„Freuen Sie sich über steigende Preise?“ Mit diesem Satz bewarb die Deutsche Bank im April 2008 einen Agrar-Rohstoff-Fonds ausgerechnet auf Brötchentüten. Für einen winzigen Augenblick offenbarte das Geldinstitut seinen Zynismus: Zu diesem Zeitpunkt waren die Preise für Rohstoffe wie Weizen explodiert, der Lebensmittelpreisindex der Welternährungsorganisation FAO hatte sich in einem Jahr verdoppelt. Es kam zu Hungerrevolten in mehreren Ländern. Die Krise wurde durch massive Spekulationen mit agrarischen Rohstoffen an den Warenterminbörsen befeuert. Zwischen 2006 und 2011, also während der Finanzkrise, sollen spekulative Kapitalanlagen mit Agrarprodukten von 65 Milliarden auf 126 Milliarden Dollar gestiegen sein. Die Geschäfte mit dem Hunger sorgten für einen Aufschrei, unter öffentlichem Druck stiegen einige Banken aus der Nahrungsmittelspekulation aus oder kündigten an, sie eindämmen zu wollen. Selbst die EU rang sich zu zaghafter Regulierung durch.
Viel klandestiner begann zugleich eine Entwicklung, die bis heute weitreichende Folgen hat: Auf der Suche nach sicheren Anlagen gerieten Ackerböden ins Visier von Investoren und Spekulanten. Schließlich lässt sich daraus gleich zweifach Profit schlagen: mit der agrarischen Produktion und der Wertsteigerung des Bodens. Ackerland ist knapp. Während die Weltbevölkerung wächst, schrumpfen pro Jahr die Flächen durch Bodenerosion, Klimawandel, Versiegelung und Verstädterung um die Größe Islands. Lukrative Landgeschäfte und profitable Produktionen verschärfen die Nahrungsmittelkonkurrenz, erhöhen den Druck auf Kleinbauern und indigene Gemeinden in den Ländern des Südens, auf die bäuerliche Landwirtschaft weltweit.
„Seit der Finanzkrise kaufen Finanzinvestoren immer mehr Land“, sagt Roman Herre, Agrarreferent bei der Menschenrechtsorganisation FIAN, „wir beobachten die Finanzialisierung von Land als sehr dominante und dynamische Entwicklung.“ Der Begriff beschreibt, wie Kapitalanleger, die mit Agrarprodukten nichts zu tun haben, Einfluss auf die Agrarproduktion gewinnen. „Finanzielle Motive, Finanzeliten und Finanzinstitutionen“, so Herre, „bestimmen mehr und mehr, zu welchem Zweck Land genutzt wird. Das Menschenrecht auf Nahrung bleibt auf der Strecke.“ Laut der Konferenz Global Aginvesting ist die Anzahl spezialisierter Landfonds von 20 im Jahr 2005 auf heute mehr als 130 gestiegen, in die rund 45 Milliarden Dollar geflossen sind. Analysten schätzen den Wert „investierbaren“ Landes derzeit auf acht Billionen Dollar. Weitere 18 Billionen steckten in Flächen, die „Nicht-Investoren“ gehören.
Die Online-Plattform Landmatrix listet 50 Millionen Hektar auf, die seit 2000 von Investoren gekauft oder gepachtet wurden, vorrangig in den Ländern des Südens. Deals über 19 Millionen Hektar würden noch verhandelt. Der NGO Oxfam zufolge haben zwischen 2001 und 2010 sogar 230 Millionen Hektar Ackerland den Besitzer gewechselt, vor allem in Afrika. Dabei sollen zwischen 50 und 100 Milliarden Dollar geflossen sein. Landkonflikte sind die Folge: Wie die Welthungerhilfe schätzt, haben mehr als 30 Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage verloren, weil externe Großinvestoren ihre Land- und Gewohnheitsrechte missachtet haben. Landgrabbing, die illegale, oft gewalttätige Vertreibung von Kleinbauern oder indigenen Gemeinden, beschäftigte viele NGOs. Was landläufig mit skruppellosen Landjägern, gierigen Bankern, korrupten Eliten in den Ländern des Südens oder „China auf Einkaufstour“ assoziiert wird, ist ein globales Geschäft mit vielen mächtigen Akteuren.
„Nach der ersten Welle von Landgrabbing, die von Goldgräberstimmung und vielen individuellen Akteuren gekennzeichnet war, gibt es jetzt eine zweite Welle mit relevanten, auch institutionellen Akteuren“, sagt Roman Herre. Dazu zählten Agrarkozerne, Pensionsfonds, Vermögensverwaltungen und Entwicklungsbanken.
