„Dies ist der größte Tagebau Europas und es ist die Verantwortung von uns im Rheinland gegen ihn zu kämpfen“, sage ich, strecke meinen Arm aus und zeige auf die mittlere Ebene des Tagebaus. „Ungefähr dort habe ich meinen letzten Bagger besetzt“. Luisa Neubauer schmunzelt, Greta Thunberg schaut kurz zu mir hoch, und unsere Blicke treffen sich. „In manchen Fällen ist ziviler Ungehorsam notwendig“, wird sie später auf die bohrenden Fragen der Presse antworten.
„Unten wird die Kohle gefördert, sie wird direkt zu den Kohlekraftwerken transportiert.“ Wir drehen uns, die starken Windböen wehen uns beinahe um, dann schauen wir zu den rauchenden Schloten. „Wir nennen sie die Wettermacher“, erzählt meine Weggefährtin, Julia Pesch. In unserem Zuhause, dem Rheinland, stehen drei der zehn dreckigsten Kohlekraftwerke Europas – geführt von RWE. Kontrolliert wird der Kohlekonzern primär von reichen alten weißen Männern, die darum kämpfen, ihre Macht und Profite nicht zu verlieren. Sie klammern sich ans Zeitalter der fossilen Energie.
An der Kante des Tagebaus Hambach stehen jetzt vier junge Frauen, die auf unterschiedliche Weise gegen die fossile Industrie – und für eine andere, bessere Welt – streiten, für ein Ende der Ausbeutung von Mensch und Natur. Es ist ein denkwürdiger Tag, vor uns die tote Landschaft, bis zum Horizont, als stünden wir am Ende der Welt. „Es ist wie Mordor“, sagt Greta. Hinter uns die Presse, die versucht, jedes Wort aufzuschnappen, jeder Bewegung mit der Kamera folgen. „Ein Gipfeltreffen anderer Art“, kommentiert jemand auf Social Media.
Tatsächlich ist es kein Zufall, welche Akteure sich an diesem Tage im Rheinland zusammenfinden. Greta, die vor einem Jahr den Schulstreik begann und Millionen inspirierte. Luisa, die unermüdlich die Proteste von Fridays for Future in Deutschland mitorganisiert – und wir von Ende Gelände, einem Klimabündnis, das seit fünf Jahren mit tausenden von Klimaaktivist*innen die Braunkohletagebaue flutet und zerstörerische Kohlebagger mit den eigenen Körpern aufhält. Im Wald warten bereits gespannt Indigo, Clumsy und weitere Aktivst*innen der sieben Jahre andauernden Waldbesetzung, deren Räumung vor einem Jahr Klimamassenproteste in Deutschland auslöste, die Demo mit über 50.000 Teilnehmer*innen direkt am Wald als Höhepunkt.
Wir sind junge Menschen, Klimaaktivist*innen, die nicht warten, dass andere eingreifen. Die selbst aktiv werden, Verantwortung übernehmen und nach der Maxime handeln: „Es sind keine Kompromisse mit Naturgesetzen möglich“. Entweder wir schaffen es, die 1,5 Grad einzuhalten – oder rasen kontrolliert in die Klimakatastrophe. Ob 2038 als Datum des deutschen Kohleausstiegs reicht, wird Greta gefragt. „Wenn wir unter 1,5 Grad Erwärmung bleiben wollen, kann Deutschland nicht weitere 20 Jahre Kohle verfeuern“, antwortet sie bestimmt. „Das ist nicht, was ich denke, das ist, was die Wissenschaft sagt.“
Noch an der Tagebaukante stellen wir Greta dem 27-jährigen David Dresen vor. Ein Vertreter von „Alle Dörfer Bleiben“. Aufmerksam hört sie zu. Nicht nur der Wald, auch die Dörfer werden zerstört, die Menschen ihres Zuhauses beraubt. Ihr Elektroauto hält für einen Moment, als wir durch eines der Geisterdörfer mit teilweise bereits abgerissenen Häusern fahren. „Dass die Menschen fort müssen, ist sehr verstörend. Hier zu sein, Orte wie den Tagebau Hambach zu sehen, bestürzt mich zutiefst.“ Greta geht es wie vielen, die das erste Mal ins Rheinland kommen und den Braunkohletagebau sehen. Es nimmt einem für einen Moment den Atem. Es macht einem klar, wie wenig sich trotz all der Jahre Klimabewegung getan hat. „Sie machen weiter, als wäre nichts.“
