Aus New York, Brooklyn kommt ein neues Literaturtalent. Jaroslav Kalfař ist 29 Jahre alt, geboren wurde er in Prag. Für sein Debüt stand ihm ein weltberühmter Kollege als Mentor zur Seite: Jonathan Safran Foer. Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt ist ein Science-Fiction-Märchen. Es geht um Liebe, um Schuld und Sühne, es gibt eine Spinne, die Nutella liebt, irgendwo oben im Weltall hängt eine rätselhafte Staubwolke. Seine Geschichte hat Kalfař in das Jahr 2018 gelegt. In Tschechien ist der Turbokapitalismus in vollem Gange, die Narben der kommunistischen Diktatur sind jedoch längst nicht verheilt. Besonders Jakub leidet, sein Vater hat beim Geheimdienst gearbeitet.
Nach einem Spaziergang durch Prag sitzen wir in einem Café oberhalb der Stadt, das alte Kaffeehaus am Wenzelsplatz wäre noch schöner gewesen, aber es existiert nicht mehr, es musste wohl dem Kentucky Fried Chicken weichen.
Kalfař trägt einen Hipsterbart, den hat er mit melancholischen Augen kombiniert.
der Freitag: Herr Kalfař, wie kamen Sie auf die Figur Jakub, der im Jahr 2018 zu einer Weltraummission aufbricht und Freundschaft schl ießt mit dem sympathisch altklugen Spinnentier Hanuš?
Jaroslav Kalfař: Schon als Kind habe ich es geliebt, Science-Fiction-Filme mit meinem Vater zu sehen. Er hatte eine riesige Sammlung. Und schon lange treibt mich die Einsamkeit als literarischer Stoff um. Ich habe überlegt, was sonst könnte einsamer sein als ein Astronaut im Weltall ...
Ihre Freunde in Brooklyn, haben die eine Vorstellung von ihrer Heimat Tschechien, seiner Geschichte oder Literatur?
Jeder kennt natürlich Milan Kundera, vielleicht noch Ich habe den englischen König bedient von Bohumil Hrabal, aber danach kommt nicht viel. Václav Havel ist der bekannteste Tscheche, er ist ein Symbol der Dissidenz. Meine Freunde haben eine grobe Idee vom Kalten Krieg. Die Amerikaner haben aber mehr eine romantische Vorstellung vom Kommunismus. Philip Roth soll gesagt haben, dass er eifersüchtig ist auf die Tschechen, weil sie leiden.
Zur Person
Jaroslav Kalfař ist in Prag geboren und aufgewachsen. Mit 15 Jahren emigrierte er mit seiner Mutter in die USA. Kalfař studierte Englische Literatur und Philosophie an der University of Central Florida. Heute lebt und arbeitet er in Brooklyn
Der hintergründige Senator Tůma genießt am Wochenende das einfache Landleben. Eigentlich war das für uns im Westen die Faszination, die „gemütliche Seite“ im Kommunismus, deshalb fuhr man nach Prag, wegen des sentimentalen Lichts der Straßenlaternen, um zünftig Bier zu trinken und Knödel zu essen.
Wir neigen dazu, diese Dinge zu romantisieren. Die Leute im Kommunismus gingen zur Arbeit, in die Kneipe und dann ins Bett. Sehen Sie, erst später habe ich erkannt, dass mein Vater seine Tage nicht nur aus Leidenschaft mit Science Fiction verbracht hat. Er hatte keinen Job. Ein gebrochener Held ist im Grunde auch unser braver Soldat Schwejk. In Hašeks Literatur ist er einer, der sich gegen die Autoritäten stellt. Aber Schwejk hatte eine Depression.
Sind wir also nur hoffnungslos melancholisch, wenn wir uns freuen, dass wir in einem der Exchange-Läden Devisen tauschen dürfen? Und uns wie echte Touristen fühlen, die man übers Ohr hauen kann? Tschechien ist ja nicht Mitglied im Euro.
Stimmt, und die Leute stehen immer noch vor den Wechselstuben und versuchen mit Japanern zu tauschen. Aufgrund unserer Geschichte sind die Tschechen skeptisch. Deshalb wollen wir die Krone behalten. Das geht noch weiter. Die Bevölkerung ist sehr homogen. Was mich heute am meisten stört, ist die Ignoranz der Leute, und der grassierende Rassismus.
Apropos Xenophobie. Wo sind die Roma oder Sinti? Man sieht sie nicht mehr im Stadtbild. Man sieht auch keine Bettler ...?
Es gibt natürlich viele, die sich integriert haben, die ein normales Leben führen und deshalb nicht auffallen. Aber viele leben immer noch in Ghettos außerhalb. Und Betteln ist in Prag verboten.
