"Lachen Sie nicht!"

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Georg Schramm entkommt im Leipziger Centraltheater der Demenz und gibt mit seinem neuen Programm "Meister Yodas Ende" den Blick frei auf Sprachmüll, Lügen, Wesentliches. Das Publikum jubelt stehend.

Das gab es lange nicht zu sehen vor den Türen des Leipziger Centraltheaters: „Suche Karte“ steht auf Pappschildern, die junge Fans in den Freitagabendhimmel halten. Sie würden den Altersdurchschnitt um einiges senken im Saal, in dem das Bildungsbürgertum der Stadt erwartungsfroh raschelt, denn er ist da: Georg Schramm, ein Höhepunkt der 20. Lachmesse. Der Kabarettist ist aus der ZDF-Anstalt ausgebrochen, um Neues auf die Bühnen des Landes zu bringen, sein Programm „Meister Yodas Ende - Über die Zweckentfremdung der Demenz“. Inszeniert hat Rainer Pause, Premiere war im September.

Wem wird er diesmal die Leviten lesen? Welche Lügen entlarven? Welche Maske von welcher Fratze reißen? Schramm bleibt milde. Er beginnt sogar zutraulich. Sozialdemokrat August kommt von der Rente rasch aufs Luftgewehr. Manchmal schieße er auf BILD-Titelseiten. Die Urne mit der Asche seiner Frau hat er vom Hauptfriedhof geklaut, nun ruht die Gute unter ihrer Lieblingsbank in der Schrebergartensiedlung „Kriegsopfer Bockenheim“ - „Da gibst du dir im Garten mehr Mühe.“

August schlägt die Richtung ein, der Rentner Lothar Dombrowski und Oberstleutnant Sanftleben folgen werden: Politik-, Kriegs- und Lebensmüdigkeit an tagesaktuellen Beispielen des Alterns, Sterbens und Verdrängens.

Mit den Jacken wechselt Schramm die Fallhöhen: Dombrowski, wie stets nicht grundlos schlecht gelaunt, leitet als Vorsitzender der Selbsthilfegruppe „Altern heißt nicht trauern“ eine Sitzung, in deren Verlauf Sanftleben das Gastreferat hält, wobei er seine Uniform trägt, „weil Sie mir dann zuhören“, und August der anschließenden Diskussion eine nicht minder militante Note gibt. Tisch, drei Stühle, Pult und Kleiderständer – mehr braucht der Solist nicht, um nach wenigen Minuten die Erregungsgeschwindigkeit des Abends zu erreichen.

Während Günther Jauch auf RTL im Duell der Generationen „Alt gegen Jung“ antreten lässt, steckt Dombrowski die Frontlinie ab: Arm gegen Reich - „diesen Kampf haben wir zu führen und nicht Alt gegen Jung“. Niemand zweifelt, dass es ihm ernst damit ist. Und weil er vergessen hat, sich die Erinnerung „Nicht über das Gesindel reden“ auf den Tisch zu legen, geht es gleich mal gallig gegen die SPD und deren Vorschlag einer „freiwilligen Wehrpflicht“ - einer „selbst für Sozialdemokraten erheblichen“ sprachlichen Entgleisung. Ein anderer Satz, Struck sprach ihn einst, sei einer der wenigen, die es aus der SPD in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft haben: Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt. Ja, und bei den Taliban heißt es: „Afghanistan wird im Sauerland verteidigt“.

Spätestens seit seiner legendären Trauerrede für die in Afghanistan gefallenen deutschen Soldaten („Der Tod ist die logische Konsequenz soldatischen Handelns“), werden von Sanftleben jene deutlichen Worte erwartet, die zu Guttenberg immer wieder zu entfallen scheinen, was die positive Lesart ist.

