Fernsehen Die ZDF-Sendung „Das Zockerhaus“ ist sexistisch und homophob. Inzwischen beschäftigt das Format Fernsehrat und Intendanten – und ist weiter zu sehen
Angeblich existieren Klischees ja deshalb, weil sie tatsächlich vorkommen im wirklichen Leben. Der zerstreute Professor. Die Frau, die erobert werden will. Das Schema dabei: Menschen und Umstände werden gestutzt, versimpelt und ihrer Facetten beraubt. Und weil wir aus Gedankenfaulheit das Einfache lieben, sind sie haltbar, diese Klischees, wie Familiensilber aus Kaisers Zeiten. Die eine ist ’ne Tussi. Der andere ein Nerd. Pro7 hat daraus eine Realityshow gemacht: Beauty & The Nerd.
Wer meint, bei den Öffentlich-Rechtlichen wäre man sicher vor solcherart Stereotypen, irrt. Hier heißt der klischeebeladene Quatsch Das Zockerhaus und ist eine Serie für Kinder und Jugendliche. Sie dauert acht Folgen lang, je 24 Minuten. Man kann sie online gucken oder auf
oder auf ZDFtivi, und sie soll geeignet sein zur Unterhaltung und Bildung der Zuschauenden. So lautet der Senderauftrag. Doch stattdessen stehen Vorwürfe von Sexismus und Homophobie im Raum. In rosa Einhorn-BettwäscheWorum geht’s? Sechs Jugendliche zocken in drei Zweierpaaren Games und treten zusätzlich in analogen Wettkämpfen gegeneinander an. Team Blau, Team Rot, Team Grün. Wer ein Spiel gewinnt, sammelt Punkte. Wer verliert, muss Strafe leisten an jedem der Tage im Zockerhaus.Man sieht im „Establishing Shot“: Die Produzenten haben neben einer Autowerkstatt eine Halle gemietet, irgendwo in einem Kölner Gewerbegebiet. Und in ihr beziehen die Jungs angeblich eine Woche lang Quartier. Wer’s glaubt! Wie war das mit der Medienkompetenz, zu der wir junge Menschen doch befähigen wollten? Wurscht. Finn-Luka, Lenny, Dennis, Ron, Lapo und Darren, 15 und 16 Jahre alt, kommen aus Hamburg, Köln und München. Ostler und Mädchen sind nicht willkommen, weil Mädchen ja nicht zocken und man in Rostock oder Görlitz keine Spielkonsolen kennt. So weit, so klischeehaft. Die Jugendlichen halten also Einzug im Lagerhallen-Loft – und ab hier wird gescripted. Alles, was die Jungs fortan sagen und wie sie agieren, ist redaktionell vorgegeben. Vielleicht verstummte der eine angesichts der Kameras. Vielleicht hat ein anderer in jedem Satz dreimal „Digga“ gesagt, und das wollte man vermeiden. Was aber nun entsteht, sind ferngesteuerte, unauthentische Jugendliche. Keine einzige Idee stammt von ihnen selbst. Sie dürfen kein Eigenleben entfalten, keine Eigenarten zeigen, nicht versponnen, verlegen oder mal überheblich und selbstgerecht sein. Die Jungs verwenden außer dem obligatorischen und aus Fairness ausgesprochenen „gg“ nach dem Spiel („good game!“) kein Zockerwort. Stattdessen loben sie das Konzept der Serie und die coole Ausstattung. Sie sind brav und adrett, Omas herziger Liebling – und nervtötend gut befreundet mit allen und jedem. Denn das ist der Kern der Sendung: Kann eine Gamer-Freundschaft (die vom Sender zwei Wochen vor Drehbeginn künstlich herbeigeführt wurde) Bestand haben im „real life“? Die vorhersehbare Antwort lautet: Natürlich! Und zwar wie Bolle und durch die Bank, weil – win-win – dieses Real Life ist ja eine Scripted Reality! Das kommt heraus, wenn man eine Frage stellt, auf die man die Antwort vorher weiß und eigens in Szene setzt: etwas besonders Uninteressantes.Am ehesten funktionieren noch die Spiele. Die ZDF-Zuschauenden gucken Zockern beim Zocken zu. Das ist zwar nicht die Bohne neu, auf Youtube gibt’s das seit Jahren. Aber hier dürfen die Jugendlichen – es lässt sich gar nicht vermeiden – ein wenig aus sich