Desaster, Inferno, Katastrophe, Holocaust

Desaster-Meldung. Ein israelisches Geschoss traf das Gelände der ältesten Kirche in Gaza.

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Inferno, Armageddon, Desaster, Katastrophe — Worte mit deutlich ausländischen Wurzeln. Gibt es dafür eigentlich eine ur-deutsche Bezeichnung?

Mit Katastrophe verwenden wir Griechisches: κατά: hinab, στροφή[strofí]: Wendung, also die (Hinab-)Wendung zum Schlimmen. Dabei bevorzugen wir im Deutschen die ältere Aussprache für das „η“ als „e“, statt neugriechisch „i“ und wie beinahe üblich verschieben wir die Betonung irgend wo hin. Καταστροφή[katastrofí]: Katastrophe.

Am 19. Oktober traf ein Geschoss das Gelände der Sankt-Porphyrius-Kirche in Gaza, die älteste christliche Kirche in der Region.

Während der griechisch-orthodoxe Erzbischof von Jerusalem von Kriegsverbrechen während eines israelischen Angriffs sprach, das griechische Außenministerium beim israelischen Verteidigungsministerium protestierte und das israelische Militär davon sprach, statt „der Kommandozentrale eines Hamas-Terroristen“ sei (leider) eine Mauer in der Nähe der Kirche beschädigt worden, schreibt die Tagesschau:

Die von der militant-islamistischen Hamas geführten Behörden im Gazastreifen machten Israels Militär für den Beschuss der Kirche des Heiligen Porphyrius am Donnerstagabend verantwortlich. Dieser Vorwurf konnte nicht unabhängig bestätigt werden.

Die selbe „newsblog“-Meldung vom 20.Oktober, 15:12 wird mit den Worten eingeleitet:

Bei einer Explosion in einer griechisch-orthodoxen Kirche im Gazastreifen ist eine örtliche Mitarbeiterin der Hilfsorganisation Caritas getötet worden. Die Frau habe in der Kirche gemeinsam mit ihrer Familie und vier anderen Caritas-Angestellten Schutz gesucht, teilte die Hilfsorganisation mit.

Zur gleichen Zeit berichten griechische (und amerikanische) Medien bereits von 20 bestätigten Toten und hunderten von Verschütteten und es ist bereits bekannt, dass das Geschoss das Gemeindehaus getroffen hat, das mit (ist ja eigentlich egal aber trotzdem: christlichen) palästinensischen Familien überfüllt war.

Aus einem Inferno wird also in der Tagesschau eine unbestätigbare, natürlich israelfeindliche Behauptung der Hamas und eine „Explosion“ (eines Propanherds?) mit einer(!) toten Caritas-Mitarbeiterin.

Eine Prinzip der Berichterstattung scheint also „herunterspielen!“ zu sein. Wir erfahren nur wenn es gar nicht anders geht von den Kriegsschäden, die „unsere“ Seite verursacht. Von den Treffern westlicher Granaten auf Wohnhäuser, Läden und Sozialeinrichtungen im Donbas erfahren wir nichts. Dafür aber von jedem russischen Beschuss eines Wohnhauses in der Ukraine. Dieser Nachrichtenfilter funktioniert in Gaza offensichtlich schlechter.

Für den Fall, dass die Orthodoxen weiter die „Explosion“ beklagen und Israel für die Katastrophe verantwortlich machen, möchte ich auf einen bewährten Kniff hinweisen, der es erlaubt die Sache in den deutschen Medien schnell zu begraben. Der Erzbischof von Jerusalem sagte:

Τις τελευταίες ημέρες ζούμε ένα ολοκαύτωμα που συνοδεύεται από μία γενναία δόση προπαγάνδας, κυρίως από τα δυτικα ΜΜΕ που βλέπουν παντού τη Χαμάς. Ο κόσμος δεν ξέρει όλη την αλήθεια.

Also:

In den letzten Tagen erleben wir ein Inferno, verbunden mit einer großzügigen Dosis Propaganda, hauptsächlich seitens der westlichen Massenmedien, die überall die Hamas sehen. Die Leute kennen nicht die Wahrheit.

[Hervorhebung im Original.] Der gute Erzbischof redet griechisch und benutzt das Wort Inferno in seiner Sprache. Im Gegensatz zum Deutschen gibt es das nämlich in Griechisch. Man sagt ολο[olo]: alles und καύτωμα[káftoma]: (irgend was Altgriechisches für)verbrannt., also: alles verbrannt, eben: Inferno, [olokáftoma], in der Welt bekannt in etwas veralteter Aussprache und verschobenem Akzent: Holocaust.

Ha! Damit haben wir nun die Möglichkeit, den orthodoxen Bischof als Antisemiten darzustellen! „Bischof vergleicht Angriff der israelischen Luftwaffe mit dem Holocaust“.

Wir haben ja schon ab und zu Erfolg gehabt, indem wir ολοκαύτωμα mit Holocaust übersetzt haben und nicht mit beispielsweise Desaster; und schon, simsalabim, war die inhaltliche Aussage weg und die Skandalisierung da.

Beispiel: Interview von Christine Heuer mit Wolfgang Schäuble im DLF, 16.02.2015:

Heuer: Janis Varoufakis, Herr Schäuble, ich hab das vorhin schon mal erwähnt, weil es so ein drastisches Zitat ist, spricht von „fiskalischem Waterboarding“ und „einem sozialen Holocaust“. Darf ich Sie mal fragen, geht Ihnen der Varoufakis, Ihr Kollege in Athen, Ihr neuer, geht der Ihnen nicht manchmal einfach nur auf die Nerven?
Schäuble: Ach wissen Sie, ich hab ja nicht die Absicht, wenn andere Leute sich schlecht benehmen, meine eigenen Gewohnheiten zu ändern.

Na bitte! Geht doch! Lässt sich beliebig wiederholen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus.Fueller

… wird noch nachgereicht

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