Es ist knapp drei Jahre her, da legte Twitter sich ein neues Zeichen zu. Das weiße Häkchen auf dem türkisfarbenen Grund sollte beweisen, dass Accounts echt sind – also auch von denen betrieben werden, die das vorgeben. Dieses Zeichen versichert unter anderem, dass @sigmargabriel tatsächlich von dem SPD-Chef verantwortet wird.
Den Bedarf an Authentizität scheint es dennoch nicht zu stillen. Denn das Misstrauen der so genannten Netzgemeinde gegenüber allen offiziösen Verlautbarungen in den „sozialen Medien“ ist ungemein hoch. Mit mehr oder weniger populistischer Geste werden Politiker entweder als unehrliche Vetternwirtschafter vorgeführt. Oder als von Imageberatern inszenierte und damit „unechte“ Persönlichkeiten bezeichnet. Beiden Erscheinungsformen ist nicht zu trauen.
So ergeht es nun auch Sigmar Gabriel, der gerade erst zu twittern begann. Eine ganze Reihe von Tweets zweifelt nämlich daran, dass die 140-Zeichen-Statements von ihm selbst verfasst worden sind: „Der PR-Assistent, der den Account von @sigmargabriel betreut, macht das recht gut. Schade, dass Siggi das nicht selbst macht.“ Der eigentlich nur von der Seite Angesprochene reagierte aber prompt: „Irrtum. Mache ich selber. Meine Jungs wollen mich aber bremsen :-)).“ Als nicht einmal dieser Einspruch fruchtete, twitterte Gabriel – unglaublich, aber wahr – seine Telefonnummer und forderte dazu auf, jeder könne sich doch direkt an ihn wenden. Bald ließ „Benita061“ verlauten: „Hilfe. Ich habe gerade ernsthaft mit @sigmargabriel telefoniert. Der Account ist echt! ;)“
Wer zum Telefon greift, um die Authentizität eines Menschen festzustellen, mag über eine ordentliche Portion Medienkompetenz verfügen – hat aber deutlich mehr kritisches Potenzial aufzuweisen als die Presse. Während in Netzwerken stets einer Echtheit hinterher gejagt wird, an der es dem Web per definitionem mangelt, fahren die vorgeblich seriösen Medien nur die sichersten Geschütze auf.
Spiegel Online warnte kaum verhohlen vor den Risiken solch offenen Austauschs: „Je mehr Tweets, desto größer die Gefahr von Fettnäpfchen.“ Womit wohl zuallererst die eigene Macht zum Shitstorm gemeint ist. Der Kölner Stadtanzeiger jazzte die Tweetwechsel zwischen Gabriel und seinen Followern, denen es an harschen Worten nicht mangelte, zum „Twitter-Zoff“ hoch, um seine bescheidenen psychologischen Kenntnisse auf den Tisch zu packen: „Da scheint allerhand Frust nach außen zu drängen.“
Und die Welt fantasierte fröhlich: „Twitter ist verführerisch für Krawallschachteln wie Sigmar Gabriel. Ihn verleitet der Kurznachrichtendienst immer häufiger zu Pöbelei.“ Womit die Logik einer solchen journalistischen Praxis klar benannt wäre: Politiker haben Wichtigtuerei und Beleidigungen kommentar- und widerstandslos hinzunehmen; wehren sie sich aber, versucht man ihnen ganz schnell beizubringen, das zu unterlassen. Oder anders gesagt: Zeitungspapier verleitet Krawallschachteln wie die Welt-Redaktion offensichtlich immer häufiger zu Pöbelei.
Ein Misstrauen gegenüber den seriösen Medien ist mithin mehr als angebracht. Denn die scheinen wirklich – davon zeugen auch die Polittalks im TV – vergessen zu haben, dass die Aufgabe von Politikern nicht darin besteht, Welt und Wählern nach dem Mund zu reden. Sondern darin, echt zu sein, so unmöglich das ‚in echt‘ auch sein mag.
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