Stein der Leisen

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Er habe schon immer einen großen Ekel vor dem Unernst in der Kunst, sagt Volker Lösch. Seine Hamburger Inszenierung "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?" wird das Berliner Theatertreffen beschließen. Sie ist ernst. Ist konkret, ist politisch. Und baut damit auf jenem Fundament des Kabaretts, auf dem ein Humor entsteht, dessen Augenzwinkern den Blick zu schärfen weiß. Soetwas gibt es noch auf deutschen Kleinkunstbühnen. Allerdings wird es weggelacht von immer mehr Massenbespaßungen. Deren Unernst liegt im Gelächter; die falschen Daunen im Zeitbezug frisch aufgeschüttelt. Sie spielen mit der Komik des Gegebenen, tänzeln vor dem Unausweichlichen. Der Komiker lockt, frohlockt so mitten in der Krise des Humors.
Ein minutenlanger Jubel für Lola-Ehrenpreisträger Loriot klang neulich wie Dankbarkeit und Beschwörung gleichermaßen, war melancholische Verneigung vor einer Satire, die momentan am Stock geht.
Sogar Theater-Macher und Programmdirektoren kriechen jetzt mit Zynismus und Witzelsucht auf die Mehrheit zu. Und gleiten dabei gleich durch zur Comedy. Die Zuschauer quieken vor Begeisterung. Doch das tun sie auch bei Mario Barth.
Von Anfang an hat Lust an Selbstbestätigung in Cabarets und Kabaretts geführt. Erwartung ist nicht nur die Schwester der Entäuschung, sondern auch die Mutter der Zufriedenheit.
Früher wurde alles besser. Noch wissen wir, wie belebend Zwischen-den-Zeilen-Spitzen für DDR-Bürger waren, erinnern uns, welch tiefe Wunden Finck, Neuss oder Hildebrandt in feiste Nacken zu beißen imstande waren. Da bot der Scheibenwischer noch Politkabarett und ostdeutsche Brett'l-Kunst Kabarettpolitik. Doch nicht nur darin lag der Unterschied (und liegt er noch). Hier blühte der Humor in Ensemles, dort reüssierten die Solisten. Verpackungskunst hier, Zuspitzung dort. Neu ist der Wankelmut, mit welchem Auge wir über die Zumutungen der Gegenwart lachen sollen. Und mit welchem weinen. Das Problem ist weniger, ob eine öffentlich-rechtliche TV-Sendung nun Scheibenwischer heißt oder Satire-Gipfel, das Herausforderung bleibt, sie zu füllen gilt: Warum? Womit? Für wen? Comedy ist nicht der Untergang des Abendlandes, ist ja Unterhaltung auch, wenngleich beliebig, sobald Lautstärke als Kraft missdeutet wird, Mut als Können und ein nach allen Richtungen offener Gedanke als Pointe.
"Die Polemik ist tot, es lebe die Unterhaltung!", hat Georg Schramm schon 2003 gewusst. Mit der Privatisierung der Humors steigt der Konsens im Moment des Erlebens. Im Komplott sind alle gleich. Da hat die Polemik dem Gute-Laune-Brei wohl den Löffel gereicht. Polemik macht einsam, denn Meinung verunsichert, und bei nicht nachlassender Haltung wird die Luft schon mal dünn. Das fordert. Lieber drücken die Musen beide Augen zu, wenn ihr Kuss die Backen streift.
Und da nun Humor mit Krise genauso gut auskommt wie mit Intelligenz, ist sein Aufschwung eine Frage der Zeit, die die Hoffnung mit dem Scheitern konfrontiert. Schön wäre, er könnte sich bemerkbar machen im Krawall der Gag-Gewitter. "Ein Narr lacht überlaut; ein Weiser lächelt nur ein wenig", heißt es in den Apokryphen. Doch zu befürchten bleibt: Wenn wir den Stein der Leisen hätten, die Leisen mangelten dem Stein.

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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