Anfang Oktober 2018, der Jahrhundertsommer war noch nicht vorbei, veröffentlichte der Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) seinen Sonderbericht über die drohende 1,5-Grad-Erderwärmung, die nicht überschritten werden dürfe, um katastrophale Auswirkungen abzuwenden. Dazu muss der Ausstoß von Kohlendioxid bis 2030 um 45 Prozent gegenüber 2010 reduziert werden und bis 2050 bei null liegen. Für den IPCC gehören dazu aber nicht nur Schritte, um die CO2-Produktion zu verringern, sondern auch „Negativemissionen“, also Verfahren, die der Atmosphäre Kohlendioxid entziehen.
Die scheinbare Handlungsunfähigkeit der Länder, die besonders viele Emissionen ausstoßen, und die Geschwindigkeit, mit der der Klimawandel voranschreitet, haben eine technische Wunderwaffe auf den Plan gerufen: Geoengineering. Darunter versteht man eine Vielfalt verschiedenster Techniken, das Klima von Menschenhand zu beeinflussen: die Reflexion von Sonnenstrahlen durch Stoffe in der Stratosphäre, durch künstliche Wolken oder Glasstaub auf dem Eis der Arktis. Oder das Filtern von CO2 aus der Atmosphäre mithilfe riesiger Kohlenstoffstaubsauger. Die Speicherung von CO2 unter der Erde. Die Düngung von Ozeanen, die Algen vermehren soll, damit sie Kohlenstoff speichern. Oder die Produktion von Pflanzenenergie kombiniert mit der Speicherung von CO2.
Doch die Manipulation natürlicher Systeme birgt gefährliche Nebenwirkungen, die unumkehrbar sind und womöglich schlimmer als der Klimawandel selbst: So könnten Schwefelpartikel in der Atmosphäre zwar die Sonne verdunkeln und die Erde „abkühlen“. Das passierte, als 1991 der philippinische Vulkan Pinatubo ausbrach und die Aschewolke in die Stratosphäre gelangte: Die Temperatur sank weltweit um ein halbes Grad. Doch Untersuchungen belegen, dass Schwefelinjektionen auf der Nordhalbkugel den Monsun in Afrika und Asien beeinflussen können. Das hätte dort, wo die Menschen bereits unter den Folgen des Klimawandels leiden, Dürren, Ernteausfälle und Hungerkatastrophen zur Folge. Dazu würde die künstliche Sonnenverdunklung das Pflanzenwachstum bremsen und für niedrigere Ernten sorgen.
Zu den am häufigsten diskutierten Technologien zählt das Speichern von CO2 mithilfe gigantischer Pflanzenplantagen. Werden die Pflanzen dann zur Stromgewinnung verbrannt, sollen die Treibhausgase aufgefangen und unterirdisch gespeichert werden. Um damit die vom Pariser Klimaschutzabkommen festgelegten Emissionsgrenzwerte zu erreichen, müssten auf bis zu 580 Millionen Hektar Land Energiepflanzen wachsen – ein Drittel des weltweiten Ackerlandes. Das hätte absurderweise die Zerstörung von Wäldern und anderen Ökosystemen zur Folge, deren Schutz dem Klima am meisten nützen würde. Großflächige Monokulturen würden die kleinbäuerliche Landwirtschaft verdrängen und die Lebensmittelpreise in die Höhe treiben, Landkonflikte wären unvermeidlich. Man kennt die Folgen aus dem fatalen Irrtum Biosprit. Phil Williamson von der University of East Anglia argumentiert darüber hinaus, dass der großflächige Einsatz von pflanzlichen „CO2-Speichern“ mehr Arten zum Aussterben bringen würde als ein Temperaturanstieg von 2,8 Grad.
Trotzdem wächst die Geschwindigkeit, mit der solche Technologien als vermeintlich „letzter Ausweg“ auf die Agenda rutschen, rasant. Der Weltklimarat (IPCC) hat Geoengineering viele Jahre gar nicht erwogen. In seinem fünften Sachstandsbericht von 2014 wurden zum ersten Mal „Negativemissionen“ verhandelt, im sechsten, der für 2021 geplant ist, soll Geoengineering weiter diskutiert werden. Zwar beurteilt der IPCC-Sonderbericht alle Technologien kritisch, Sonnenverdunklung lehnt er ab. Dennoch zieht er ein Portfolio verschiedener Geoengineering-Methoden in Betracht, die „ zusammengestückelt“ die Risiken minimieren sollen. Dabei ist noch nicht einmal wissenschaftlich erwiesen, dass „negative Emissionen“ überhaupt die gewünschte Wirkung erzielen könnten. Zwar erwähnt der Bericht explizit, dass das 1,5-Grad-Ziel nur noch mit radikalen Emissionssenkungen zu erreichen ist, darunter der Ausstieg aus fossilen Energien. Allerdings stellt er weder das globale kapitalistische Wirtschaftswachstum in Frage, das für den Klimawandel verantwortlich ist, noch die globale Ungleichheit.