Tatsächlich zitiert er sich selbst: „Die Kinder winken nicht mehr, wenn wir auf Patrouille gehen, die von uns gebauten Schulen sind geschlossen, für jeden von uns erschossenen Zivilisten melden sich zehn Freiwillige bei den Taliban. Und selbst der von uns gekaufte Präsident Karsai sieht unseren Abzug lieber heute als morgen. Wir sind nur noch dort, weil wir nicht den Mut haben zuzugeben, dass wir gescheitert sind.“

Im Grundgesetz-Artikel 115 ist der Verteidigungsfall geregelt. Tritt er ein, geht die Kommandogewalt an die Bundeskanzlerin über, Wahlen werden ausgesetzt. Darum werde ab dem Moment, wenn diese Regierung zum ersten Mal von Krieg spreche, nunmehr Schwarz-Gelb am Hindukusch verteidigt. Da lacht sich das Publikum die Müdigkeit aus den Augen und sieht wieder deutlich, warum alles Medien-Gerede vom „feigen Hinterhalt“ und „unnötigem Blutvergießen“ Unfug ist.

Dann wird’s persönlich im gekonnt ausgespielten Rhythmus von Widerstand und Depression, der jene Brüche provoziert, die zur Erkenntnis führen. Vom postraumatischen Belastungssyndrom, „früher hieß das Kriegstrauma“, kommen Dombrowski und August auf „Personenschäden im Gleisbett“ und über die Omma im Heim mit Magensonde und Drei-Liter-Windel auf die Stuttgart-21-Proteste, bei denen Minderjährige und Rentner den „Zorn als Gestaltungskraft“ erkannt haben, jenes starke Gefühl, dem Dombrowski im Sommer schon in den „Mitternachtsspitzen“ Auslauf gegeben hat, wo er bereits Papst Gregor zitierte: „Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht.“ Man kann es nicht oft genug hören.

Die Triebfeder des Bösen sei übrigens die Habgier. Von allen Religionen geächtet hat sie es inzwischen ins "Gestaltungszentrum der Gesellschaft" geschafft, wo „Integrationsunwillige ihre Intelligenz für Währungsspekulationen missbrauchen“. Dabei gehe es – wie bei Schuhe kaufenden Frauen - nicht um den Besitz, sondern um den Erwerb. In solchen Momenten macht Schramm es dem Publikum leichter,alsin seinen besten Momenten. Er unterhält mit Sätzen wie jenem Thomas von Aquins über Christian Wulff: „Die blasse Harmlosigkeit, die sich leider oft mit Erfolg für Sanftmut ausgibt, sollte doch niemand für eine christliche Tugend halten”. Und streut verbindlich Bonmots:
„Der Weg vom sozialen Brennpunkt zum Reichenghetto ist weit und auch nicht ausgeschildert.“
„Im Berufsalltag des bildungsfernen Unterschichtenmännchens ist Testosteron eher hinderlich.“
„Leere Worthülsen werden im Brackwasser der Beliebigkeit untergehen.“

Allein durch die Kraft der Gedanken Dinge zu bewegen – das verbindet Schramm mit jenem Meister Yoda aus „Star Wars.“ Worte wie Schwerter. So erfüllt er die Erwartungen und Hoffnungen, die in der Streitkultur ignoriert und von Habgierbeschleunigern geraubt werden. Mit einem Glöckchen sorgt Dombrowski immer wieder für Ruhe, „Lachen Sie nicht!“, im Saal, in dem es sehr dunkel und still wird und die Angst greifbar vor einer Endzeit, die sich möglicherweise im Vergessen ankündigt, der vielleicht im rechtzeitigen Einschlafen zu entkommen ist. „Das Problem steckt im Wort rechtzeitig.“

Wenn es schief geht, wacht der Lebensmüde in der Psychiatrie auf, wo sie ihm bedenkenlos die Stimmung aufhellen. Eine Horrorvorstellung für Dombrowski, der das letzte Wort aber August überlässt, dessen Aufruf zum Smart-Mob-Ungehorsam aus Stille wieder Lärm macht: Jubel, Bravo-Rufe, stehende Ovationen.

www.lachmesse.de

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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