Gemeiner Durst - Verbot schluckt Verstand

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„Der Mensch ist das einzige Wesen, das im Fliegen eine warme Mahlzeit zu sich nehmen kann.“ (Loriot)

Na wunderbar: Nun ist es auch in Hamburg verboten, in Bus oder Bahn ein Bier zu zischen. Überhaupt Alkohol, das Teufelszeug. Anlass dieses weiteren Verbots auf der nach unten offenen Liste der Bevormundungen soll neben den sich immer zügiger ins Koma saufenden Jugendlichen die Zunahme von Gewalt in Bussen und Bahnen, an Haltestellen und Bahnhöfen sein.

Wer das zu Ende denkt, muss ganze Innenstädte und Mecklenburg-Vorpommern zu alkoholfreien Zonen erklären, überhaupt die öffentlichen Räume, in die sich all die Raucher geflüchtet haben, die in ihren Stammkneipen zu keinem Service nun auch keinen Aschenbecher mehr bekommen. So denken Kinder: Was ich nicht sehe, gibt es nicht.

Bei Erwachsenen heißt das Dummheit. Zum einen lassen sich die Alkoholprobleme nicht nur Jugendlicher prima verdrängen. Zum anderen ist das Zurschaustellen privater Bedürfnisbefriedigung ein Phänomen, das in den Kinosälen durchaus akzeptiert wird, wo Eimer-weise Cola oder Popcorn, besser beides, die Multitaskingfähigkeit aller herausfordern.

Und wer wagt es noch, ohne eine Wasserflasche das Haus zu verlassen? Wer geht noch ohne Bionade in den Park? Als drohten jederzeit Hungersnöte und Dürreperioden, sind feste wie flüssige Nahrung to go zum Lebensstil geworden. Dabei geht es natürlich weder um Hunger noch Durst – vielmehr verweist diese kollektiven Ess-Störung auf einen anderen Notstand: Ich konsumiere, also bin ich: die Ohren verstöpselt, den Mund verstopft, alle Hände gefüllt mit den Accessoires unbegrenzter Verfügbarkeit.

All diese Errungenschaften sind Ablenkungen von Langeweile, von Angst oder Unbehagen gern gesehen. So wie das Abfüttern im Flugzeug, zu dem Loriot der wunderbare Satz einfiel: „Der Mensch ist das einzige Wesen, das im Fliegen eine warme Mahlzeit zu sich nehmen kann.“ Nun ist das Können auf dem Weg zum Muss.

Doch auch und gerade wenn zur Lebensmittel-Ampel noch Promille-Blitzer kommen, wird es Kollisionen geben zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Die einen verlieren das Bewusstsein, andere den Verstand.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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