Schwarzhandel ist illegal. Der Staat versucht, ihn zu unterbinden. Seiner Beliebtheit hat das noch nie geschadet. Es wurde Schwarzhandel, ich wette, in Troja während der zehnjährigen Belagerung getrieben. Man treibt ihn heute in Berlin am Kottbusser Tor. Ein schwarzer Markt floriert, wenn Mangel herrscht oder eine Ware unter Verkaufsverbot steht. Es gibt ihn übrigens nur, wenn und weil zwei Parteien sich an ihm beteiligen, Käufer und Verkäufer. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es ihn in jeder deutschen Stadt. Brot, Zucker, Butter, Eier, Schuhe, Nylons, man konnte vieles haben im Tausch gegen Uhren, Tafelsilber und worauf sich im Notfall – und dieser herrschte – sonst noch verzichten ließ. Die Grundwährung der gigantischen Schattenwirtschaft hieß: Zigaretten. Meist waren es amerikanische.
Billy Wilder, der in den 1920er Jahren in Berlin gelebt und erfolgreich gearbeitet hatte und nach der Nazi-Machtergreifung ins Exil ging, ist in Hollywood als Drehbuchautor und Regisseur zum Star geworden. Nun, nach dem Ende Hitlers, fliegt er nach Berlin, um eine Filmkomödie zu drehen, die 1948 in die US-Kinos kommt, A Foreign Affair. Er sieht die Stadt in Trümmern und wie sie zäh wieder auf die Beine kommt. Er dreht Außenaufnahmen. Es entsteht ein Zeitdokument und rasant unterhaltsames Kino. Der Schwarzhandel spielt kräftig mit. Er tut es in typisch Wilder’scher Manier, smart und sexy.
Wilder verortet seinen „black market“ in Sichtweite des Brandenburger Tors. Eine Frau will ein Fernglas verkaufen, zwei US-Soldaten sind interessiert. „Wie viel?“, fragt der eine. Sie will Zigaretten. „Oder wenn die Herren vielleicht etwas Kaffee haben?“ Ein russischer Soldat kauft eine Mickey-Mouse-Armbanduhr. U. S. Army Captain Pringle, der männliche Held des Films, tauscht eine Schokoladentorte gegen eine Matratze. Er steht nicht so auf Süßes, mehr auf Sachen, für die eine Matratze nützlich ist. Er chauffiert das gute Stück in seinem Jeep durchs zertrümmerte Berlin und trägt es in einer Ruine hinauf bis in das noch halbwegs intakte Zimmer, wo seine Freundin Erika (Marlene Dietrich) lebt. Aus ihrer Matratze pieken die Sprungfedern. Eine neue ist also dringend vonnöten, sonst macht die Liebe keinen Spaß.
Die Schwarzmärkte blühen „amidst the ruins of Berlin“. Es „verwandeln sich Schreibmaschinen in Schuhe, Höhensonnen in künstliche Gebisse“, wie eine deutsche Kino-Wochenschau damals witzelt. „Kein Zauberer bringt so was fertig!“ Kontrollen der Berliner Polizei und die (seltenen) Razzien der Besatzer können dem Treiben nicht viel anhaben, zumal es ja vor allem die Besatzer selbst sind, die den Markt in Schwung halten.
Auch in der Nähe der sogenannten UNRRA-Lager wird illegal gehandelt. UNRRA-Lager nennen die Berliner die drei Camps auch 1948 aus Gewohnheit weiter – zwei im amerikanischen, eins im französischen Sektor –, in denen seit Kriegsende „Displaced Persons“ (DPs)untergebracht sind, obwohl die UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration), die Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen, bereits zum Jahresende 1946 ihre Arbeit eingestellt hat. Das American Jewish Joint Distribution Committee (AJDC) – eine vor allem in Europa tätige Hilfsorganisation amerikanischer Juden mit Sitz in New York – unterstützt jetzt diese Camps. Denn die darin ausharren, sind Juden.
Die meisten stammen aus Osteuropa, aus Rumänien, Ungarn, Polen, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei. Sie kommen aus den Konzentrationslagern. Es sind von den wenigen, die die Schoah überlebten, um die 6.000. Sie wollen aus Deutschland weg, das auf jeden Fall, aber auch nicht zurück in ihre Herkunftsländer, um dort wieder dem Antisemitismus ausgesetzt zu sein, der sie noch vor kurzem dem Naziterror ausgeliefert hat. Wie recht sie haben, beweist das Pogrom im polnischen Kielce Anfang Juli 1946. Sie wollen in die USA, nach Kanada, Australien, Südafrika. Viele zieht es nach Palästina, in den im Mai 1948 gegründeten Staat Israel. Doch man lässt sie nicht fort, nicht gleich. Sie bekommen noch keine Papiere.
