Hercules Sägemann rettet Udo

Die Konsumentin Neue Namen für aussterbende Berufe und was das mit dem Kamm eines Starfriseurs zu tun hat
Ausgabe 18/2015
„Storytelling“ gegen aussterbende Berufe wie den Friseur
„Storytelling“ gegen aussterbende Berufe wie den Friseur

Foto: Plusfoto/Imago

Schnallen Sie sich an, werte Leserinnen und Leser, setzen Sie Ihre 3-D-Brille auf, schnäuzen Sie noch einmal durch und kommen Sie mit auf die Reise. Lassen Sie sich verzaubern! Was wir Ihnen heute auf schlanken 3.700 Zeichen bieten, zum Vorteilspreis von zweieinhalb Minuten Lesezeit, ist ein Ritt durch die Zivilisationsgeschichte, der Ihren Blick auf den Lauf der Dinge verändern wird. Und was steht im Mittelpunkt unseres kleinen Abenteuers? IHR Geld. Und IHR Aussehen.

Wir beginnen mit dem (etwas unschönen) Thema Arbeitswelt und enden beim (sehr schönen) Thema Haargestaltung. Viele Berufe sind ja dabei, auszusterben, weil Roboter oder Algorithmen die Tätigkeiten übernehmen. Der Analyseagentur Career Cast zufolge ist die Zeit für Postboten, Holzfäller und Bergleute so gut wie abgelaufen. Für Schuhmacher, Buchbinder und (das Folgende bitte merken!) Bürstenmacher sieht es ohnehin schlecht aus.

Andererseits entstehen neue Berufe, oder sagen wir: neue Namen für alte Berufe. Der Mechaniker wird zum Mechatroniker, der Verkäufer zum Shopping Consultant, die Sachbearbeiterin für Kundenbetreuung in mittelschweren Fällen heißt jetzt Executive Vice President of Social Media, und der Hausmeister reagiert nur noch, wenn man ihm „Hey, Mister Facility Manager, die Haustür klemmt, big dislike!“ zuruft.

Schon beinahe weg vom Fenster waren die Geschichtenerzähler. Im Mittelalter waren es etwa der Hofnarr oder der Minnesänger, in anderen Kulturen die Schamanen oder Märchenerzählerinnen. Sie waren Newsticker auf zwei Beinen, Infotainment-Entrepreneure der allerersten Stunden. Und: Es gibt sie noch. Nur nutzen sie jetzt halt englische Vokabeln, wie alle anderen auch, sie betreiben nun storytelling.

Werthers Echte schmecken so super authentisch nach Weltkriegsoma, dass es kracht! Red Bull verleiht so leistungsstarke Flügel, dass man damit aus 39 Kilometern auf die Erde stürzen kann, ohne sich wehzutun! Und die Commerzbank hat komplett lebendige Mitarbeiter! Eine junge Frau joggt im Bankwerbespot durch Frankfurt am Main. Die Frau heißt Lena Kuske, es gibt sie wirklich. Allerdings arbeitet sie in einer Commerzbank-Filiale in Hamburg. Na und? Frankfurt sieht besser aus, und die Story ist einfach saugut.

Okay, eingesehen. Sie wollen sich hier nicht für dumm verkaufen lassen. Als Kunden dieser hochsympathischen, außerordentlich hübsch gestalteten Premiumzeitung checken Sie’s eh voll. Da brauchen Sie sich von einer Einkaufstüte wie mir nun echt nichts erzählen lassen. Als Bonusprämie – das ist Teil des Vertrags, da kommen Sie jetzt allerdings nicht mehr raus, wieder mal die AGB nicht gelesen, was? – wartet jetzt aber noch ein extraschönes Märchen auf Sie. Es handelt von Udo mit den Scherenhänden – und vom bald 200 Jahre alten Hercules Sägemann.

Udo schneidet mit seinen Scheren die Haare von bekannten Menschen. Er ist ein Starfriseur, und hatte jahrelang einen Lieblingskamm, mit dem er „Legenden wie Marlene Dietrich und Romy Schneider frisierte“, lässt Udo der Welt jetzt über seine Boten ausrichten. Eines Tages war der Kamm weg. Udo sandte einen Auszubildenden aus. Der Azubi suchte und suchte – und begegnete: dem unbezwingbaren Hercules Sägemann. Nach jenem ist ein, äh, Traditionshaus für Kämm- und Bürstprodukte benannt. Hercules Sägemann ist der Cousin von Betty Barclay, es gibt ihn nicht direkt in echt. Dennoch: Udo „griff sofort zum Hörer. Natürlich stellte man den Meister sofort zum Geschäftsführer durch, und so wurde ein Dinner in Berlin verabredet“.

Und was haben wir jetzt davon? Eine zehnteilige Kamm- und Bürstenkollektion, deren Modelle „Marlene 9628“ oder „Marilyn 9627“ heißen und die es ab sofort „in 400 ausgewählten Müller-Drogerien“ zu kaufen gibt. Udo Walz steht für Interviews zur Verfügung. Wir überlegen noch.

Katja Kullmann schreibt in ihrer Kolumne Die Konsumentin über Lust und Last des Geldausgebens

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Geschrieben von

Katja Kullmann

Stellvertretende Chefredakteurin

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