Inhalt als Verpackung

Kulturkommentar Mit dem "Deutschlandplan" aus dem Umfragetief für Steinmeier: Die SPD hat einen politischen Claim abgesteckt – und stößt überraschenderweise damit auf Aufmerksamkeit.

Die Arbeit von morgen – Politik für das nächste Jahrzehnt“ lautet der weitgehend unbekannte Titel der Rede, mit der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier am Montag sein politisches Programm vorstellte, das – wie er sagte – „die Medien kurzerhand ‚Deutschland-Plan‘ getauft“ hätten. Das scheint nicht ganz korrekt, laut Süddeutscher Zeitung, handelt es sich dabei um den „Arbeitstitel“, den die SPD ihrem Papier gegeben hat. Nun ist aus dem Arbeitstitel also ein massenwirksamer und sogleich kritisierter und belächelter Claim geworden. Wofür sich die Sozialdemokraten ein wenig schämen und deshalb ebenfalls zu den Gänsefüßchen greifen. Dazu gibt es keinen Grund, denn Deutschland-Plan ist ein absolut zeitgemäßes Schlagwort: weg von der Businessrhetorik und den Zahlenspielereien eines Projekts 18 oder einer Agenda 2010, hin zu einem nicht weniger in die Zukunft gerichteten nationalen Programm in schlichtem Deutsch; „Anpacken. Für unser Land“ lautet der zugehörige SPD-Wahlkampf-Spruch.

Einen Deutschlandplan gab es schon 1959 von Herbert Wehner, der allerdings mit dem heutigen wenig zu tun hat, und so schweigt sich die SPD über diesen Teil der Geschichte hinweg. Damals ging es um die politische, diesmal zuerst um die wirtschaftliche Stellung des Landes in der Welt. Vorbei sind auch die Zeiten der Schlachtrufe wie das Keine Experimente! der CDU (1957) oder das Wohlstand ist für alle da der SPD (1961).

Heute sind statt Slogans so genannte Claims gefragt. Claims kommt von to claim und meint: beanspruchen, einfordern. Das Eigene einfordern, heißt immer auch das Andere ausschließen. Das klingt manchmal so harmlos wie bei Barack Obamas Yes, we can!, öfter aber totalitär oder zumindest auf unzulässige Weise generalisierend wie Volkswagens Das Auto oder Die Mitte, in der sich die CDU autoritativ verortet hat: Andere Autos sind also keine Autos, und alle Parteien außer der CDU randständig oder extrem.

Dagegen hält Steinmeiers Rede vom „Plan“. Sie ist nicht nur jugendsprachenkompatibel, sondern passt auch zur Lust am Beta, an der ewigen Unfertigkeit, der man überall begegnet. Wer einen Plan hat, hat den Überblick und deutet zugleich an, dass sich vielleicht nicht all seine Ziele erreichen lassen. Die Rede vom Plan setzt die eigene Stärke gegen den schlechten Zustand der Welt. Wenn ein Plan scheitert, ist daran nicht der Plan schuld, sondern die Umstände. Der Pläneschmied verbindet somit Macht und Ohnmacht aufs Innigste, er ist der Phänotyp unserer Zeit.

Dass die SPD nun für sich trommelt, indem sie ihr Regierungsprogramm wie ein solch virtuelles Produkt bewirbt, ist schlüssig. Etwas anderes als ihr Programm steht der Partei zur Zeit auch nicht zur Verfügung: Die Marke SPD hat keine Strahlkraft mehr, und der Spitzenkandidat geizt mit Charisma. Bleibt folglich nur die werbetechnisch riskante Option, mit dem Verweis auf politische Inhalte Wahlkampf zu machen. Und das, welch überraschende Wendung, zeigte einen erfreulichen Nebeneffekt gezeigt: Die Medien haben sich, eben dank der Hohlheit des Begriffs Deutschland-Plan, umgehend mit Steinmeiers Ideen auseinandergesetzt. Ein echter Fortschritt im Vergleich zu früheren Wahlkampf-Jahren. Im Frühjahr 2002 etwa, man erinnere sich, wurde über Gerhard Schröders Haarpracht diskutiert, die K-Frage der Union erörtert sowie die Notwendigkeit von Fernsehduellen verhandelt.



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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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