Von Cäsar bis Lucrezia Borga

Sommerlektüre In "Die Geheimnisse Roms" beschreibt Corrado Augias seine Heimatstadt entlang der Biografien von Menschen und Bauwerken – also auf unbedingt lesenswerte Weise

Corrado Augias beginnt sein Buch Die Geheimnisse Roms mit dem Tod. Mit Pier Paolo Pasolinis Gedichtband Gramscis Asche, mit der Geschichte des Englischen Friedhofs, mit den Grabmälern entlang der Via Appia und deren Inschriften, mit den Knochenornamenten im Beinhaus der Kapuziner, mit dem Bombenangriff der Alliierten im Juli 1943, mit dem Mörder Caracalla und dessen Thermen, mit dem letzten Blick der Geliebten Chateaubriands auf das Kolosseum. "Zwischen Raum und Zeit", heißt dieses erste Kapitel.

Bereits im Vorwort benennt der Autor als wichtigstes Kennzeichen der Kapitale "die Gleichzeitigkeit einer Vielzahl von ineinander verschachtelten Städten": Ihr Leben lang wurde diese Stadt ab- und wieder aufgebaut, "in Rom geschieht es, dass die Domus aurea, einer der großartigsten Paläste, der je erbaut wurde, nach wenigen Jahren der Herrlichkeit im Keller endet und als Fundament für die Thermen des neuen Kaisers dient; dass der Hauseingang eines 1909 konstruierten Palazzo von einem Strebepfeiler aus Neros Circus gestützt wird; dass die Säulen einer christlichen Kirche aus einem Venustempel stammen … Diese Gleichzeitigkeit macht die Faszination Roms aus, sie ist aber auch die Last, die die Stadt zu tragen hat."

Für Augias ist das Ineinander von Räumen und Zeiten sichtlich eine Lust und keine Last: Leichtfüßig schweift er von hier nach dort, von damals nach heute, vom Abstrakten ins Konkrete, vom Amüsanten zum Traurigen. Er flaniert nicht nur durch die Stadt, sondern auch und vor allem durch die Geschichte Roms. Und man folgt ihm allezeit nur gar zu gerne auf seinen Streifzügen, eben weil man nie weiß, wohin es als nächstes gehen und wo das jeweils enden wird. Als wäre dieses Buch gerade nicht für Touristen geschrieben, sondern hätte der Journalist und Schriftsteller Augias zuallererst der eigenen Sehnsucht nachgegeben, das Bild seiner Heimatstadt noch einmal anders zu zeichnen. Nicht anhand der Fünf-Sterne-Sehenswürdigkeiten nämlich, sondern anhand der Geschichten, die all die wandernden Steine zu erzählen haben.

Das Fortschreiten folgt mithin nicht der üblichen chronologischen Ordnung, denn Corrado Augias hat ohnehin stets alle Zeiten im Blick. Thematisch reicht das von einer der anschaulichsten Schilderungen der Ermordung Cäsars und deren Hintergründe über die Geschichte des Ghettos sowie des EUR-Viertels bis zur Resistenza, bis zum Dreifachmord im August 1970 in der damals längst legendären Via Puccini und bis zu Lucrezia Borgia, der viermal verheirateten "schönsten Dame Roms", in deren Leben sich ein Gutteil der Renaissance Roms spiegelt – um nur ein paar wenige Kapitel dieses Buchs zu erwähnen.

"Es ist sonderbar, wie eine Metropole, eigentlich ja der höchste Ausdruck von zivilisiertem Miteinander, zur Metapher für ein Leben der Wildnis mit Hinterhalten und Fallen werden kann", schreibt Augias einmal. Jedoch verlässt sich dieser ausnehmend inspirierte Autor nicht allein auf die besonderen Anekdoten – von denen er wahrlich eine Menge zu erzählen hat –, sondern rückt zudem andere Perspektiven ins Blickfeld, stellt Beziehungen her, unternimmt Einordnungen und Brückenschläge. Ein Kulturwissenschaftler, wie er nur in einem guten Buche steht: Augias´ assoziatives und also durchweg essayistisches Schreiben entlang der Biografien von Menschen, Geschichten und Bauwerken weiß sehr genau mit Melodie, Fakten und Tonfall umzugehen. So dass Die Geheimnisse Roms tatsächlich so spannend ist, wie dieser auf den ersten Blick recht platt klingende Titel – inklusive der Unterzeile "Eine andere Geschichte der Ewigen Stadt" – verspricht: Wer Rom nicht kennt, den wird die "Melancholie der ewigen Bauten" spätestens jetzt ereilen. Und wer Rom kennt, der muss sich glücklich schätzen, dass er die Stadt mit Corrado Augias´ Augen noch einmal neu, anders und besser kennen lernen darf.


Corrado Augias: Die Geheimnisse Roms. Eine andere Geschichte der Ewigen Stadt. Aus dem Italienischen von Sabine Heymann. Osburg Verlag, 544 S., 26,90

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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