Senator Tůma weiß, dass Jakub der ideale Mann für das ehrgeizige Projekt Tschechiens ist. Der Vater war ein Kollaborateur. Jakub denkt wie ein Kind, dass er etwas Großartiges tun muss, um die Familienschuld auszulöschen. Dafür setzt er die Ehe mit seiner Frau Lenka aufs Spiel. Gibt es Ähnlichkeiten zu realen Politikern?
Ja, die gibt es. Der Milliardär Andrej Babiš zum Beispiel, der tschechische Ex-Finanzminister, der Regierungsschef werden will. Er hatte diese Idee eines Start-ups, das alle Läden in der Stadt verpflichtet, das gleiche EC-Gerät zu nutzen, natürlich gebührenpflichtig.
Also eine Art Sozialismus in kapitalistischem Outfit?
Genau. Im Mai musste er wegen Verdachts auf Steuerbetrug und Manipulation der Medien zurücktreten. Dieser Politikertyp ist exemplarisch.
Kann man sich Babiš wie eine Mischung aus Berlusconi und Trump vorstellen?
Exakt. Und der amtierende Präsident Miloš Zeman ist einer, der die Kommunisten hofiert. So ist die Lage.
Nach der politischen Wende verliert Jakub alles, die Eltern, das Haus im Dorf Streda. Rache ist in Ihrem Roman ein starkes Motiv ...
Der Kommunismus hat die Gesellschaft zutiefst geprägt und tief gespalten. Darüber wollte ich schreiben. Aber das war nicht einfach. Ich wollte mich nicht lustig machen oder mich moralisch erheben. Die Kollaboration ist ein großes Tabu hier in Tschechien. Die Leute wollen heute immer noch wissen, wer damals vom Regime profitiert hat. Als das Buch erschien, hätte ich deshalb mehr Kritik und Skepsis erwartet.
Spielt Ihre eigene Biografie eine Rolle im Buch?
Ja, natürlich. Mein Großvater hat sich damals geweigert, in die kommunistische Partei einzutreten. Weshalb mein Vater nicht studieren durfte. Er wurde Installateur. Ähnlich ist das bei meiner Mutter. Nach der Wende kam ohne Umweg der Kapitalismus. Erst wurde uns die Wohnung rückübereignet, dann kam der erste Investor mit einem Kaufangebot. Wir verkauften. Meine Mutter ging mit dem Geld nach Amerika, meinem Vater kaufte man eine Wohnung. Heute ist in unserer ehemaligen Erdgeschosswohnung ein Café.
Mir als einer Deutschen war es immer wichtig, ob oder welche Schuld meine Familie im Nationalsozialismus auf sich genommen hat. Macht es Sie stolz, dass sich Ihre Familie mit niemandem gemein gemacht hat?
Ja, sicher. Oder anders gesagt, es hilft mir. Aber das ist Schicksal. Ich habe da kein Verdienst. Ich bin nur froh. Das will ich beschreiben, wie sich die Tragik über Generationen fortzieht, dass die Kinder von Kollaborateuren Bastarde im Auge der anderen bleiben.
Sie waren zweimal wieder hier in Prag, seitdem Sie ausgewandert sind. Stört es Sie, wie sich die Stadt verändert hat? Die Gegend um den Wenzelsplatz scheint komplett durchglobalisiert.
Ja und Nein. Sicher, die Stadt ist voller Touristen. Aber ich erinnere mich immer noch, wie ich als Kind auf der Karlsbrücke gewesen bin. Die Stadt ist nicht immer gleich zu jeder Zeit, zum Beispiel nachts. Und auch sonst findet sie immer Momente, mit ihren Bewohnern zu kommunizieren. Prag tut übrigens auch sehr viel, um dem Trend der Globalisierung entgegenzuwirken. Es gibt strenge Auflagen. Wenn ein Diorladen irgendwo einzieht, muss er für die Erhaltung des historischen Gebäudes sorgen. Außerhalb Prags ist das Leben normal. Sobald man die Stadtgrenze erreicht, sind die Mieten wieder bezahlbar – oder Eigentum. Ich würde gerne etwas kaufen, zwischen Prag und New York pendeln.
Lesen Sie viel? Und wenn ja, was?
Ein Buch in der Woche, mindestens! Aktuell ein Buch von Ian McGuire. Das ist eine tolle Moby-Dick-Geschichte. Besonders interessiert mich Migrationsliteratur. Americanah zum Beispiel von Chimamanda Ngozi Adichie. Ich schreibe darüber für den New Yorker. Mich interessieren die Probleme und Schwierigkeiten kleiner Nationen. Was mein Land betrifft, der Kommunismus hat uns zerstört, aber nicht als Nation gebrochen. In meinem ersten Buch wollte ich mein Land erklären.
Sie müssen Christian Kracht lesen, in seinem Buch „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ ist die Schweiz eine Sowjetrepublik. „Imperium“ handelt von faschistischen Veganern auf einer Insel.
Oh, das müssen Sie mir aufschreiben!
Info
Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt Jaroslav Kalfař Barbara Heller (Übers.), 368 S., 22 €
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