Leben wir in einer überpsychologisierenden Gesellschaft? „Die Seele“ gilt vielen als ursächlich für so ziemlich alle Leiden. Prominente gehen mit psychischen Problemen an die Öffentlichkeit, Bücher wie die von Komiker Kurt Krömer über „meine Depression“ werden launige Bestseller, meist über deren erfolgreiche Überwindung.
Allgemein herrscht Einigkeit: An Angstattacken, grundloser Traurigkeit, Überforderungsgefühlen muss irgendein Trauma, irgendeine Kindheit, eine tiefe Verletzung in der Vergangenheit schuld sein. Als es mir selbst längere Zeit nicht so gut ging, dachte ich das auch. Aber mit dem Unglück ist es wie mit dem Glück. Oft sucht man an der falschen Stelle, wie der Mann, der seinen Schl
mit dem Glück. Oft sucht man an der falschen Stelle, wie der Mann, der seinen Schlüssel verloren hat, den der philosophierende Psychotherapeut Paul Watzlawick in seiner Anleitung zum Unglücklichsein beschreibt: Steht unter der Laterne, sucht und sucht, bis jemand kommt und fragt, was er suche. – Na meinen Schlüssel! – Sind Sie denn sicher, dass Sie ihn hier verloren haben? – Nein, dort hinten, aber da ist es zu finster. Wahrscheinlich hatte er Serotonin-Mangel.Hormone wirken als Stimmungsbooster – und -killerDer Schlüssel zum Glück liegt nämlich in der Gegenwart, genauer: im Körper, also: in biochemischen Prozessen. Insbesondere Hormone beeinflussen unsere Stimmung. Tanzt eines aus der Reihe, kann es unangenehm werden. Bei mir war es Thyroxin – eine Routineuntersuchung ergab eine Schilddrüsenunterfunktion. Seitdem ich täglich eine Tablette nehme, geht es mir besser.Vor allem Serotonin macht beim Thema Depression Schlagzeilen. Und bei Partydrogen: Es wurde gehypt als „Glückshormon“, Ketamin oder MDMA (Ecstasy) sorgen für eine erhöhte Ausschüttung. Chemisch heißt der biochemische Botenstoff 5-Hydroxytryptamin (5-HT). In der Natur kommt er vielfältig vor, wird auch von Einzellern wie Amöben produziert. Serotonin ist ein Neurotransmitter, das heißt, dass es den Nervenzellen die Kommunikation ermöglicht. Konkret leitet es Erregung weiter, wirkt auf die Wahrnehmung von Schmerz, den Augeninnendruck, die Verdauung und ist an Blutgerinnung und Wundheilung beteiligt. Ein zu hoher Serotonin-Spiegel kann Angst, Unruhe, Zittern, Muskelkrämpfe oder Erbrechen und Durchfall zur Folge haben. Auch auf die Körpertemperatur wirkt das in den 1930ern zunächst als Enteramin aktenkundig gewordene Hormon.Doch es existiert schon seit Hunderten Millionen Jahren, etwa in Pflanzen und Pilzen. Der menschliche Körper enthält etwa zehn Milligramm Serotonin, gebildet aus der Aminosäure L-Tryptophan und zwei Enzymen. Der größte Teil wird in der Darmschleimhaut hergestellt. Der Magen-Darm-Trakt speichert rund 95 Prozent des Hormons. Im Zentralnervensystem beeinflusst Serotonin fast alle Gehirnfunktionen – Schlaf, Appetit, Freude. Auch beim Sex mischt es mit: Macht es sich rar, kann es zum vorzeitigen Samenerguss kommen, bei einem Zuviel fehlt nicht nur die Lust, sondern auch die Erektion – eine mögliche Antidepressiva-Nebenwirkung.Glück ist nicht chemisch herstellbar: Soziale Faktoren spielen eine große RolleDie optimistische Theorie, mit einem höheren Serotonin-Spiegel ließen sich Depressionen heilen, führte in den 1960ern zur Entwicklung etlicher Medikamente, gilt heute aber im Wesentlichen als widerlegt. Was genau im Gehirn bei pathologischer Niedergeschlagenheit passiert, ist längst nicht voll erforscht. Man weiß nur: Es ist kompliziert. Soziale Faktoren wie Armut, Arbeitslosigkeit, Trauer und Traumata spielen eine Rolle. Sind psychische Probleme also nur gesellschaftlich lösbar?Das Hormonsystem scheint jedenfalls ähnlich empfindlich wie eine Schulklasse oder die Weltpolitik: Ein einziger Störenfried bringt alles durcheinander. Dass ein zu niedriger Serotoninspiegel auf die Stimmung schlägt, ist wohl unstrittig. Kopfschmerzen, Migräne, zwanghaftes Verhalten oder impulsive Gedanken sind möglich. Dann reicht nicht ein Stück Schokolade, wie der Volksmund rät. Kakao enthält zwar in geringen Mengen die Serotonin-Vorstufe Tryptophan, das der Körper nicht selbst herstellen kann, sodass man es über die Nahrung aufnehmen muss. Doch in Schokolade ist der Gehalt so gering, dass es allenfalls für einen Placebo-Effekt reicht. Effektiver wäre wohl der Genuss von Walnüssen und Bananen. Auch Pflaumen oder Tomaten enthalten signifikante Thyrophanmengen und können zur Hebung des Serotonin-Spiegels beitragen.Als Glücksmanager hat Serotonin es in der Kultur weit gebracht, zum Liedtitel, rockig bei Isolation Berlin, folkig bei Tom Wagner dem oder zum Romantitel bei Michel Houellebecq. Dessen leidender Held schluckt Antidepressiva, wodurch ihm die Libido abhandenkommt. Ob Houellebecq selbst wohl glücklich ist? Manche Stimmen im Feuilleton legen dies nahe, aber der Serotonin-Spiegel auch von Prominenten bleibt hoffentlich weiterhin Privatsache.