Wunderkind roadkill - Helene Hegemann hat abgeschrieben

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Wie haben sich die Feuilletons überschlagen, das Wunderkind Helene Hegemann mit ihrem Roman-Debüt „Axolotl Roadkill“ willkommen zu heißen in der Welt des Einverständnisses: vom Phänomen (SZ) war zu lesen, vom Coming-of-age-Roman der Nullerjahre (FAZ), vom literarischen Kugelblitz (ZEIT). Aber wenig darüber, dass hier eine 17-Jährige in der Sprache der 17-Jährigen aus der Welt der 17-Jährigen berichtet. Mehr nicht. Und nicht weniger. Und doch noch weniger als gedacht.

Denn Hegemann hat abgeschrieben. Und zwar bei Blogger Airen, aus dessen Buch „Strobo“, das im Sommer 2009 bei SuKuLTuR erschienen ist. Auf seinemPopkulturblog gefühlskonserve.de (tinyurl.com/ydfkgv9) listet Deef Pirmasens die deutlichsten Übereinstimmungen auf.

So schreibt Airen auf Seite 146:
… als sich das als zu kompliziert erweist, klettert Marc auf die Klobrille und macht die Lines an der Grenze zu Nachbartoilette zurecht.”


Bei Hegemann heißt es auf Seite 36:
“Ophelia steht auf dem Klodeckel, um drei Lines Speed auf der Trennwand zur Nachbartoilette zurechtzumachen.”

Da gibt es nichts zu deuten.
Die „Inspiration nimmt copy.-paste-mäßige Züge an“, schreibt Pirmasens. Und das ist freundlich formuliert. Der Ullstein Verlag räumt inzwischen ein, Hegemann habe offenkundig „die Tragweite der Frage“ nach Quellen und Zitaten „unterschätzt“. David Foster Wallace wird ordentlich angeführt, doch was im Netz steht, blieb ungeschützt.

„Über die Verantwortung einer jungen, begabten Autorin, die mit der ,sharing'-Kultur des Internets aufgewachsen ist, mag man streiten", fromuliert es Verlagsgeschäftsführerin Siv Bublitz in einer Stellungnahme diplomatisch und räumt ein, Ullstein habe sich „bereits an den SuKuLTuR Verlag gewandt, um diese Genehmigung nachträglich zu erlangen. Sollte es weitere betroffene Rechteinhaber geben, werden wir auch sie kontaktieren und die Genehmigung zum Abdruck einholen.“

Tatsächlich, in der zweiten Auflage des Bestsellers (Focus: von Platz 12 auf Platz 5) ist die Danksagung deutlich länger. Nun tauchen auch Sophie Rois und René Pollesch auf. Warum nicht gleich Volksbühne Berlin? Denn hier ist Hegemann, als sie nach dem Tod der Mutter mit 13 Jahren aus Bochum nach Berlin kam, quasi aufgewachsen. Als Tochter des Chef-Dramaturgen Carl Hegemann konnte sie unter dem Mainstream durchtauchen, hat die Tage und Nächte mit Büchern, Filmen, Schauspielern verbracht und so wohl auch das Prinzip des Sampelns gelernt. Und hat viel mit Sophie Rois gesprochen, deren Auffassungen über Medea sich im Buch deutlich in einem Brief an Medea wiederfinden.

Was nicht so schlimm wäre, würde Hegemann aus all dem Abgehörten, Angelesenen, Aufgeschnappten etwas Eigenes entwickeln. Dazu kommt es nicht. Warum, das schreibt sie selbst in ihrer Erklärung zum Plagiatsvorwurf:

„Inhaltlich finde ich mein Verhalten und meine Arbeitsweise aber total legitim und mache mir keinen Vorwurf, was vielleicht daran liegt, dass ich aus einem Bereich komme, in dem man auch an das Schreiben von einem Roman eher regiemäßig drangeht, sich also überall bedient, wo man Inspiration findet.“

Von ihr selber sei überhaupt nichts, „ich selbst bin schon nicht von mir (dieser Satz ist übrigens von Sophie Rois geklaut) – ich habe eine Sprache antrainiert gekriegt als Kind und trainiere mir jetzt immer noch Sachen und Versatzstücke an, aber mit einer größeren Stilsicherheit.“

Diese – an anderer Stelle auch selbstkritische – Offenheit entspricht womöglich der Weltsicht einer fast 18-Jährigen. Die eigentlich Blamierten sind die vom süßen Alter und dem unbekümmerten Selbstvertrauen hingerissenen Rezensenten, die sich im Angesicht der Autorin wie überraschenderweise auch bei der Lektüre so richtig jung fühlen wollen und wohl doch schon zu alt sind, wieder aus der Falle zu klettern.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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