Leicht beklommen erinnert man zuerst vergangene Klassenfahrten und die obligatorischen Besuche „pädagogisch wertvoller“ Ausstellungen. Der Gegenstand ist aber auch abschreckend: Bildung ist seit jeher mit Ansprüchen und Versprechen überfrachtet, ist Schreckgespenst, dauerdefizitäre Baustelle, weshalb sich Expertise aufgetürmt hat, eine interessante Darstellung aber schwierig ist. Die Ausstellung Bildungsschock versammelt zwar spannende Zeugnisse aus einer politisch höchst angespannten Zeit, in der nach dem sogenannten Sputnik-Schock die Bildung weltweit „schockartig“ expandierte, und angesichts der gezeigten Publikationen aus den 1950ern bis in die 1970er wird so mancher Typo-Liebhaber entzückt sein – indes: Bis auf ein paar
uf ein paar Architekturmodelle wird es nicht „haptischer“. Kurator Tom Holert hat dafür mit Fallstudien versucht, den Zeit- und Aufbruchsgeist, das Bildungswettrüsten jener Epoche, später die Entwicklung von der Industrie- zur Wissenschaftsgesellschaft greifbarer zu machen, in der „ganze Gesellschaften regelrecht verwissenschaftlicht und pädagogisiert wurden“.Die ermordete UniversitätMitten im Kalten Krieg, im Oktober 1957, umrundete der erste Satellit die Erde, Sputnik 1 wurde zum Triumph für die Sowjetunion, was gehörig am Selbstbild der USA kratzte. Titelbilder des Life-Magazins illustrieren, wie groß das Unbehagen war (nicht ganz unähnlich unserer Bildungsschockstarre in der Covid-Krise). Wenige Tage nach dem Flug zeigte Life zwei Wissenschaftler, analog mit viel Papier vor einem übermächtigen Schulglobus sitzend, „der Rote“ ist schon hochgeklettert. 1958 verabschiedete die US-Regierung den National Defense Education Act. Das Gesetz führte zu signifikant höheren Bildungsinvestitionen, vor allem in Physik und Mathematik. Die Sowjetunion ihrerseits exportierte Bildungsarchitektur und vergrößerte so den globalen Einflussbereich im Wettstreit mit den USA, (ehemaligen) Kolonialmächten, westlichen Staaten, China, Japan. In den 1960ern planten und bauten sowjetische Architekten Hochschulen in Vietnam, Äthiopien, Afghanistan ... einige waren Geschenke. Es entstand seit den späten 1950ern aber auch die Tropische Moderne, eine post- oder antikoloniale Bildungsarchitektur, in Ghana, Nigeria und anderen afrikanischen Ländern.So manche real gewordene Utopie sollte scheitern, weil zu progressiv. „Die ermordete Universität“ heißt übersetzt ein Buch, das 1980 in Frankreich erschien, der Titel erzählt vom Schmerz angesichts des brutalen Abrisses der Universität von Vincennes, des einstigen „französischen Berkeley“. Nur zwölf Jahre stand die eigentlich zur Deeskalation der 68er-Unruhen in den Wald outgesourcte Fakultät.Zu bestaunen sind die hoch ambitionierten Campus-Pläne der iranischen Architektin Zohreh Ghara Gosloo aus dem Jahr 1975, der eine siedlungsartige Megastruktur vorschwebte, eine Mischung aus traditionellem Unterricht und selbstorganisierter Lehre. Wer erahnen will, welche in Schubladen vergessenen Konzepte und revolutionären Rohrkrepierer für die Schau gehoben wurden, kann nur einmal versuchen, den Namen der Architektin im Internet zu finden, wohlgemerkt im digitalen Zeitalter.Ein Zusammenschnitt von Fernsehbeiträgen zur Schulbau- und Bildungspolitik dokumentiert die Debatten um Räume des Lernens und neue Schulformen in Ost und West. Sie erinnern an das damals noch spießbürgerlich-autoritäre Klima. 30 Prozent der BRD-Klassenräume in der Zeit des Schwarz-Weiß-Fernsehens waren ohne Licht. Und schon damals wurde über soziale Selektion gestritten, von Kindern der „Unterschicht“ ist heute ja aber nicht mehr die Rede. In allen Staaten des globalen Nordens wurde später so radikal experimentiert wie zuletzt im frühen 20. Jahrhundert, gepusht natürlich durch die sozialen Bewegungen der Zeit.„Der dritte Lehrer ist der Raum“, sagte der Reformpädagoge Loris Malaguzzi. Und der „Raum“ ist in der Ausstellung dezidiert weiter gefasst, wovon die Mangroven-Schulen in den Urwäldern Guinea-Bissaus zeugen, die dem Kampf gegen die portugiesische Kolonialmacht bis 1974 dienten und in denen die Schüler mit „militanter Pädagogik“ unterrichtet wurden. Wie Diskriminierung oder Freigeist durch Architektur artikuliert werden, zeigen die Diskussionen über Flurschule versus Gesamtschule. Wohltuend: Durchweg vermieden wird ein „pädagogischer Ansatz“, auch beim Streitthema Inklusion.Einige Jahre stecken in dem Projekt mit vielen Expert*innen. Wir alle sind Lernende, ganz bewusst „diffundiert“ das Projekt daher „in den Außen- und Umraum“, heißt es in dem empfehlenswerten Begleitbuch, und dass die Zukunft der Bildung nur in der Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte gelingen kann. Das Gebäude übrigens, in dem das Haus der Kulturen der Welt beheimatet ist, entwarf der bekannte Bildungsarchitekt Hugh Stubbins. Das recherchiert man noch mal, sieh an, es war ein Geschenk der Amerikaner.Placeholder infobox-1