Der von Heinrich-Böll-Stiftung, Rosa-Luxemburg-Stiftung, BUND, Oxfam und Germanwatch 2017 herausgegebene Konzernatlas beschreibt, wie Agrarkonzerne zu Playern auf dem Finanzmarkt werden, etwa die US-Konzerne Archer Daniel Midlands (ADM), Bunge und Cargill, dazu das niederländische Unternehmen Louis Dreyfuss. Sie dominieren den globalen Handel mit Mais, Palmöl, Reis, Soja, Weizen und Zuckerrohr. Die „ABCD-Gruppe“ verarbeitet Rohstoffe, besitzt Häfen und Schiffe, Ölmühlen sowie Fabriken. Sie hat Tochterunternehmen, die selbst spekulative Geschäfte tätigen. Dreyfuss etwa gehört der Hedgefonds Edesia, der knapp drei Milliarden Dollar verwaltet. Cargill handelt mit Derivaten von Warentermingeschäften. Der Finanzinvestor Temasek Holding ist Anteilseigner von Olam International, drittgrößtes Agrarunternehmen der Welt für Kaffee, Kakao, Baumwolle und Reis und im Besitz von 2,4 Millionen Hektar Ackerfläche. Konzerne verkaufen untereinander Land, um die Preise in die Höhe zu treiben. Zusehends verschwimmen heute Trennlinien zwischen Produktion und Spekulation: SLC Agricola, der größte Sojaproduzent Brasiliens, kontrolliert dort eine halbe Million Hektar Land. Auf mehr als der Hälfte wächst Soja, doch verdiente SLC Agricola 2015 erstmals mehr Geld mit dem Verkauf von Land als durch Soja-Anbau.
Diese Machtkonzentration bewirkt, dass sich Monokulturen mit Industriepflanzen ausbreiten. Die Flächen, auf denen Mais, Palmöl, Soja und Zuckerrohr allein zur industriellen Verarbeitung gewonnen werden, haben sich in den vergangenen 50 Jahren um 156 Millionen Hektar vergrößert, eine Fläche fünf Mal so groß wie Deutschland.
Diese „Flexcrops“ eröffnen Investoren ganz neue Möglichkeiten, sie reduzieren das Risiko und erhöhen die Aussicht auf Profite, weil Investoren kurzfristig entscheiden können, wie die Rohstoffe verwertet werden. Fallen die Preise für Rohzucker an der Londoner Börse, kann Zuckerrohr auch der Bioethanolproduktion zugeführt werden. Man hat es nicht mehr mit Wertschöpfungsketten, sondern komplexen Wertschöpfungsnetzen zu tun. Daran beteiligt sind große Pensionsfonds, die über ein Anlagevermögen von mehr als 40 Billionen Dollar verfügen. Weil Landkauf eine immer größere Rolle spielt, sind davon 15 Milliarden Dollar in Ackerfonds geflossen.
Soja, Soja, Soja, Soja, Soja
Gut dokumentiert ist die Rolle des US-Pensionsfonds der Teachers Insurance and Annuity Association – College Retirement Equities Fund (TIAA-CREF). Der Fonds unterstützt vier Millionen Lehrer im Ruhestand und verwaltet ein Vermögen von mehr als 800 Milliarden Dollar. TIAA-CREF investiert seit 2007 in Agrarflächen wie -beteiligungen und hat zwei Agrarfonds mit einem Volumen von fünf Milliarden Dollar aufgelegt. TIAA-CREF ist mit 700.000 Hektar in fünf Ländern der größte Landbesitzer weltweit. Auf nur vier Prozent dieser Fläche wachsen Nahrungsmittel. 71 Prozent sind mit Getreide und Ölpflanzen bebaut, ein Viertel mit Zuckerrohr, größtenteils bestimmt für die industrielle Verwertung. Beinahe die Hälfte des TIAA-CREF-Eigentums – 300.000 Hektar – liegt in Brasilien, wo die Soja-Monokulturen und Zuckerrohrplantagen für unzählige Landkonflikte mit indigenen Gemeinden sorgen. TIAA-CREF soll indirekt in Landraub, Entwaldung und Umweltzerstörung verwickelt sein, belegt der Report The Human and Environmental Cost of Land Business von rund 30 globalen zivilgesellschaftlichen Organisationen, der im August erschienen ist. Die Autoren haben die Auswirkungen der Landfonds in Brasilien untersucht, unter anderem in der Region Matopiba im Nordosten, in Mato Grosso, Mato Grosso do Sul, Minas Gerais und São Paulo, wo TIAA-CREF über das meiste Land gebietet. Laut der Studie soll der Fonds ein intransparentes Netz von Firmen und Finanzierungen genutzt haben, um an Land zu kommen.