Hambacher Wald – Ein Symbol der kollabierenden Welt und der Hoffnung zugleich
Bevor sie zur UN nach New York segelt, wollte Greta unbedingt hierher, zu einem der zentralen Orte, der die Klimakrise verursacht und über unsere Zukunft entscheiden wird. „Es ist ein sehr symbolischer Ort“, sagt sie. Er steht dafür, was in unserer Welt grundlegend schief läuft. Unser Hambi, er kollabiert – und mit ihm viele weitere Ökosysteme. Global überschreiten wir gerade die Kipp-Punkte des Klimasystems. Die Kohlebagger von RWE, sie müssten sofort ihre Arbeit einstellen, den Wald nicht länger anbaggern, die Klimakrise nicht länger befeuern. „Dein Besuch kommt zu einer Zeit, in der der Wald in großer Not ist“, hatten wir ihr wenige Tage zuvor noch geschrieben. Die alten Hainbuchen und Stieleichen verlieren bereits ihre Blätter, noch früher als während der Dürre im letzten Jahr. Eine neue Studie von Greenpeace bestätigt jetzt: Je näher die Bagger dem Wald kommen, desto mehr wird der Wald gefährdet. Der Tagebau erhitzt sich in den Sommermonaten auf bis zu 45°C, der fehlender Puffer stresst den Wald, Bäume am Waldrand sterben ab, das Ökosystem gerät ins Wanken.
Als Greta den Wald betritt, wird sie freudig von weiteren jungen Klimaaktivist*innen begrüßt. Wir gehen auf kleinen Pfaden, nicht über die von RWE verbreiterten steinigen Wege. Und die Presse lassen wir auch mal eine Zeit lang hinter uns. Greta lernt Maiglöckchen kennen, erfährt etwas über den Wasser stauenden Boden und über die Fledermäuse, die in den alten Stieleichen nisten. Die Erklärung, dass sich hier manche vermummen müssen, um sich vor Repressionen der Polizei zu schützen, versteht sie sofort. Später werden sich Boulevardpresse sowie Politiker darüber echauffieren, mal wieder versuchen, so vom eigentlichen Thema abzulenken: Der Dringlichkeit der Klimakrise.
Das Baumhausdorf Oaktown ist unser Ziel, eines der ältesten hier im Wald. Es wurde während der Räumung komplett zerstört. Hoch oben in den Stieleichen wurden die Baumhäuser wieder aufgebaut und zwischen ihnen kleine Schwebebrücken errichtet. Zusammen mit Luisa besucht Greta das Haus „Mona“ von Clumsy. Dass es sogar mit einem Solarpanel ausgestattet ist, findet sie grandios. Der Wald, das gemeinsame Leben hier, es ist ein Kontrastprogramm zu der zerstörerischen toten Landschaft im Tagebau. Die Aktivist*innen, die im Rheinland auf unterschiedliche Weise kämpfen, würden ihr Hoffnung geben, spricht sie in die Mikrofone. Ihr Engagement sei „bewundernswert“.
Hambi Bleibt, Ende Gelände und Fridays for Future – es sind nicht nur Akteure, die im Angesicht der Klimakrise selber Verantwortung übernehmen, es sind Bündnisse und Bewegungen, die antreiben und den Diskurs verschieben. Kohleausstieg? Vor wenigen Jahren noch undenkbar. Eine globale Klimabewegung von Millionen Kindern und Jugendlichen? Noch undenkbarer. Am 10. August, an der Tagebaukante und im Hambacher Wald, kam es zu einem Schulterschluss. Die Klimakrise aufhalten, das können wir nur gemeinsam, indem wir uns nicht darauf verlassen, dass Politiker*innen es schon richten.
