Filzgericht

Glyphosat Das Urteil gegen Bayer/Monsanto macht deutlich: Die Justiz erledigt, was die Politik verpennt
Ausgabe 13/2019

Mehr als 11.000 Klagen laufen derzeit in den USA gegen Monsanto, den US-Konzern, an dem sich der deutsche Chemieriese Bayer verschluckt haben könnte. Doch verurteilt wurde Monsanto schon lange: Im Oktober 2016 tagte in Den Haag das Monsanto-Tribunal, ein symbolischer Prozess gegen den Saatgut- und Pestizidhersteller. Fünf echte Richter untersuchten, ob die Monsanto-Geschäfte mit den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vereinbar seien. Françoise Tulkens, Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, leitete das fingierte Verfahren, in dem 30 Zeugen aus fünf Kontinenten aussagten. Ein halbes Jahr später legten die Richter ein Gutachten vor und beschuldigten Monsanto, gegen das Recht auf Nahrung, Gesundheit und eine gesunde Umwelt zu verstoßen, die Rechte von Indigenen, lokalen Gemeinschaften und Bauern zu verletzen sowie der Freiheit der Wissenschaft zu schaden. Zwar war das Ergebnis des Tribunals kein rechtsverbindliches Urteil – doch es schlug eine Brücke über eine tiefe Kluft: Während Konzerne aufgrund von Handels- oder Investitionsschutzabkommen ganze Staaten verklagen können, wenn deren Gesetze zum Umwelt- und Gesundheitsschutz ihren Profit schmälern, können umgekehrt Betroffene von Menschenrechtsverletzungen keine Unternehmen verklagen.

Eine zentrale Frage des Symbolprozesses wurde jetzt von einem echten Gericht beantwortet: Vergangene Woche befand die Jury des Bundesbezirksgerichts in San Francisco einstimmig, dass das Herbizid Roundup mit dem umstrittenen Wirkstoff Glyphosat erheblich zur Lymphdrüsenkrebserkrankung des Klägers Edwin Hardeman beigetragen habe. Es war die erste Phase eines Prozesses, in dessen zweiten Phase Bayer gestern zu Schadensersatzzahlungen in Höhe von 80 Millionen US-Dollar verurteilt wurde. Bereits in Folge des Urteils aus der ersten Prozessphase rauschte die Bayer-Aktie in den Keller. Seit der Monsanto-Übernahme im Juni vergangenen Jahres ist der Börsenwert von Bayer um 30 Prozent gesunken. Bereits zwei Monate nach der Fusion hatte ein US-Gericht dem an Krebs erkrankten DeWayne Johnson 39 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen und Monsanto zu weiteren 39 Millionen Dollar Strafe verurteilt. Sieben weitere Verfahren sind in diesem Jahr angesetzt, auch in Kanada wird die Zulassung einer Sammelklage im Zusammenhang mit dem Pflanzengift Roundup beantragt. In allen geht es um die Frage, ob Glyphosat krebserregend ist oder nicht. Die Krebsforschungsagentur (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte „ausreichende Beweise für eine krebserregende Wirkung“ gefunden. Monsanto und Bayer bestreiten dies. Die Kläger werfen Monsanto vor, die Risiken von Glyphosat vertuscht zu haben. Sowohl für das Monsanto-Tribunal als auch in den echten Verfahren spielen hierbei die „Monsanto-Papers“ eine Rolle: interne E-Mails von Monsanto, die nahelegen, dass Mitarbeiter versucht haben, Behörden bei der Bewertung von Glyphosat zu beeinflussen und Studien zu manipulieren. Auch das bestreiten Bayer und Monsanto.

