Shoppen und shoppen lassen

Kabarett In Leipzig feiert „Des Wahnsinns fetter Beutel“ mit dem Ensemble Weltkritik Premiere. Der Termin ist perfekt, das Finale auch. Dazwischen bleiben Fragen offen.

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Das Schluss-Medley bringt es auf den Punkt: Shoppen ist Klassenkampf. Das Einkaufs-Zentrum ein Gefechtsgebiet, die Waffen liegen im Regal, Schlachtruf sind hohle Versprechungen. „Völker leert die Regale“ dichten Bettina Prokert und Maxim Hofmann „Die Internationale“ um.

Nicht die Gedanken sind frei, sondern die Parkplätze. So siegt man heute. Das ist eine hübsche Pointe bei der Leipziger Premiere von „Des Wahnsinns fetter Beutel“ am 26. September im „Horns Erben“ – genau zwei Tage nach der Eröffnung der Brühl-Höfe, die mit Läden der immer gleichen Ketten nerven statt Einzelhandel zu ermöglichen, in denen es alles gibt bis auf eine Idee, was Städte attraktiv machen kann.

Bei Weltkritik sind es die „Südvorstadt-Arkaden“, in denen die bereits bekannten Figuren Silke Sumpf-Pretzsch und Thomas Lühmlich diesmal umschulen. Seit sechs Jahren werden sie von der Agentur für Arbeit vor neue Herausforderungen gestellt, für das erste Programm, „Weltkritik“, gab’s unter anderem den Cabinetpreis. 2009 folgte dann ein „Talentefest“. Diesmal hat sich Lühmlich unter einer „Promotionsstelle“ eigentlich etwas anderes vorgestellt, als die perfekte Verkaufsmelodie komponieren zu müssen oder mit Hühner-Kopf verkleidet für die Billigfluglinie „Chicken Wings“ Werbung zu laufen. Er gibt sich gewohnt störrisch, während Sumpf-Pretzsch als Shopping-Strategin wieder Tatkraft performt.

In anderen Figuren – etwa als Waffenverkäufer, der Afrikanern schadstofffreie Munition verspricht oder als geldstarrendes Paar auf einer Luxus-Demo – kann das Rollenspiel dann schon mal variieren. Die funkelnde Revolution, bei der die oberen 10 000 mit Fabergé-Eiern werfen und der Wasserwerfer die Gläser mit Moet Brut füllt, gehört zu den stärkeren Nummern, weil ein Einfall konsequent zu Ende geführt und nicht an Wortspielereien verschenkt wird, die witzig sind, mit denen Prokert und Hofmann es aber dem Publikum über weite Strecken viel zu leicht machen.

Alle Texte stammen aus eigener Feder. Da sorgen High Heels endlich mal für hohe Absätze, werden Playback-Punkte gesammelt, gibt es 10 Prozent Rabatt auf alle Haftnotizen, dient der Spaß aber oft nur dem Moment und führt nicht weit genug darüber hinaus – etwa zu Zusammenhängen von Kaufrausch und Sparzwang oder einer Auseinandersetzung mit Kompensations-Riten der Ich-shoppe-also-bin-ich-Gesellschaft.

Exemplarisch für das Verkaufen von Illusion steht der „Honk“, ein Hurz der Warenwelt sozusagen, ein schmuckloser Würfel, der wahlweise alles zerkleinert, antibakteriell wirkt oder gut einzieht und natürlich ohne Vertragsbindung zu haben ist. Doch was ist mit der Bereitschaft, Illusionen teuer zu bezahlen? Die quasi religiöse Verzückung muss groß sein, wenn Laden-Passagen Einkaufs-Paradiese und -Tempel genannt werden.

Dass die Premierenbesucher glücklich bis euphorisch sind, mag auch Lohn für die Lieder sein, mit denen Wortwitz, Inspiration oder kabarettistischer Biss besser transportiert werden als im Figuren-Spiel. Beides perfekt zusammenzubringen, hätte es eines Regisseurs bedurft; auch um das wirklich hohe komische Potenzial von Bettina Prokert und Maxim Hofmann auszureizen. Sympathisch sind sie sowieso.

zuerst unter liveundlustig.wordpress.com

Die Premiere war eingebettet in den Hahaha-Klub von Gastgeber Christoph Walther. Die kommenden Vorstellungen finden dann im Central-Kabarett statt. Nächster Termin dort ist Donnerstag, 11. Oktober 2012. Zuvor spielt das Ensemble Weltkritik am Freitag, 5. Oktober, in Gößnitz bei den Nörgelsäcken.www.weltkritik.de – www.centralkabarett.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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