Am 20. September müssen alle auf die Straße!
Global gibt es viele Gruppen, die lokal gegen die fossile Industrie kämpfen – trotz tödlicher Repressionen. Aktuell protestieren in Brasilien indigene Frauen gegen die Abholzung des Amazonas und den faschistoiden Präsidenten Bolsonaro. Für sie sammeln sich die Anwesenden in Oaktown für eine Solidaritätsaktion. „One earth, one struggle, one fight“ steht auf unserem Banner. Der Klimabewegung geht es nicht „nur“ um Klimaschutz, es geht um Menschenrechte und ein anderen globales Wirtschaftssystem. Die Antwort der COICA, dem indigenen Dachverband ganz Amazoniens, wird gerade geschrieben. Sie möchten Greta einladen, die indigenen Gemeinden zu besuchen. Der Brief wird sie erreichen, wenn sie in Nordamerika wieder auf Land trifft.
Dies unterscheidet die aktuelle Klimabewegung von der von vor zehn Jahren. Statt darauf zu warten, dass auf UN-Ebene Klimaschutz von oben durchgesetzt wird, verbünden sich auf dem ganzen Globus Menschen, die für Klimagerechtigkeit – ein gutes Leben für alle – kämpfen. Denn gemeinsam pochen wir darauf, radikalen Klimaschutz bei uns vor Ort durchzusetzen. Die Zeit, auf andere zu warten, haben wir einfach nicht mehr.
Greta und Luisa rufen deshalb dazu auf, sich am 20. September dem Streik von Fridays For Future anschließen. An diesem Tag wird das sogenannte Klima-Kabinett der Bundesregierung tagen – und voraussichtlich nur heiße Luft produzieren. Der UN-Klimagipfel in New York, auf dem Greta eine Rede halten wird, beginnt einen Tag später. Auch von ihm werden leider keine großen Fortschritte zu erwarten sein, weshalb die globale Bewegung zu einer Aktionswoche bis hin zum nächsten großen globalen Streiktag, dem 27. September aufruft. „Unser Krieg gegen die Natur muss heute enden. Um das zu erreichen, muss jede und jeder von uns kämpfen“, sagt Greta. Der 20. September und die folgende Aktionswoche könnten zum Höhepunkt aller bisherigen Proteste werden – den größten bisher.
„Wenn jetzt nicht die breite Gesellschaft auf die Straße geht, sind wir alle verloren“, sagt Phillip Stein, einer der Organisatoren des globalen Klimastreiks in Berlin. Auch Ende Gelände – bisher nur bekannt für die Blockade des Bergbaus über Tage – wird dabei sein. Auf der Demo und besonders danach. „Lasst uns zusammen Straßen und Brücken blockieren, Häfen und Flughäfen, Innenstädte und Autobahnen: all die Orte, an denen die Klimakrise täglich produziert wird.“ Wir rufen bundesweit dazu auf, aktiv zu werden. Die Politik muss sich darauf einstellen, dass nicht nur die Streiks größer werden – immer mehr Menschen werden sich auch Sitzblockaden und Besetzungen anschließen.
Die Stärke der Klimabewegung liegt gerade in ihrer Protestvielfalt und dem solidarischen Zusammenhalten der Akteure. Der Hambacher Wald ist hierfür das beste Beispiel. Für ihn kamen wir vor einem Jahr alle zusammen. Menschen, die bisher noch auf keiner Demo waren, strömten zum Wald. Ähnlich wie jetzt über Fridays For Future, wurden viele aktiv, die sich bisher kaum oder gar nicht politisch engagiert hatten. Es war die breite Bevölkerung, die begann, Barrikaden auf Waldwegen zu errichten, um die Räumung und Rodung des Waldes zu verhindern.
Für uns ist der Hambi nicht nur ein Symbol der Zerstörung durch die fossile Industrie. Er repräsentiert auch, dass wir, wenn wir zusammenhalten, auch das Unmögliche erreichen können: Unsere Welt retten und ein neues Zeitalter der Menschheitsgeschichte einläuten – das einer solidarischen Weltgemeinschaft.
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