Demokratie ist keine Umsonst-Bibliothek

Kulturkommentar Niederlage: Ein neues Urteil beendet die Praxis Googles digitalisierte Bücher im Netz kostenlos anzubieten

Ein Ende des Streits zwischen Google und der US-Verlagsbranche ist wieder in die Ferne gerückt: Der New Yorker Richter Denny Chin hat den überarbeiteten Vergleich zum Google Book Settlement abgewiesen. Das so genannte Amended Settlement Agreement (ASA) sieht vor, Digitalisate jener Bücher, deren Urheberrechte zwar noch bestehen, die aber vergriffen sind, im Internet verfügbar zu machen, so lange kein Eigentümer dagegen Einspruch erhebt. „Opt-out“ nennt sich das Verfahren. Es kennt nur die Möglichkeit, die eigenen Rechte nachträglich geltend zu machen.

Dem wollte Chin seinen Segen nicht geben. Der Richter wies zwar darauf hin, wie erstrebenswert eine stetig wachsende digitale Bibliothek sei. Aber er meint auch, dass der Vergleich nicht nur pauschal und teils auch interna­tional wirksam über viele Einzelrechte entschieden, sondern Google mit einer De-facto-Monopolstellung dafür belohnt hätte, dass das Unternehmen schon längst Bücher gescannt hat, ohne sich um die Rechte der Autoren und Verlage zu scheren. Google reagierte erst, als eine Sammelklage eingereicht wurde. Über eine Einigung, die eine „Opt-in“-Lösung, also die vorherige Einholung der Zustimmung der Rechteinhaber, vorsieht, ließe sich dagegen reden, schreibt Chin in der Urteilsschrift. Die nächste Anhörung ist im April.

Google ist von Chins Entscheidung erwartungsgemäß wenig begeistert. Jeden einzelnen Autor oder Verlag um Erlaubnis zu bitten, geriete zu einem bürokratischen Aufwand, der den Gewinn der digitalen Bibliothek wohl deutlich schmälerte. Um das Urteil zu begrüßen, muss man aber auch nicht feixen über die Niederlage eines big player: Chin ist lediglich den Regeln der Demokratie gefolgt, und die besagen eben nicht, dass die Masse eine Umsonst-und-Online-Bibliothek bekommt, wenn sie das denn will. Sondern dass der Wille der Masse eine Verletzung der Rechte Einzelner nur in Not- oder Ausnahmesituationen rechtfertigt. Und um Not handelt es sich hier wohl kaum: Die meisten Menschen, die über einen Internetanschluss verfügen, haben es nicht allzu weit zu einer Bibliothek.

Google verstand seine Vereinbarungen mit Bibliotheken samt deren „fair use“-Konzept als rechtliche Grundlage für das eigene Vorgehen. Das erinnert an die Argumente, die die Buchdrucker vor Einführung des Urheberrechts vorbrachten: Der Besitz eines Exemplars erlaube das Kopieren und wenigstens teilweise Weiterverbreiten des Werks. So demonstriert der Konzern ein weiteres Mal, dass er sich offenbar als dem Gesetz regelrecht vorgeordnet begreift und lieber Recht schaffen als das bestehende befolgen will. Als Reaktion auf die wachsende Zahl von Kopien entstand im 18. Jahrhundert unsere heutige Idee des geistigen Eigentums, deren Zeitgemäßheit aktuell nicht selten zur Diskussion steht. Man darf also annehmen, dass auch Googles Praxis eine Neuregelung der juristischen Definitionen zur Folge haben wird. Fehlte nur noch jemand, der in die Fußstapfen von Johann Gottlieb Fichte tritt, der sich damals mit seinem „Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks“ in die Bresche warf. Womit er freilich nichts bewies, aber die Vokabeln für den Diskurs lieferte. Ein solcher Fichte, der die richtigen Wörter bereitstellte, um über die digitale Reproduzierbarkeit zu sprechen, ist heute bloß nicht in Sicht. Und ein Ende der Debatte deshalb auch nicht.

Katrin Schuster ist freie Autorin für Medienthemen und Literatur

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Geschrieben von

Katrin Schuster

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