herausgehen und werden so überhaupt einmal sichtbar.Die „Strafen“ sollen neben den Games und Wettkämpfen der Spaß sein bei diesem Fernsehprodukt. Die Vorgabe: Wer verliert, muss etwas tun, das (angeblich) sehr unangenehm oder peinlich ist. So muss man den besten Freund anrufen und – knutsch! – ihm sagen, wie sehr man ihn liebt. Man muss sich Mädchenspangen ins Haar klemmen. Einander die Fingernägel lackieren. Sich Glitzertattoos ins Gesicht kleben. Es wird die Männlichkeit der Protagonisten infrage gestellt. Sie werden gezwungen, zu tun, was als „weiblich“, „kindisch“ oder „schwul“ gilt. Und das wird dann lauthals „igitt“ genannt. Zwei schlafen, auch zur Strafe, in rosa Einhorn-Bettwäsche. Sie werden aufgefordert „mal auf sexy“ zu machen, bemühen sich leidlich und werden gelobt: „Endlich stehst du zu deinen Vorlieben!“ Natürlich wird alles per Handy dokumentiert und verbreitet: Bodyshaming auf offener Bühne.Klischee-escWären diese Dinge nicht als „Strafen“ angekündigt, wär’s ja vielleicht ganz okay. Fingernägel lackieren, wo ist das Problem? So aber, negativ konnotiert, kommt der Spaß vergammelt aus der Mottenkiste und war zuletzt schon nicht lustig in den Pauker-Filmen der 1950er. In einem offenen Brief wandte sich Mitte September der Verein klische*esc an die verantwortliche Redaktion, an den ZDF-Fernsehrat sowie die Beauftragten für Jugendmedienschutz und Gleichstellung. Der Verein vergibt seit 2017 jährlich den Negativ-Preis Goldener Zaunpfahl für besonders krude mediale Verdienste in Sachen Geschlechterklischees. Auf der zugehörigen Homepage heißt es, dass Kinder durch reaktionäre Medienvorbilder nicht nur in ihrem Rollenverständnis, sondern auch in ihrem Verhältnis zum eigenen Körper sowie in ihren Interessen und Wünschen eingeschränkt würden.Das Zockerhaus sei ein „zutiefst sexistisches Format“, schrieb der Verein dem ZDF. Es reproduziere Bilder toxischer Männlichkeit, verbreite homophobe Botschaften und genüge in keiner Weise dem aus Artikel 5, Absatz 1, Satz 2 des Grundgesetzes abgeleiteten Bildungsauftrag einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt. Es entspreche nicht einmal den ZDF-eigenen Richtlinien zum Jugendmedienschutz und zur Gleichstellung: „Wir fordern Sie auf, die Serie aus dem Programm zu nehmen und aus den Online-Angeboten zu löschen.“ Aber ist Canceln die Lösung? Klüger und endlich ein Beitrag zur Bildung und Medienkompetenz der jungen Zuschauenden wäre doch, ließe das ZDF die sechs Jungs nachträglich über die Dreharbeiten im Zockerhaus sprechen. Unzensiert und frei. Aber das hieße, Fehler einzuräumen. Man müsste Produktionsbedingungen offenlegen, ließe sich in die Karten gucken und alle sähen, dass sie gezinkt sind. Deshalb wird es niemals passieren. Eine Antwort auf den offenen Brief steht noch aus. Aktuell liegt er beim Intendanten, der sich einen Monat Bedenkzeit nehmen möchte. Danach kann die Sache zurückgehen an den Fernsehrat, der ebenfalls vier Wochen beansprucht für eine Reaktion. Indessen hopsen Finn-Luka, Lenny, Dennis, Ron, Lapo und Darren weiter unlustig als Hasen („Haddu Möhren?“) an einer Kölner Straße herum. Die Ecke ist öde, nichts los da, aber es musste halt schnell gehen und vor allem billig sein. Sie singen auch im Kleid und mit rosa Perücke. Springen in Kleinkinderkostümen in ein Bällebad und lutschen lustvoll an Zuckerstangen. Es schlägt einem wirklich auf den Magen. Der Münchner Dennis ist Michael-Jackson-Fan. Er kann ein paar Moves und zeigt sie, inklusive Crotch Grab, dem beherzten Griff in den Schritt, den man von Jackson kennt. Auch das noch. Beat it!