Sie haben sich in den Lagern längst selbst organisiert. Es gibt Schulunterricht, die Lagerzeitung Undser Lebn, Werkstätten, ein Waisenheim. Sie pflegen ihre Religion. Sogar eine eigene Gerichtsbarkeit haben sie sich geschaffen. Es wird Theater gespielt, musiziert, geheiratet, es werden Kinder gezeugt. Nur wenige DPs arbeiten draußen für Deutsche.
In Nähe der Camps sind Schwarzmärkte entstanden. In der Berliner Presse liest man davon so: „Unweit vom Bahnhof Eichbornstraße hat die UNRRA für polnische ‚Displaced Persons‘ ein Durchgangslager errichtet. Diese Herrschaften denken aber gar nicht daran, ‚durchzugehen‘. Sie fühlen sich sehr wohl in Berlin, nachdem sie gemerkt haben, wie gut sich die Notlage der Bevölkerung bei einigermaßen gutem Geschäftssinn ausnützen läßt“, so die Neue Zeit, ein CDU-Blatt. „In Gruppen stehen sie herum, die Insassen vom UNRRA-Lager an der Potsdamer Chaussee, und schätzen ab, wo es sich lohnen könnte. Ein Ring, eine Uhr, Damenschuhe, Seidenstrümpfe wechseln blitzschnell den Besitzer. Scheine rascheln und verschwinden eilig …“, schreibt Der Kurier, der im französischen Sektor erscheint.
Nirgends steht explizit, dass es sich bei den Händlern um Juden handelt. Aber der Leser ist ja nicht dumm, der Leser weiß: Hier ist der „jüdische Schacherer“ am Werk, und die wenigen Tausend DPs sind verantwortlich für den Schwarzhandel in der Drei-Millionen-Stadt. „Opfer“ sind die Deutschen, schon wieder! Ein „Witz“ macht die Runde, wonach „DP“ für „Deutschlands Parasiten“ steht.
Auch die SED-nahe Berliner Zeitung bedient generös den Antisemitismus ihrer Leserschaft. „Die ausländischen Silbermänner und Goldjungen gehören zum unerfreulichen Straßenbild Berlins wie die Ruinen, die Schutthaufen und die verunreinigten Telefonzellen.“ Die „Unterweltler“ seien der „Abschaum ihrer Heimatländer“. Das Wort „Abschaum“ ist im Sperrsatz gedruckt.
Doch dann, plötzlich, einen Monat nach westdeutscher Währungsreform und daraufhin gestarteter Berlin-Blockade durch die Sowjets – kommt das Aus. Im Juli 1948 befiehlt die US-Armee, die „Displaced Persons“-Camps im amerikanischen Sektor Berlins zu räumen und die DPs in die amerikanische Besatzungszone im Westen zu verlegen. Grund dafür sei die Blockade, heißt es. Die Menschen könne man dort einfacher versorgen als hier. Die knapp 6.000 werden eilig ausgeflogen nach Frankfurt/Main und Bayern.
Der Nazi, pardon, Berliner Bürger kann nun aufatmen, er wird nicht mehr behelligt und betrogen an jeder Ecke. Die Berliner Zeitung jubelt: „Die Silbermänner verschwinden.“ Sie macht noch einmal „sehr viele asoziale Elemente“ unter den DPs aus und will in der Räumung der Camps ein Vorzeichen für den Abzug der Westmächte aus Berlin überhaupt sehen. Und das Neue Deutschland, Zentralorgan der SED, weiß: „Noch in letzter Minute, vor Abreise der DPs, die kommenden Mittwoch erfolgen soll, werfen die Amerikaner Unmassen von Lebensmitteln über ihre UNRRA-Zwischenhändler auf den Markt.“ Unter Joseph Goebbels hieß das „jüdische Weltverschwörung“, inzwischen ist es ein antiimperialistisches Argument.
Dann sind sie weg, und Berlin ist schon wieder ein bisschen „arischer“ als zuvor. „Man sollte meinen, daß damit auch der schwarze Markt verschwunden ist“, schreibt die jüdische Zeitschrift Der Weg im August 1948, „daß man an den bekannten Plätzen, am Potsdamer Platz, am Alexanderplatz, Bahnhof Zoo und in der Friedrichstadt nun nicht mehr die Typen trifft, die mehr oder minder deutlich ‚geschäftliche‘ Angebote machen.“ Ist es so? Weit gefehlt. Der schwarze Markt besteht wie eh und je. Verschwunden ist lediglich der Sündenbock, auf den man die Schuld abwälzen konnte. Und geblieben sind natürlich die nichtjüdischen Berliner. Die armen Opfer.
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