Vergleiche sollen das Verständnis komplexer Zusammenhänge erleichtern, aber es will nicht immer gelingen. Der amerikanische Biotech-Pionier Craig Venter vergleicht die Gentechnik gern mit Lego, und als er kürzlich das erste synthetische Lebewesen präsentierte, erklärte er, man habe einen digitalen Code am Computer in einen Organismus übersetzt. Die Eltern des neuen Lebens seien quasi Rechenmaschinen. Was löst so ein Vergleich aus? Unverständnis. Befremden. Man stelle sich vor, Craig Venter hätte sich an Stefan Raabs Stelle noch um die Erneuerung des europäischen Schlagerwesens bemüht. Die Leute wären beim Anblick der so echt wirkenden Lena wohl kaum enthusiasmiert auf dem Hamburger Spielbudenplatz herumgehopst, sondern in Schockstarre verfallen, hätten um die popkulturelle Zukunft gebangt und in der Zeitung erfahren, erstmals sei es dem Mensch gelungen, ein synthetisches Fräulein zu schaffen. Die Frankfurter Rundschau: „Mein Gott – es singt!“ Die Zeit: „Was ist Pop?“
Das mit der Erneuerung des Pop hat nun doch Raab erledigt. Weshalb die Schockstarre allein der kümmerlichen Mikrobe Mycobacterium mycoides JCVI-syn1.0. gilt, einem „synthetischen“ Lebewesen, das sich als solches durch wenig hervortut, außer dass es sich mikrobenhaft vermehrt, dass es irgendwo in seinem Erbgut ein paar Webadressen versteckt und dass es die Frage aufgeworfen hat, wie so ein Auswuchs wissenschaftlicher Amoralität nur geschehen konnte. Nicht, dass einer verstünde, was überhaupt passiert ist, ja wie denn auch, es handelt sich immerhin um Genetik und nicht um Pop. Oder?
Ein bisschen Tralala im Erbgut
Zugegeben, der Vergleich springt einen nur mittelbar an, aber einmal angestellt, finden sich doch bemerkenswerte Parallelen zwischen den Erfolgsgeschichten aus Gesangwettbewerb und Biosynthetik. Zuerst braucht man eine gute Vorlage. Für Lena war es das simpel gestrickte Lied einer amerikanischen Songwriterin, für die neue Bakterie das simpel gestrickte Erbgut einer kleinen, bereits existierenden Bakterie. Die Sequenzierung eines solchen Erbguts ist heute etwa so schwer wie Notenlesen, und so landet die genetische Vorlage im Computer, wo sie bearbeitet wird. Man darf nicht zu viel ändern, wenn das Erbgut oder der Song noch funktionieren soll. Venter hat aber nur eine Markierung eingefügt und ein bisschen Trallala dazugeschrieben, als persönlichen Stempel, mit der eine Bakterie gar nichts anfangen kann.
Der nächste Schritt ist, die am Computer kaum veränderte Vorlage wieder in Noten oder in Erbgut zu verwandeln. Für kleine Samples kennt man das in der Genetik ja längst. Man baut die nachgebauten Stückchen in vorhandene Zellen oder Lebewesen ein und nennt diese Organismen dann genetisch verändert. Für ein ganzes Erbgut ist der Nachbau schwieriger, weil sich Fehler einschleichen, aber Venter hat sich eine Zwergbakterie mit Zwerg- erbgut ausgesucht und es ohne Fehler geschafft, die Vorlage wieder zusammenzubasteln. Der letzte, entscheidende, schwierigste Punkt: Einen Kandidaten zu casten, der das Erbgut liest oder das Lied singt, aber in jedem Fall auf ganz neue Art. Bei der Mikrobe fiel die Wahl auf einen engen Verwandten, den Popsong durfte Lena singen. Ob es klappen würde, war in beiden Fällen nicht sicher. Sicher ist aber auch nach dem Triumph, dass in beiden Fällen zwar etwas Neues entstanden ist. Aber trotzdem nichts Künstliches.
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