Dürre in Duisburg?
„Wenn Schwefelinjektionen in die Stratosphäre großflächige Dürren in Nordamerika und Deutschland zur Folge hätten und nicht für die Sahelzone und Indien, wer würde da noch diesen Plan B so ernsthaft erwägen?“, fragt Naomi Klein in ihrem Buch Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima. Nichts verdeutlicht so sehr wie Geoengineering, dass Klimawandel und -politik eine Frage ungleicher globaler Machtverhältnisse sind: Nur zehn Prozent der Weltbevölkerung sind für die Hälfte der globalen Emissionen verantwortlich, 80 Prozent der menschengemachten Emissionen stammen aus den sogenannten Industrieländern, in denen aber nur 20 Prozent der Menschen leben, während die restlichen 80 Prozent in Ländern leben, die schon heute unter den Folgen des Klimawandels leiden.
Um den Status quo auf Kosten der Länder des Südens zu halten, werden gefährliche Pläne B und C verhandelt, um Plan A zu verhindern, nämlich eine konsequente ökosoziale Transformation: den schnellen Ausstieg aus der fossilen Energie, die Reduktion des Rohstoffverbrauchs, eine Änderung der globalen Landwirtschaft, Welternährung und Mobilität. Die inszenierte Dringlichkeit, mit der Phantomtechnologie als Ausweg verhandelt wird, lenkt sowohl die Aufmerksamkeit als auch Investitionen davon ab. Entsprechend haben die Länder mit besonders hohen Emissionen – USA, Großbritannien und China – die meisten Geoengineeringprojekte und -forschungsprogramme
2017 erschien The Big Bad Fix. The Case against Climate Geoengineering, der NGOs Biofuelwatch, ETC Group und der Heinrich-Böll-Stiftung. Es ist die umfassendste Untersuchung zum weltweiten Stand der Technologie, ihren Gefahren, ihrer Ideologie und ihren Akteuren. Letztere bestehen aus einer Handvoll Leuten, die in der Entwicklung besonders aktiv sind und Geoeengineerung am lautesten propagieren. Laut Bericht tummeln sich in der „Geo-Clique“ Forscher, Ingenieure und Investoren, die auch finanzielle Interessen haben. Die prominentesten sind David Keith (Harvard) und Ken Caldeira (Stanford). Keith, Gründer der Firma Carbon Engineering, hält das Patent an einem „Planetary Cooler“, der CO2 aus der Atmosphäre ziehen soll, und hat das Harvard Solar Geoengineering Research Program gegründet. Dieses soll den ersten Freilandversuch zur Sonnenverdunklung finanzieren, bei dem Keith mit einem Ballon Aerosole in 20 Kilometer Höhe in die Stratosphäre ausbringen will. Caldeira erforscht die Auswirkungen der Sonnenverdunklung. Er ist an einer Erfindung beteiligt, die warmes Oberflächenwasser auf den Meeresgrund drücken soll, um Stürme zu verhindern. Die federführende Firma wurde von Nathan Myhrvold, dem Ex-Technologie-Chef von Microsoft, gegründet.
Ebendieser Myhrvold machte einmal den Vorschlag, man könne die Schwefelberge, die bei der Gewinnung von Öl aus Teersand – eine der umwelt- und klimaschädlichsten Technologien überhaupt – in Kanada entstünden, zur Sonnenverdunklung verwenden. Im Patent der Ozean-Pumpe steht neben Caldeiras und Myhrvolds Name auch der von Bill Gates. Der Multimilliardär gilt als „Sugar Daddy“ der Geoingenieure. Mit Keith und Caldeira hat Gates den Fonds für Innovative Klima- und Energieforschung gegründet und mit 8,5 Millionen Dollar unterstützt. Gates investiert außerdem in Keiths CO2-Staubsauger.
Von Geoengineering profitieren vor allem die Eliten des Nordens – und damit jene schmutzigen Industrien, die für die Klimakatastrophe mitverantwortlich sind. CO2-speichernde Riesenplantagen, die jede Menge Dünger und Pestizide benötigen, sind für die Agrarkonzerne lukrativ, Technologien zur Sonnenverdunklung für die Luft- und Raumfahrtindustrie. Firmen wie Exxon, Shell und Chevron haben viel Geld in die Erforschung der Carbon-Capture-and-Storage-Technologie gesteckt. Früher unterstützten diese Industrien Klimawandelleugner. An deren Stelle sind heute die Klima-Klempner gerückt.
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