun – er muss es nur lege artis tun wollen.)
Seit fünf Jahren können religiöse Eltern dies sogar von Nichtärzten machen lassen, solange die männlichen Kinder nicht älter als sechs Monate sind. Ein Sonderrecht für bestimmte Religionsgemeinschaften. Kinder haben keine Religion und werden durch ihre Eltern entrechtet, die mit den Sprechern ihrer Religionsgemeinschaften lauthals dieses Sonderrecht einforderten.
Seit fünf Jahren sind Jungen Mädchen nicht mehr gleichgestellt. Sie haben kein Recht mehr auf ihre Würde, auf körperliche Unversehrtheit, auf gewaltlose Erziehung und auf ihre eigene Religionsfindung. Wenn die Eltern ihnen aus religiösen Gründen die verharmlosend so genannte „Vorhautbeschneidung“ verpassen, setzen sie ihren Kindern ein religiöses Brandzeichen, ein Stigma, das unauslöschlich bleibt. Kinder haben keine Religion und werden so für ihr ganzes Leben gebrandmarkt.
Seit fünf Jahren schäme ich mich, dass in Deutschland Menschen ungleich behandelt werden, wenn sie männlich und minderjährig sind, wenn sie Kinder religiöser Eltern sind, deren Empathie nicht reicht, um zu verstehen, was sie ihren Jungen damit antun, wenn sie Kinder uninformierter Eltern sind, die Ärzten mit veraltetem Wissen glauben, die festgestellte Phimose (Vorhautverklebung) ihres Kleinkindes sei behandlungsbedürftig. Längst ist bekannt, dass quasi jeder Junge mit einer natürlichen Phimose geboren wird, die sich in aller Regel bis zur Pubertät löst, aber auch noch länger bestehen kann. Normalerweise bedarf sie keiner Behandlung, schon gar nicht der Amputation der Vorhaut. Das ist veraltet und längst nicht mehr lege artis.
Seit fünf Jahren ist das sog. Beschneidungsgesetz, § 1631d BGB, ein unsäglicher Fremdkörper im deutschen Rechtswesen und ein Freifahrtschein für Eltern, Ärzte mit veraltetem Wissen und Beschneider, gesunde Genitalien männlicher Kinder zu beschädigen – ohne dass die Kinder ein Mitspracherecht, eine Einspruchmöglichkeit oder sonst eine Chance hätten, sich zu wehren. Die Fürsprecher der Kinder in aller Welt sind alle Intaktivisten weltweit, die sich für die Rechte aller Kinder gleich welchen Geschlechts auf körperliche Unversehrtheit und genitale Selbstbestimmung einsetzen. Viele aufgeschlossene und informierte Ärzte-Organisationen in ganz Europa haben mittlerweile klar Partei für die Kinder ergriffen und stehen an der Seite der Intaktivisten-Bewegung. Täglich werden es mehr, die erkennen, dass das Beschneidungsgesetz ein fataler Fehler ist.
Seit fünf Jahren werden wir täglich mehr. Der Kampf gegen das unsägliche Beschneidungsgesetz in Deutschland und gegen die sinnlose, schädigende Genitalverstümmelung von Kindergenitalien in aller Welt hört nicht auf. Ich bin stolz, dieser Bewegung anzugehören und mich für das Recht aller Kinder einsetzen zu können.
Und das ist gut so.
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Der Autor ist Herausgeber des IntactiWiki (http://de.intactiwiki.org) und Übersetzer des Buches "Unaussprechliche Verstümmelungen" von Lindsay R. Watson.
Kommentare 3
Mir ist es nach wie vor völlig unverständlich, wie hier ein halbes Jahrzehnt lang völlig legal gegen das durch unser Grundgesetzt garantierte Recht auf körperliche Unversehrtheit und andere Artikel des GG verstoßen werden darf. Kleine Jungen und männliche Säuglinge haben in diesem Land keine Lobby! Sie dürfen also weiterhin völlig legal verstümmelt werden!
Die Rechte der Jungen hören an der Stelle auf, wo Religion anfängt. Der Minderheitenentwurf, die Beschneidung erst mit Beginn der Religionsmündigkeit zu gestatten, also mit 14, fand im Bundestag keine Mehrheit. Die Mehrheitsvertreter argumentierten mit den Begriffen wie "Rechtssicherheit" oder "Beschneidung nicht kriminalisieren".
Die Frage bleibt: Was hätte ein Verbot für die Praxis gebracht? Die Anzahl der Beschneidungen wäre mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zurückgegangen, denn religiöse Dogmen lassen sich mit weltlichen Gesetzen kaum eindämmen.
Siehe dazu den Ritus des Schächtens. Tiere ohne Betäubung zu töten ist in Deutschland nicht gestattet, bis auf die Ausnahme, wenn das Töten religiös motiviert ist, wenn das Fleisch "halal" oder "koscher" sein muss. Die Regeln für eine Erlaubnis sollen jedoch streng sein. Die Schlachter müssten detailliert nachweisen, dass das Durchschneiten der Kehle des lebendes Tieres, also das rituelle Schlachten, zwingend vorgeschrieben sei.
Den Fokus nur auf religiös motivierte Genitalverstümmelungen zu setzen, ist nicht zielführend. Statistisch gesehen sind wohl deutlich mehr als die Hälfte der Vorhautamputationen medizinische Fehldiagnosen (die sog. "natürliche Phimose"), ein weiterer Teil muslimisch und ein winziger Bruchteil jüdisch motiviert.Auch andere Religionsgruppen können sich nicht auf Religionsfreiheit berufen, wenn durch Forderungen der religiösen Erwachsenen Rechte Dritter (in aller Regel die ihrer eigenen Kinder) beeinträchtigt werden, z.B. das Schlagen von Kindern als Erziehungsmaßnahme ("Zwölf Stämme") oder das Verweigern von Bluttransfusionen (Zeugen Jehovas). Schlagen nein, Genitalverstümmeln ja - das ist m.E. absurd.Da Religionsfreiheit kein Recht hat, die Rechte Dritter einzuschränken, liegt hier auch kein Grundrechtskonflikt zwischen Religionsfreiheit (der Eltern) und körperlicher Unversehrtheit (des Kindes) vor. Auch das Erziehungsrecht der Eltern darf hier nicht greifen, da das Erziehungsrecht kein Freibrief für Willkür ist - nur leider tut es das aufgrund der Bundestagsentscheidung vom 12.12.12 - zum Schaden von männlichen Kindern. Der Staat hätte hier sein Wächteramt ausüben müssen.