Priol kriegt die Tür nicht zu

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Er kann den Dicken, die Angela und "das Guido". Da sitzen die Gesten, stimmt die Stimme. Sogar den langweiligen Bundes-Köhler macht Urban Priol treffend nach und das dann allen vor. Das kann er. So ist das Leipziger Gewandhaus am Samstagabend fast ausverkauft, als der "Randbayer mit fränkischem Migrationshintergrund" das Programm "Tür zu" (2006) auf die Bühne kracht, als wär's von gestern, also von vor einer Woche.
Denn das ist schon was: Ein bekanntermaßen tagesaktueller Polit-Kabarettist mit ZDF-"Anstalts"-Erfahrung kommt wenige Tage nach der Wahl, die Dinge auf den Kopf zu stellen. Er bündelt alle Hoffnungen auf Hiebe links und rechts des Mittelparketts und auch mal eine Gerade aus der Deckung. Aber nein. Er schafft es nicht.

Dabei nimmt Priol sich drei Stunden Zeit. Die anderthalb nach der Pause füllen den erprobten Programmrahmen, in dem TV-Shows mit Flachbildschirmen kompatibel sind und ein alleskönnendes Mobiltelefon mal die Gattin, mal die Vermieterin ans Ohr legt. Oder der neueste James Bond als "Pilcher mit Pistolen" abgeschossen wird. Hier sprengt der Alleinunterhalter - und man kann sagen, er füllt die große Bühne wirklich spielend - Schimpflöcher in die Dramaturgie. Gegen die deutsche Lethargie zum Beispiel, à la "Es kommt, wie's kommt." Vom Stammtisch steht so schnell halt keiner auf. Grob behauen sind die Textbausteine der Frau Kanzlerin, die Priol wütend aufeinanderstapelt. "Die wacht doch jeden Morgen in ihrer eigenen Buchstabensuppe auf", tobt er. Das entlarvt, dafür gibt's Jubel. (Wie überhaupt das Leipziger Publikum, geschätztes Durchschnittsalter 50, am Tag der Deutschen Einheit begeisternd aufgeweckt agiert). Konsequent zu Ende befürchtet ist , wie Verteidigungsminister Jung den Soldaten in Afghanistan den Krieg erklärt, in dem sie sich nicht befänden.


Die Enttäuschung liegt vor der Pause. Nicht, dass der Kabarettist nicht auf der Höhe der Zeit wäre. Er kennt das EU-Votum der Iren, er weiß vom Sprachfehler des designierten Außenministers. Allein: Er macht nichts draus. Als er zum ersten Mal Guido erwähnt, "auf den komme ich noch öfters heute Abend", brandet Applaus der Erwartung. Doch dann watschelt die Ente und fehlt der Tiger zur, gähn, Tigerentenkoalition. Plötzlich soll die Farbgebung für Wespen stehen, die, klingeling, kleine Stücke aus dem großen Kuchen klauen. Und schon ist der erste Gipfel der Verharmlosung erklommen: "Berliner Runde: sie und sie."

Da läuft einer offene Türen ein bei einem Publikum, das es gelernt und geliebt hat, zwischen den Zeilen zu erkennen. Doch hier wird jedes Wort fett unterstrichen. Die Krise lässt sich zwischen Opel und Karstadt festzurren. Und wenn gar nichts mehr geht, geht immer noch Karl-Theodor zu Guttenberg - "Seit wann trägt Lothar Matthäus Brille?" Überhaupt: Als sei Herkunft eine Verfehlung. Aussehen ein Skandal. Sexuelle Orientierung ein Angriffspunkt. Ganz im Gegensatz zu seinem TV-Partner Georg Schramm führt Priol nicht durch Analyse zur Pointe. Er schießt mal hier-, mal dorthin.

Ja, er trifft. Und zeigt Haltung. Und ist klüger und witziger als viele seiner Popularität scheffelnden Kollegen. Die inhaltliche Kurzatmigkeit dieses Auftritts verweist dennoch auf eine Ratlosigkeit. Die Luft ist raus, die Tür halb angelehnt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden