Der Chef ist weg, der Boss, der Köhler. In 21 Tagen wird ein neuer Bundespräsidentenmensch gewählt. Wie fühlt er sich an, der Alltag so ohne richtiges Staatsoberhaupt? Ein Tagebuch.
Ich gebe es zu: Ich bin undankbar. Vor einer Woche noch habe ich mich nach dem Wetter gesehnt, das nun eingetroffen ist. Und schon verfluche ich es. Das hat einen einfachen Grund: Mir sind die meisten Menschen bekleidet lieber. Es ist aber so, dass, wenn die Temperaturen eine magische Grenze von – sagen wir mal – 25 Grad Celsius übersteigen, die Obertrikotagen vieler, zu vieler Leute meiner unmittelbaren Umgebung quasi in der Sonne schmelzen.
Nicht selten betrifft das jene, deren Körpergewicht die magische Grenze von – sagen wir mal – 80 (Frauen) bis 120 Kilo (Männer) – schon vor drei Silvestern überschritten hat. Ich bin dagegen, in diesen Konfektionsgrößen überhaupt Hotpants, Tägerhemdchen oder Outdoor-Unterkleider (weich fließend) herzustellen. Und übrigens auch keine Leggings.
Am Strand und so geht das in Ordnung, da kann's von mir aus rundum ohne sein. Aber in der Straßenbahn möchte ich nicht mit Dekolletés konfrontiert werden, deren Obendrüber ich sieze. Ich will die Problemzonen fremder Mitbürger nicht so schonungslos offenbart bekommen. Mal abgesehen davon, dass Stoffe den Körper hervorragend kühlen. Vor allem an jenen Stellen, an denen sie ihn bedecken (bedecken, nicht mit ihm verschmelzen).
Vielleicht bin ich etwas gereizt heute. War spät gestern. Wir haben Roberts 200sten gefeiert, ganz so, wie der Kulturstaatsminister es sich wünscht: gesamtdeutsch. Bier aus Sachsen, Wein aus der Pfalz, Gespräche wichtig. Schumanns Werk nämlich sei ein „wichtiges gesamtdeutsches“. Ja was denn sonst? Ein sächsisches, weil der Zoni in Zwickau geboren wurde? Da muss man erstmal drauf kommen. Schumann! Gesamtdeutsch! Es hätte doch niemand die Merkelin als Westdeutsche (Hamburg) in Verdacht, und keiner verankert den Köhler in Polen (Skierbieszów).
Apropos Merkel. Für ihre Zukunft fand der Urban Priol gestern in „Neues aus der Anstalt“ schöne Worte: Die Anstalt macht jetzt Sommerpause, „vielleicht sehen wir uns vorher wieder in vier Wochen mit einem Anstalt-Spezial zum Rücktritt der Kanzlerin". Vergleichbare Gedanken waren bereits aus Georg Schramms Jäger-Weisheit herauszuhören: "Bei einer Treibjagd hat die Bache keine Chance."
Den Siedepunkt aber erreichte Schramm in seiner Wut aufs Sparpaket: "Wer ist denn am schärfsten betroffen? Die Hartz-IV-Empfänger sind es, es werden die Arbeitslosen sein, es werden die Familien sein. Dafür werden bei uns Sozialleistungen gekürzt, damit die FDP bei Laune gehalten werden kann. Damit die Kanzlerin keine Niederlage erleidet, wird bei uns ein ganzes Gesellschaftssystem aufs Spiel gesetzt." (sinngemäß)
Das, ich gebe es gern zu, hätte er von mir aus auch in Turnhosen sagen können.
Kommentare 12
Schramm in Turnhosen? Och, nöö. Lieber nicht.
Ne Perle:
"Aber in der Straßenbahn möchte ich nicht mit Dekolletés konfrontiert werden, deren Obendrüber ich sieze."
Ein Böll-Satz(Frauen vor Flußlandschaft):
Sie hat den Unterschied zwischen Dekolleté und oben ohne nicht begriffen und ist mit deplatziert richtig beschrieben.
.... das letzte Hemd hat keine Taschen
(Binsenweisheit, off topic, pardon dafür...)
Sehr schöner Text (mal wieder).
Die Fußgänger- eine reine Problemzone im Sommer, auch heute wieder der Kampf gegen die Achseln des Bösen, da werden meine Augen und Adiletten ganz feucht...
Bei unseren Politikern tippe ich eher auf "Problemzone Hirn". Ein(e) Welle macht doch keinen Sommer und Merkel bleibt uns noch lange gewogen, nein, erhalten, denn wer nur auf der Stelle tritt, kann nicht zurücktreten.
das hat der böll aber schön gesagt. gelernt: nicht h ist auslöser des problems.
einer meiner lieblings-sprüche - mein haus ist gebaut aus binsen. aber hält viel wasser ab!
du gehst aber nicht in adiletten in die fußgänger-zone? nein, natürlich nicht, war nur eine kurze befürchtung.
was die anderen betrifft: ich weiß nicht, ob ich mir einen rücktritt der merkelin wünschen möchte. ich denke - nein. weil: wer anders, besser? okay, ist kein argument. aber ein zweifel.
Na, jedenfalls ist im Moment als Nächster der Wirtschaftsminister stark rücktrittsgefährdet.
"wer anders, besser?"
Ich erinnere mich, daß genau dieser Gedanke im Zusammenhang mit Honecker immer wieder mal eine Rolle spielte. Er erschien uns gelegentlich als das kleinere Übel. So eine Art Stockholm-Syndrom?
so habe ich es noch gar nicht gesehen: "eine art stockholm-syndrom". muss ich mal in ruhe drüber nachdenken.
schönen tag wünscht
kk
"mein haus ist gebaut aus binsen."
- muss ich mir gleich notieren....:-))
ich will nicht undankbar sein, kk, darum danke für das, was du, wie friedland schon richtig anmerkte, abermals sinniges unter deinen ostsee-tsunami mit den steinen geschrieben hast.
ich bin stets nur ganz zweckmäßig kurzzeitig in der steinwüste. die kleiderordnung meiner feriendorf-nachbarn ist kein thema. es gibt sie nicht. sommers wie winters.
ich denke auch nicht darüber nach, was jemand wohl anhatte, als er/sie diesen oder jenen text abfasste. litteratten müssen sich natürlich für alles interessieren, nee, das waren die philosophaster. naja, nicht zuletzt die bloggers.
das wort erinnert mich an eine billigladenkette in holland, die 'blokker' heißt.
lieber h.yuren.
dann fahr einmal bei über 25, ach,was sag ich, 30 grad celsius mit der leipziger straßenbahn. dann ist kleiderordnung ganz schnell ein thema, ehrlich!
straßenbahnen mag ich, liebe kk. warm hab ichs auch gern. mir tun dann nur die dickpelzigen hunde leid, die ihren pullover nicht ausziehen können.
wenn mich jemand nach der be- oder verkleidung einer person fragt, muss ich meist passen. aber über die sachen, die einem im sommer vorgeführt werden, gehe auch ich nicht immer wortlos hinweg. schon wahr. das lebendige pendant zur haute couture auf dem laufsteg. die straße(nbahn) als alternativer laufsteg.