Freunde haben uns eine Karte aus Dänemark geschrieben: „Drei Wochen kein Regen, früher hätte es einen gefreut.“ Das bringt das Unbehagen in diesem dritten Hitzesommer auf den Punkt. Auch in Deutschland drohen Ernteverluste, die Trinkwasserversorgung in einigen Kommunen ist gefährdet, die Pegel von Flüssen und Seen sind gesunken, Wälder der Größe des Saarlandes durch Hitze und Dürre beschädigt. Die Hurrikane Laura und Marco bedrohen die Südküste der USA. Zwei Wirbelstürme im Golf von Mexiko, das hat es seit Beginn der Wetteraufzeichnung nicht gegeben. In Kalifornien wüten Waldbrände historischen Ausmaßes, ebenso am Amazonas. In Sibirien brennen Wälder seit Monaten. Das trägt dazu bei, dass die Permafrostböden tauen: Dabei wird nicht nur CO₂ frei, sondern auch Methan, das 25-mal klimaschädlicher ist. 2020 wurde davon mehr als je zuvor in der Atmosphäre gemessen. Dass die Dauerfrostböden der Nordhalbkugel 70 Jahre früher schmelzen als angenommen, stellten ForscherInnen vergangenes Jahr fest. Es ist einer der gefürchteten Kipppunkte im Klimasystem, die nicht rückgängig zu machen sind und gefährliche Kettenreaktionen in Gang setzen. Nun hat womöglich auch die Gletscherschmelze auf Grönland einen solchen Punkt erreicht, nach wissenschaftlichen Berechnungen könnte in 15 Jahren außerdem der Arktische Ozean eisfrei sein.
Anfang August rechneten US-Forscher vor, dass das Worst-Case-Szenario, das der UN-Klimarat 2005 entwarf, immer realistischer wird. Die Erde würde sich demnach in den nächsten 100 Jahren um 3,5 bis 5,4 Grad erwärmen. Der ehemalige Vorsitzende des Weltklimarates, Robert Watson, hält eine Erwärmung von drei Grad für das realistische Minimum. Dann wären der Eisbär ausgestorben, die Arktis von Wäldern bedeckt und alle Küstenstädte verschwunden. Bei fünf Grad sprechen ForscherInnen vom Ende der Zivilisation. Aber selbst die geballten Horrornachrichten dieser Wochen haben die Klimakrise auf der politischen Tagesordnung nicht nach vorne gerückt. Zwar beschrieb SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz in einer Rede kürzlich den Klimawandel als „enorme Herausforderung“. Klar, das sagen ja (fast) alle. Aber solche Beteuerungen werden mehr und mehr zu einer Schimäre der Selbstverständlichkeit, ohne dass gehandelt würde.
Mit der alles überschattenden Corona-Krise hat das wenig zu tun – es geht um verlorene Jahrzehnte, in denen diese Krise komplett hätte abgewendet werden können. Diese Chance ist vertan, das ist entsetzlich genug. Doch vor nicht mal zwei Jahren setzte der Weltklimarat mit seinem 1,5-Grad-Report noch eine Art Notruf ab: Ein halbes Grad geringere Erwärmung würde deutlich weniger Leid bedeuten, jedoch „schnelle und weitreichende Veränderungen“ bei der Energieerzeugung, der Landnutzung, im Städtebau, im Verkehr und in der Industrie voraussetzen. Sie wurden, wie man weiß, nicht eingeleitet. Bald jährt sich der Tag, an dem die Bundesregierung ihr lausiges Klimapaket vorstellte, das Olaf Scholz einen „großen Wurf“ nannte. Fast 1,5 Millionen Menschen folgten deshalb an jenem 20. September dem Fridays-for-Future-Aufruf zum Klimastreik. Eine Verschärfung der Klimapolitik blieb aus, auch wurde der Kohleausstieg nicht nach vorne gezogen. Nun sollen in deutschen Braunkohlerevieren noch ein Dutzend Dörfer weichen, auf dass weiter Kohle gebaggert und verfeuert werden kann.
Es ist traurige Ironie, dass der gerade veröffentlichte Klimabericht der Bundesregierung nahelegt, Deutschland werde aufgrund der Pandemie sein Klimaziel für 2020 wohl doch erreichen. Dieses Ziel hatte die Regierung schon zwei Jahre vor Corona aufgegeben. Jüngst trafen Greta Thunberg, Luisa Neubauer, Anuna De Wever Van der Heyden und Adélaïde Charliér die Kanzlerin. Die Fridays-for-Future-Aktivistinnen fordern, dass das Klima wie Corona endlich als Krise behandelt wird. Angela Merkel, die schon das Klimapaket mit den Worten verteidigte, man habe „beim Klimaschutz alle Möglichkeiten ausgelotet“, sagte: Als Physikerin verstehe sie die Wissenschaft. Als Politikerin verstehe sie die politische Komplexität. Darin liegt nur dann ein Widerspruch, wenn am Staus quo und den Privilegien der Reichen wie der Industrie nicht gerüttelt werden soll. Genau das aber ist der Kern des Corona-Rettungspakets.
Dabei haben die letzten Monate gezeigt, wie schnell Dinge verändert werden können. Vom Autoverkehr geprägte Städte wie Brüssel, London, Mailand und Paris wandeln sich zu Fahrradstädten, selbst im Autoland Deutschland verbessern Pop-up-Radwege Verkehr und städtisches Leben. Das ist keine Frage des Geldes, sondern des politischen Willens. Das belegt auch eine aktuelle Studie des BUND: danach seien zwölf von 14 Regionalflughäfen nur deshalb überlebensfähig, weil sie subventioniert würden. Zwischen 2014 und 2018 sind 200 Millionen Euro Steuern in solche „Landratspisten“ geflossen – so viel, wie im Verkehrsplan bis 2023 für den Ausbau der Fahrradinfrastruktur vorgesehen ist. Würde, wie der BUND fordert, nur die Hälfte geschlossen, wäre viel CO2 eingespart und Geld für einen klimafreundlichen Verkehr frei. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Die Zeit der Ausreden ist vorbei.
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