Im blinden Fleck der Forschung: Menschen ohne Zuhause

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Der Gedanke, sich völlig ungebunden und frei durchs Leben bewegen zu können, dürfte aus der Perspektive vieler Berufstätiger einen Hauch von Attraktion bergen, aber Menschen, die tatsächlich ein Leben in völliger Entwurzelung führen, tun das leider selten freiwillig: Wer kein Zuhause mehr hat, verlor seines wegen einer Menge Probleme wird mit vielen neuen Problemen konfrontiert - allein die Vulnerabilität des menschlichen Körpers stellt Obdachlose im Winter wie im Sommer vor schwierige Aufgaben. Vom sozialen Abstieg mal ganz abgesehen.

Forscher versuchen daher, die seelischen und körperlichen Folgen einer solchen Heimatlosigkeit zu ergründen, um den Betroffenen besser helfen zu können. Nur: Wie erforscht man Menschen, die offiziell gar nicht existieren? Epidemiologische Studien von einer gewissen Aussagekraft auf diesem Feld zu machen, ist schwer. In Deutschland gibt es nur Schätzungen, meist von Wohlfahrtsverbänden vorgenommen, manche Asyle zählen sporadisch, die Ziffern sind letztlich aber ungenau.

In Dänemark dagegen gibt es ein nationales Register für Obdachlose, mehr als 37 000 Menschen sind darin erfasst. Und auf der Grundlage dieses Verzeichnisses konnten Wissenschaftler jetzt erstmals umfassend für ein ganzes Land untersuchen, wie es Menschen ohne Zuhause gesundheitlich geht. Die Ergebnisse klingen erschreckend. Egal in welcher Hinsicht, Obdachlose werden körperlich und seelisch um ein mehrfaches häufiger krank und sterben viele Jahre früher als Menschen mit gemeldetem Wohnsitz – um etwa zwei Jahrzehnte (17 bei Frauen, 22 bei Männern) In den meisten Fällen ist diese dramatische Verkürzung der Lebenserwartung mit psychischen Leiden, insbesondere mit Drogenmissbrauch verbunden.

Das eigentlich Erschreckende aber ist die Tatsache, dass das schon alles sein soll, was man über die Ausgegrenzten in unserer Mitte ermitteln kann. Sterben viel früher, werden häufiger krank. Was sagen diese traurigen Tatsachen schon über das aus, was dem Elend zugrunde liegt?

Die Analyse bezieht sich nur auf jene, die in öffentlichen Einrichtungen Asyl gesucht haben. Die über diese erfassbaren Personen hinausreichende Dunkelziffer ist vermutlich hoch, ihr Gesundheitsstatus aber unter Umständen besser oder noch schlechter. Und dann stellt sich die Frage, was eigentlich zuerst da ist, bei diesen Mensch - das psychiatrische Leiden, die Drogensucht, oder die Obdachlosigkeit?

Es leuchtet doch ein, dass seelisch labile Menschen in einer straff organisierten, durch und durch reglementierten Welt schneller ins Schleudern kommen als psychisch dafür aufgestellte Mitbürger. Sie verlieren alles, zuletzt ihr Zuhause, aber natürlich nicht ihre Erkrankung, die sich unter den unfreiwillig veränderten Lebensumständen eher verschlimmert. Was hilft es, wenn am Ende der Ereigniskette dann ein bisschen Hilfe wartet? Interessant wäre doch, was sich vor dem Absturz machen ließe.

(Teaserfoto: Miguel Villagran/Getty Images)

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Geschrieben von

Kathrin Zinkant

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Kathrin Zinkant

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