Rückenwind aus deutscher Sicht

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Selbst wenn die Adventszeit nicht für das Fernsehprogramm erfunden worden sein sollte und Wintersport nicht für die Adventszeit, sind die Live-Übertragungen von den Pisten, Schanzen und Loipen doch die beste Einstimmung aufs Fest.

Was für die einen die Märchenverfilmungen, sind für andere Trainingsläufe und zweite Durchgänge. Und so, wie man kein Kind sein muss, um bei „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ zu seufzen, braucht kein Sportfreund zu sein, wer sich bei Skispringen, Biathlon, Riesenslalom, Bob und Rodeln vergisst. Schon die Ortsnamen! Seefeld, Winterberg, Hochfilzen …. Ein Gesang von Pulverschnee und Jagertee.

Mit dem Schnee allerdings ist das so eine Sache. Es ist stets zu viel oder zu wenig. Wie beim Wind. Immer der falsche. Denn „wer weniger Rückenwind verspürt, der springt einfach ein bisschen besser“. Sportkommentatoren gelten als Helden des ausgesprochenen Nichts und nicht weniger als Meister des Sprachbildschaffens. Endlich sind „die Doppelsitzer wieder auf der Erfolgsspur“.

Es ist aber auch eine Kunst, das ewig Gleiche mit immer neuen Formulierungen zu begleiten. Einer fliegt 129 Meter weit, der nächste einen halben Meter weiter. Unter zunehmender Vermeidung von Verben, die zu ganzen Sätzen hätten führen können, wird umgehend nach Erklärungen gesucht für fehlende Zehntelsekunden, verpatzte Starts, vergebene Elfmeter, oder wie das beim Biathlon heißt. Natürlich immer „aus deutscher Sicht“.

Dabei sind im Wintersport eh nur Deutsche und Österreicher unterwegs, was sich in Interviews zeigt mit den Siegern und Teamkollegen, die alle bayrisch reden, österreichisch oder einen seltenen südtiroler Dialekt, und die trotzdem weder synchronisiert werden noch untertitelt.

Die Gesprächs-Sportler sind immer außer Atem, haben gerade eine Grippe oder einen Kreuzbandriss gut überstanden, tragen rosige Wangen und Mützen lilafarbener Schokoladenhersteller. Es können auch mal Waffeln sein. Weil sie nicht wissen, dass sie in ein Mikrofon sprechen, sind ihre Stimmen sehr schrill, um nicht in der singenden, klingenden Fan-Kulisse unterzugehen.

So laut werden die Kommentatoren nur, wenn es aufs Ende zugeht. „Er schafft es, er schafft es, er schafft es – nicht!“ Wer wohl Dritter werde, fragen sie hysterisch, um sofort den Namen zu rufen. Und sehen kann man es ja auch.

Im Grunde aber herrscht Ruhe. Herrliche meditative Ruhe. Skier scharren, Kufen kratzen, beim Absprung macht es leise Wusch. Die Kommentatoren murmeln Namen, Zahlen, Hoffnungen – und wer in Zeitlupen-Wiederholungen adventlich wegnickt, träumt sanft von heißem Jagertee im Pulverschnee.

(zuerst erschienen unter www.lvz-online.de)

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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