Äcker zu Objekten
„Grilagem“ nennt sich die kriminelle Methode, mit der Geschäftsleute lokalen Gemeinden Äcker abkaufen, darauf Farmen errichten, mittels Bestechung für den Eintrag ins Grundbuch sorgen und dann die Objekte so lange weiterverkaufen, bis sie „sauber“ sind. So soll der kriminelle brasilianische Geschäftsmann Euclides de Carli in den Verkauf zweier Farmen an TIAA-CREF verwickelt sein, bei dem jene Methoden praktiziert wurden.
Pikanterweise haben auch europäische Pensionsfonds in Landfonds von TIAA-CREF investiert: etwa der niederländische ABP, der schwedische AP2 und die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe (ÄVWL), die mehr als 50.000 Medizinern eine Alterssicherung bietet. Sie ist seit 2001 mit 100 Millionen Euro an einem der TIAA-Landfonds beteiligt. Das berufsständische Versorgungswerk gehört zur Ärztekammer Westfalen-Lippe, die eine Körperschaft öffentlichen Rechts und damit der Aufsicht des Finanzministeriums unterstellt ist. Dennoch hat die Politik hier keine Handhabe: Es gibt keine verbindliche Regulierung von Pensionsfonds, um Menschenrechte einzuhalten. Bis Januar 2019 muss eine entsprechende EU-Direktive national umgesetzt werden. Organisationen wie FIAN verlangen, dass bei einer kapitalgedeckten Altersversorgung generell menschenrechtliche Standards einfließen müssten.
Ohnehin wirft diese Art der Altersversorgung fundamentale Fragen auf. Sie ist – wie das Geschäft mit Land – Ergebnis einer neoliberalen Politik der Privatisierung von Pensionen sowie der Deregulierung von Banken. Gleich mehrfach befeuern solche Pensionsfonds die soziale Spaltung: zum einen, weil davon nur ein kleiner Teil der Gesellschaft profitiert. Zum anderen, weil die Profite, die auf und mit Land im Süden erzielt werden, in die Finanzzentren des Nordens gelangen, während sich vor Ort Armut und Hunger verschärfen. Ungeachtet dessen werden Investitionen in Landbesitz von der Politik mit dem Argument, es gehe um Effizienz bei der Nahrungsmittelproduktion und gesteigerte Erträge zur „Ernährungssicherheit“, als Entwicklungshilfe deklariert. „Doch Investment meint hier Mobilisierung von großen Kapitalmengen, um Profite zu generieren, nicht um Menschen vor Ort zu ernähren. Jedes Investment hat auch eine spekulative Komponente, bezogen auf steigende Land- und Rohstoffpreise“, sagt Roman Herre. Diese Komponente sei abgekoppelt von dem, was an Arbeit in Land investiert werden muss, um es als Lebensgrundlage zu erhalten.
Längst sind diese Trends auch in Europa angekommen. Die Preise für Wald und Boden haben sich in der EU im zurückliegenden Jahrzehnt teils verdoppelt. Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank hat den Landkauf lukrativ gemacht, und die EU-Direktzahlungen, die an die Größe von Betrieben gekoppelt sind, forcieren die Landkonzentration. Großbetriebe wachsen, kleine bäuerliche Wirtschaften verschwinden. In Deutschland werden zwischenzeitlich 70 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen verpachtet. Die Konsequenz: In Ostdeutschland besitzen Investoren, die mit Landwirtschaft nichts zu tun haben, ein Drittel der Ackerflächen. Was die Existenz der Bauern gefährdet, können doch die hohen Pachten oftmals nicht aus den Erträgen bezahlt werden. Gerade hat der Zivilprozess gegen den insolventen Konzern KTG Agrar begonnen, dessen Managern vorgeworfen wird, die Pleite provoziert zu haben. Der Konzern zählte zu den größten Landbesitzern Ostdeutschlands. Kurz vor der Pleite verkaufte KTG Agrar über ein kompliziertes Netz aus Tochterfirmen Land an die Versicherung Munich RE und die Gustav-Zech-Stiftung, deren Namensgeber mit einem geschätzten Privatvermögen von 700 Millionen Euro unter den reichsten Deutschen weilt – als einer der größten Baumagnaten, als größter Immobilienentwickler, als einer der größten Reeder – und als größter Agrarunternehmer.
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