"Yours sincerely, Stan"

Starkult Fanliebe kann extreme Ausmaße annehmen. In vielen Fällen gleitet die Verehrung für berühmte Persönlichkeiten ins Krankhafte ab.

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Stalking war nie einfacher als heute. Im Zeitalter von Twitter, Instagram & Co. scheinen die wenigsten ein Problem damit zu haben, Einzelheiten aus ihrem Privatleben mit Unbekannten zu teilen. Soziale Netzwerke stellen wahre Goldgruben an personengebundenen Informationen dar, frei zugänglich für jeden, der mehr wissen will.

Richtet sich das Stalking nicht gegen Privatpersonen, sondern Berühmtheiten, spricht man von „stanning“. Der Begriff geht auf ein Lied von Eminem zurück, der in „Stan“ – eine Wortschöpfung aus „Stalker“ und „Fan“ – die Auswirkungen einer fehlgeleiteten Leidenschaft beschreibt.

Stan ist ein Eminem-Superfan, der den Rapper mit Briefen bombardiert, über jedes noch so kleine Detail aus dessen Leben bestens informiert ist und kein Verständnis dafür hat, dass das Objekt seiner Begierde nicht dieselbe Begeisterung für ihn zeigt. Als Eminem schließlich auf die Briefe reagiert, ist es bereits zu spät – Stan, der mit dem vermeintlichen Desinteresse seines Idols nicht umgehen konnte, hat sein Auto mit der schwangeren Freundin im Kofferraum von einer Brücke gelenkt und ist tot.

Weniger dramatisch aber ebenso effektiv hat Ed Sheeran das Phänomen des Stans in „Lego House“ auf den Punkt gebracht. Im dazugehörigen Videoclip mimt Rupert Grint den Hardcore-Fan, dem es – anders als Eminems Stan – schließlich sogar gelingt, den Sänger persönlich zu treffen.

In gewisser Weise steckt in jedem von uns ein Stan. Wer kann schon ehrlich von sich behaupten, noch nie den Namen seines Idols in eine Suchmaschine getippt zu haben? Wie viele Minuten verbringen wir täglich damit, uns auf Twitter und Instagram durch die neuesten Posts und Stories von Prominenten zu scrollen, die uns digitalen Fenstern gleich einen Einblick in das Leben der Stars gewähren?

Die harmlose Begeisterung für den Lieblingsschauspieler oder die Lieblingsband kann sich jedoch schnell zur exzessiven Anhimmelei entwickeln, die immer mehr Platz im Leben der Betroffenen einnimmt. Von bedingungsloser Vergötterung zu ungesunder Besessenheit ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.

Die drei Dimensionen des Celebrity Worship Syndromes

Experten sprechen bei dieser krankhaften Verehrung vom Celebrity Worship Syndrome (CWS). Wie stark das CWS ausgeprägt ist, hängt von der jeweiligen Person ab. John Maltby, Psychologieprofessor an der Universität Leicester, hat in einer Studie zum Thema festgestellt, dass sich das Celebrity Worship Syndrome in drei Dimensionen unterteilen lässt.

Entertainment-Social schließt all diejenigen mit ein, die in der gewissenhaften und regelmäßigen Recherche zu ihrem Idol eine Fluchtmöglichkeit aus ihrem Alltag sehen. Von nicht minder großer Bedeutung ist jedoch der Austausch mit Gleichgesinnten, natürlich mit dem Leben – und Leiden – des angehimmelten Stars als Hauptgesprächsthema. Die Vermutung liegt nahe, dass sich die überwiegende Mehrheit von Fanclubs aus Vertretern der Entertainment-Social-Dimension zusammensetzt.

Wer unter die Kategorie Intense-Personal fällt, leidet unter einer verzerrten Wirklichkeitswahrnehmung und hat zumindest teilweise den Bezug zur Realität verloren. Betroffene betrachten den Erfolg ihres Idols auch als ihren eigenen und sehen in dem von ihnen verehrten Prominenten einen Seelenverwandten.

Bei Vertretern der Dimension Borderline-Pathological ist das Celebrity Worship Syndrome am stärksten ausgeprägt. Symptome umfassen extremen Realitätsverlust und eine an Manie grenzende Besessenheit. Leidtragende sind willens, Geldsummen im vierstelligen Bereich auszugeben, um einen Gegenstand aus dem Besitz der Berühmtheit zu erwerben. Dabei kann es sich beispielsweise um eine verkleckerte Serviette, einen Pappteller oder ein benutztes Taschentuch handeln. Würde ebenjene Berühmtheit sie bitten, eine Straftat zu begehen, käme die Mehrheit der Betroffenen diesem Wunsch „wahrscheinlich“ nach. Die Gruppe der Borderline-Pathological-Patienten ist bereit, für ihr Idol ins Gefängnis zu gehen.

Schnappschüsse aus dem Privatleben

Dr. Mark Griffiths, Psychologe und Professor an der Nottingham-Trent-Universität, geht davon aus, dass die Zahl der Personen, die am Celebrity Worship Syndrome leiden, in den vergangenen 20 Jahren zugenommen hat. Als Grund führt er das Aufkommen sozialer Medien an, deren Potenzial Stars wie Ryan Reynolds, Ariana Grande und Chris Hemsworth längst erkannt haben. Von Einblicken ins Privatleben bis zur Promo des neuesten Projekts – für diese Meister der Selbstvermarktung sind Plattformen wie Twitter und Instagram unverzichtbar.

Einige Fangemeinden sind mittlerweile so groß, dass sie sogar eigene Namen haben. Die Arianators schwärmen für Ariana Grande, Justin Bieber hat seine Belieber und Cardi B kann sich auf ihre Bardi Gang verlassen. Die Anhänger von Frauenschwarm Benedict Cumberbatch waren bei der Namensgebung besonders kreativ: Der britische Schauspieler findet bei den Cumberbitches rückhaltlose Unterstützung.

In einem Zeitalter, in dem Stars mit teilweise religiöser Hingabe verehrt werden, stellt sich die Frage, ob Idole zum neuen Opium des Volkes avanciert sind.

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