Bauern hängen am Gifttropf

Glyphosathaltige Produkte machen bis zu drei Viertel des Umsatzes der Bayer-Tochter aus. Dass Monsanto zu einem der mächtigsten Agrarkonzerne der Welt aufstieg, verdankt der Konzern zu großen Teilen dem Ackergift, das er unter dem Namen Roundup vertreibt. Als Anfang der 1980er Jahre das Patent auslief, entwickelte Monsanto Saatgutsorten für Baumwolle, Mais, Raps und Soja, die gegen Glyphosat immun sind. Monsanto verkauft Saatgut und das Herbizid im Paket und machte damit zuletzt 14,6 Milliarden Dollar Umsatz. Auf der ganzen Welt hängen seither Bauern am Gifttropf des Konzerns, der – auch durch den Aufkauf Hunderter kleiner Saatgutfirmen – ein Viertel des Saatgutmarktes weltweit kontrollierte. Das mag auch den horrenden Kaufpreis von 63 Milliarden Dollar erklären, den Bayer für das US-Unternehmen hinblätterte.

Die Niederlage von Bayer / Monsanto ist ein Lehrstück über Konzernmacht: Es straft sowohl die Vorstellung Lügen, dass „der Markt“ Verstöße mit Konsequenzen belegen würde, als auch die moralische Betrachtung („Wirtschaftsethik“), dass Unternehmen selbst entscheiden könnten, „gut“ oder „böse“ zu handeln. Unternehmen sind keine Personen, sondern Konzentrationen von Macht, die den Staat zu ihrem Komplizen machen. Es waren Kartellbehörden, die, gegen heftige Proteste, nicht nur der Fusion von Bayer und Monsanto zugestimmt haben, sondern auch jener der Agro- und Chemiekonzerne Dow Chemical und Dupont sowie ChemChina und Syngenta. Ein Oligopol dreier Superkonzerne, die zusammen zwei Drittel des globalen Saatgut- und Pestizidmarktes kontrollieren. Je größer der Konzern, desto größer die Macht, Handels- und Wachstumshemmnisse abzuschwächen, etwa Gesetze zum Schutz von Gesundheit und Umwelt.

Am Horizont dräut schon die nächste Megafusion: die von Deutscher Bank und Commerzbank. Beide leiden bis heute unter den Folgen der Finanzkrise: Die Deutsche Bank musste wegen vergangener Taten Strafen in Milliardenhöhe zahlen. Befeuert wird diese Hochzeit ausgerechnet von der Bundesregierung, die eigentlich die Allgemeinheit schützen sollte, anstatt ihr abermals die Risiken eines „too big too fail“-Spekulationsriesen aufzubürden. Auch im Dieselskandal steht die Regierung trotz aller kriminellen Machenschaften fest auf der Seite von Volkswagen und der Autoindustrie. Anstatt Unternehmen ordnungspolitisch zur Verantwortung zu ziehen, hält die Bundesregierung noch immer an der freiwilligen Unternehmensverantwortung fest – und blockiert gleichzeitig auf EU- und UN-Ebene sämtliche Versuche, die Sorgfaltspflichten verbindlich machen würden. So sind es zunehmend Gerichte, die die Allgemeinheit schützen, indem sie, wie in den USA, Konzerne bestrafen, oder, wie hierzulande, die Politik dazu zwingen, sich an bestehende Gesetze zu halten, die die Bevölkerung schützen. Die Deutsche Umwelthilfe erstritt vor Gericht Fahrverbote, Verbraucherschützer reichten eine Mustersammelklage gegen VW ein. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Bundesregierung wegen zu hoher Nitratwerte in den Gewässern, zu hoher Stickstoffbelastung und zu laxem Umgang mit der Autoindustrie verklagt. Zuletzt hat der EuGH die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) verurteilt: Die Behörde, die das Pestizid Glyphosat für unbedenklich erklärt und zugelassen hat, hatte sich geweigert, die Studien, die sie zu Rate gezogen hat, zu veröffentlichen. Nun muss die EFSA sämtliche Dokumente offenlegen. Am Ende könnte die Fiktion des Monsanto-Tribunals doch noch Wirklichkeit werden.

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